Islamisten im Revier: die undurchsichtige Moschee
Verurteilte Terroristen suchen gerne die Nähe einer Moschee im Essener Nordviertel. Ist die Assalam-Moschee organisatorischer Anker für die in NRW starke Dschihadisten-Szene oder nur ein zufällig gewählter Gebetsort? Auch Sicherheitsbehörden fällt es oft schwer, das abzuschätzen.
Samstag, 11. März: Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizeibeamte riegeln das Essener Einkaufszentrum am Limbecker Platz ab. Terroralarm. Die Innenstadt im Ausnahmezustand. Dem Verfassungsschutz liegen Hinweise vor, dass der sogenannte Islamische Staat genau dann, genau dort einen Anschlag mit einem mindestens zweiköpfigen „Hit-Team“ plante. Der Befehl sei direkt aus Syrien gekommen – von einem Oberhausener Dschihadisten.
Warum ausgerechnet Essen? Ermittler kann das kaum überraschen. Sie wissen: Die Terrorgefahr hält auch im Ruhrgebiet an.
Etwa 100 Muslime, so schätzt die Polizei Essen, bekennen sich in der Stadt zum Salafismus. Jeder Fünfte von ihnen billigt militärische Mittel zur Errichtung eines Kalifats. Eine Szene, die einen Treffpunkt benötigt. Und so etwas muss einige Jahre lang die Assalam-Moschee in Essen gewesen sein. Ist sie es weiterhin?
Am Rande der Innenstadt fällt sie kaum auf. Früher eine Kneipe, lässt sich nur am einfachen Schild über dem Eingang des Eckhauses erkennen, dass es sich um ein Gebetshaus handelt. Die Fensterscheiben des wenig repräsentativen Gebäudes im traditionsreichen Eltingviertel sind verdunkelt. Von außen kann man nicht hineinschauen. Von hier geht das „größte islamistische Gefahrenpotenzial im Stadtgebiet“ aus, sagt ein Ermittler.
Viele Indizien deuten auf ein puristisch-islamistisches Religionsverständnis der Assalam-Moschee. Die Vereinssatzung des 2004 gegründeten Trägervereins belegt eine Vernetzung mit einem anderen Verein: „Anjuman-e Islahul Muslemeen Deutschland“ in Friedrichsdorf, Hochtaunuskreis. Dieser wiederum ist laut hessischem Verfassungsschutz ein Knotenpunkt der „Tablighi Jama’at“ – die islamistische Bewegung stammt aus Indien, ihre Predigten enthalten salafistische Elemente. Ob diese Verbindung noch eine Rolle im Vereinsleben der Essener Moscheegemeinde spielt, ist nicht bekannt.
Bekannte Gesichter
Was wir wissen: Die Behörden Nordrhein-Westfalens schoben einen Vorbeter der Assalam-Moschee 2009 in die palästinensischen Autonomiegebiete ab. In seiner Wohnung fanden Ermittler Terrorvideos und Anleitungen zum Bombenbau. Der Vorbeter stand in engem Kontakt mit dem Bochumer Sami A., dem ehemaligen Leibwächter Osama Bin Ladens.
Ermittler vor Ort beobachten deswegen schon lange die Essener Moschee. Immer wieder sehen sie auch Gesichter, die sie bereits aus ihren Akten kennen. Jüngst war Daniel S. dort zu Gast, wie Quellen aus Sicherheitskreisen bestätigen.
Einst prominentes Mitglied der sogenannten „Sauerland-Gruppe“, die Bombenanschläge auf US-Einrichtungen in deutschen Großstädten plante, wurde S. 2010 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Später wurde er vorzeitig entlassen und 2016 von der Terrorsanktionsliste der Vereinten Nationen gestrichen. Laut Gutachtern gehe von ihm keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr aus. Sein Anwalt sagt, sein Mandant widme sich seit der Haftentlassung „einem normalen Leben“.
Doch laut Informationen aus Sicherheitskreisen ist S. kein Einzelfall – verurteilte Terroristen suchen gerne die Nähe der Assalam-Moschee.
Bis zu seiner Ausreise nach Syrien vor drei Jahren verkehrte Silvio K. regelmäßig dort – er ist als das „deutsche Gesicht des IS“ bekannt geworden. Auch Tayfun S. war häufig zu Gast, wird es nun aber länger nicht mehr sein. Er wurde Anfang April verurteilt, weil er einen Anschlag auf den Parteivorsitzenden von Pro.NRW plante. Und die Sikh-Tempel-Bomber hielten sich ebenfalls in der Moschee auf – nur wenige Stunden bevor sie vor einem Jahr in Essen ihre selbstgebastelte Bombe zündeten. Der 2008 freigekommene Terrorist Bernhard Falk ergänzt die lange Liste gefährlicher Islamisten, die im Umfeld der Essener Moschee gesichtet wurden.
NRW ist Salafisten-Hochburg
Tatsächlich leben viele Salafisten in Nordrhein-Westfalen. Nach Angaben der Verfassungsschutzbehörden wohnt etwa jeder Zweite der bundesweit als gewaltbereit eingestuften Salafisten im Land: Ende 2016 waren es 650 von 1200 in ganz Deutschland. Ein Sprecher von Innenminister Ralf Jäger beteuert dennoch: „NRW ist genauso betroffen wie andere Bundesländer.“
Welche Gefahr geht von diesem Personenkreis aus? Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin scheinen die Sicherheitsbehörden größere Vorsicht walten zu lassen. Attentäter Anis Amri konnte seine Terrorpläne noch ungehindert umsetzen – trotz monatelanger Überwachung und konkreter Hinweise auf sein Vorhaben. Nun wird bereits bei geringeren Anzeichen reagiert, wie der eingangs geschilderte Terroreinsatz am Limbecker Platz zeigt.
Eine simple Messenger-Nachricht eines ausgewanderten Islamisten versetzte die Behörden in höchste Alarmbereitschaft: „Wenn es klappt, Inshallah, dann in zwei Tagen Essen Zentrum, die große Einkaufshalle.“ Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Ankündigung bestanden in Sicherheitskreisen von Anfang an. Dennoch riegelte die Polizei das Einkaufszentrum in einem aufwändigen Großeinsatz ganztägig ab. „Nach Berlin kann man kein Risiko mehr eingehen“, sagt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.
Wie schwierig es ist, Gefahren abzuwägen, spielt auch eine entscheidende Rolle bei der polizeilichen Bewertung von Moscheen und muslimischen Gemeinden. Ein Sprecher des NRW-Innenministeriums schätzt: Etwa 50 von 830 Moscheen im Land sind salafistisch oder salafistisch beeinflusst. Auch wenn konkrete Terroranschläge eher in privaten Wohnