
Liebe Leserinnen und Leser,
der CDU-Politiker Jens Spahn ist für viele – auch für Leserinnen und Leser des SPOTLIGHT, wie ich aus zahlreichen Zuschriften weiß – ein rotes Tuch. Dass er immer wieder vor der vermeintlichen „unkontrollierten Massenmigration“ warnt, die Deutschland zu überrollen drohe, ist ein Grund dafür. Ein anderer ist, dass er schon früh erklärtermaßen die Nähe zu Donald Trump und dessen MAGA-Bewegung suchte.
Momentan ist Spahn Thema in den Medien – und es scheint so, als freuten sich viele Leserinnen und Leser (aber auch Medienvertreter), dass man ihm mal so richtig eins überbraten kann. Es geht um die überteuerten Maskendeals, die er als Bundesgesundheitsminister während der Corona-Pandemie gemacht hat.
Grund für die Aufregung: Es gibt einen neuen Untersuchungsbericht. Aber: Steht darin überhaupt irgendetwas Neues – das die Aufregung rechtfertigt? Darum geht es im heutigen Thema des Tages.
Wir wollen Ihre Meinung wissen: Wie schlimm finden Sie Spahns überteuerte Masken-Käufe? Stimmen Sie hier ab, oder per Klick aufs Bild:

Außerdem im SPOTLIGHT: Gestern berichteten wir über die neue Bedrohungslage aus Russland und Belarus für Westeuropa. Jetzt haben wir die NATO gefragt: Wie genau wappnet sich das Militärbündnis dagegen? Was deren Vertreter antworten, steht in der heutigen „Werkbank“.
Schreiben Sie mir wie immer gern, was Sie gerade sonst noch umtreibt: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Ist die Aufregung um Spahn berechtigt?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Faktencheck: Welche Fake-Videos nach den Angriffen zwischen Israel und dem Iran kursieren
CORRECTIV-Werkbank: Bedrohung durch russische Raketen? NATO zeigt sich selbstbewusst
Grafik des Tages: Die Hälfte aller Landkreise im Grundwasserstress
Während der Corona-Pandemie war ich Reporterin bei der WELT-Gruppe; und gemeinsam mit meinem damaligen Reporterteam begleitete ich mehrere Monate lang intensiv, was die Bundesregierung unternahm, um an Schutzmasken zu kommen. Vor allem Jens Spahn als Gesundheitsminister.
Und auch, was alles schiefging:
- Erst nichts am Weltmarkt bekommen,
- dann viel zu hohe Preise bezahlt,
- später als Konsequenz auf Bergen von Masken sitzengeblieben,
- dann eine riesige Klagewelle von Maskenhändlern, die ihr Geld nicht bekamen,
- zwischendurch Vorzugs-Verträge für Bekannte,
- und am Ende auch noch Millionen an eine Unternehmensberatung bezahlt, auch wieder von Steuergeld, um den ganzen Schlamassel wieder aufzuräumen.
Ach ja, der Bundesrechnungshof schaltete sich damals nach ein paar Monaten ein und sagte, das sei aber mal eine ganz schöne Geldverschwendung gewesen.
Jetzt ist das Thema wieder hochgekocht.

Was ist der aktuelle Auslöser?
Vor ein paar Tagen ist ein Untersuchungsbericht erschienen – verfasst von der ehemaligen Staatssekretärin im Justiz- und Verteidigungsministerium Margaretha Sudhof. Der Bericht ist 170 Seiten lang.
Was genau drin steht, weiß die Öffentlichkeit nicht, weil die derzeitige Hausleitung des Bundesgesundheitsministeriums ihn bisher nicht veröffentlichte. Allerdings wurde durch einen Artikel von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung, denen ein Teil vorliegt, bekannt: Sudhof geht ziemlich hart mit Spahn ins Gericht und wirft ihm Verschwendung vor – aus übersteigertem Ehrgeiz.

Es gibt also zwei Aufreger:
Zum einen das Fehlverhalten Spahns. Zum anderen, dass der Bericht nicht einfach veröffentlicht wird.
Dazu das kurze Zwischenfazit: Ja, Spahn hat Geld verschwendet. Aber, wie oben schon geschrieben, das ist überhaupt nichts Neues. Das Ausmaß, die Aufträge für Bekannte, all das war schon jahrelang bekannt.
Also schauen wir uns nochmal die Frage an: Warum gab es überhaupt diesen Sudhof-Bericht – und warum steht er nicht einfach auf der Internetseite des Ministeriums? Zumal Spahn selbst am Wochenende sagte, er kenne den Bericht nicht und würde ihn gerne mal lesen.
Die Rolle des zwischenzeitlichen Bundesgesundheitsministers
Karl Lauterbach (SPD) hatte zu Beginn seiner Amtszeit (2021) angekündigt, umfassend aufzuklären, warum genau während der Pandemie so viel Geld für Maskenkäufe verschleudert wurde.
Erst 2024 beauftragte er allerdings Frau Sudhof mit dem Bericht – und dann hielt er selbst ihn zurück und begründete dies damit, eine Veröffentlichung wäre wegen des Bundestagswahlkampfs unfair. Jetzt fordert er aber die neue Ministerin auf, zu veröffentlichen.
Die Rolle der neuen Bundesgesundheitsministerin:
Seit Anfang Mai ist Nina Warken (CDU) im Amt – Parteifreundin Spahns, ebenfalls dem konservativen Flügel zuzuordnen.

Sie könnte den Bericht jetzt einfach veröffentlichen. Gerade, um ihn zu entlasten, wenn doch nichts Neues drin steht. Aber bisher plant sie das nicht. Warken kündigte zwar an, sie wolle kommende Woche die zuständigen Ausschüsse im Bundestag unterrichten.
Aber – und hier wird es wirklich skurril – sie will dort nicht den Sudhof-Bericht vorlegen. Sondern einen eigenen Bericht, der darauf basiert.
Für ein solches ungeschicktes Vorgehen, um eine unliebsame Information zu unterdrücken und dadurch das Gegenteil zu erreichen, gibt es übrigens einen Begriff: Streisand-Effekt.
Finanzminister Klingbeil zeigt sich offen für Erhöhung des Verteidigungsbudgets
Lars Klingbeil fordert höhere Verteidigungsausgaben. Er plant, sie in den nächsten Jahren auf bis zu 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Zunächst sollen in diesem Jahr „erst mal zwei Prozent“ des BIP in die Verteidigung fließen, so Klingbeil.
zeit.de
EU-Staaten bereiten Evakuierung von EU-Bürgern aus Israel vor
Deutschland und andere EU-Staaten planen, europäische Staatsbürger aus Israel und dem Iran zurückzuholen. Das Auswärtige Amt koordiniert die Ausreise über Jordanien. Bereits 5.000 Deutsche haben sich zum Ausreisen gemeldet: etwa 4.000 aus Israel und rund 1.000 aus dem Iran.
tagesschau.de
Berlin: Kirchenasyl für drei Somalier
Drei Somalier sind nun in einer Kirche in Berlin untergebracht. Sie kamen über Polen nach Deutschland und wollen sich möglicherweise auf das Kirchenasyl berufen, um nicht nach Litauen oder Polen zurück zu müssen. Pro Jahr gibt es wohl tausende Fälle, in denen sich Asylbewerber auf das Kirchenasyl berufen. CORRECTIV hatte vor ein paar Monaten berichtet, dass die Behörden das Kirchenasyl zunehmend nicht mehr respektieren.
bz-berlin.de / correctiv.org
Recherche: Ermittlungen wegen Greenwashing bei der DWS
Wegen Greenwashings bekam die Deutsche Bank-Tochter DWS vor einigen Wochen ein Bußgeld in Höhe von 25 Millionen Euro aufgebrummt. Recherchen von NDR,WDR und SZ zeigen, dass bei den Ermittlungen auch einer der größten Aktienfonds namens „Top Dividende“ im Fokus stand.
sueddeutsche.de

Faktencheck

Nicht alle Aufnahmen, die online im Kontext des militärischen Konflikts zwischen Israel und dem Iran verbreitet werden, sind authentisch. Wir haben einige geprüft und mit Experten darüber gesprochen, welche neue Rolle Künstliche Intelligenz dabei spielt.
correctiv.org
Endlich verständlich
Die Angriffe zwischen Israel und dem Iran setzen sich fort. Iran antwortet auf den israelischen Großangriff mit Raketen unter anderem auf Tel Aviv. Israel rechtfertigt sein Vorgehen als Präventivschlag. Was sagt das Völkerrecht dazu? Dazu gibt es hier leicht verständliche Einschätzungen:
lto.de / tagesschau.de
So geht’s auch
Mit selbstfahrenden Fahrzeugen den ÖPNV retten? Angesichts von Fahrermangel und Lücken im Taktplan klingt das vielversprechend. Ob es gelingen kann, testet die Bahn in einem Pilotprojekt in Hessen.
sueddeutsche.de (€) / iwr.de
Fundstück
Bereits 2023 veröffentlichte die EU-Grenzagentur Frontex ein Buch für Kinder, die bald abgeschoben werden sollen. Darin ist die Rede von „Rückkehr“ und „Reise“, anstatt von „Abschiebung“. Im passenden Malbuch sollen Kinder beispielsweise aufmalen, welches Essen sie im Zielland probieren möchten. Doch Abschiebungen werden auch durchgeführt, wenn dort Armut droht. Unser Beitrag auf Instagram zeigt: Das Kinderbuch stellt den Abschiebeprozess teils stark verharmlosend dar und ignoriert reale Probleme.
instagram.com
Russland baut in Belarus derzeit einen Raketenstandort auf. Es wird erwartet, dass bei der kommenden Militärübung „Sapad 2025“ der beiden Länder im September auch mit dem berüchtigten Iskander-System geübt wird. Das ist ein fahrzeuggestütztes Raketensystem, das sowohl konventionelle Raketen, als auch solche mit Nuklearsprengköpfen abfeuern kann.
Die Verteidigungsexpertin und Grünen-Politikerin Sara Nanni sagte für einen CORRECTIV-Bericht vom gestrigen Montag, sie hoffe, dass die NATO alle Hebel in Bewegung setze, „um schnell reagieren zu können, sollte es zu einem Test oder einem Angriff kommen“.
Ich habe beim Hauptquartier der NATO in Brüssel nachgefragt, wie man sich dort auf Sapad vorbereitet, auch hinsichtlich der Iskander-Systeme. Eine offizielle Antwort darauf werde ich nicht erhalten, sagte man mir dort, auch ein Hintergrundgespräch (Journalistenjargon für: vertrauliches Gespräch, aus dem nicht zitiert werden darf) werde man nicht mit mir führen, „aus Sicherheitsgründen“.
Stattdessen bekam ich ohne weiteren Kommentar Webseiten-Links geschickt: zu Mitteilungen und Richtlinien der Raketenabwehrmission der NATO. Die sogenannte Integrated Air and Missile Defence (IAMD) soll jegliche Angriffe auf NATO-Gebiet abwehren, beispielsweise mit Patriot-Abfangsystemen.
Das erinnert mich an dieses eine Sprichwort: „Selbstvertrauen ist der erste Schritt zum Erfolg.“ Bleibt zu hoffen, dass es sich in dem Fall auch verwirklicht.

In der Hälfte aller Landkreise Deutschlands gibt es Grundwasserstress: Hier wird mehr Grundwasser entnommen, als sich nachbilden kann. Das zeigt eine Studie des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) im Auftrag der Umweltorganisation BUND. Die Ursachen sind regional unterschiedlich: Landwirtschaft, Industrie, Siedlungswachstum – oder teils schlicht die Erderwärmung. Übrigens: Ein Teil der Daten stammt aus CORRECTIV-Recherchen, dazu lesen Sie morgen in der Werkbank mehr.
spiegel.de
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt und Jule Scharun.
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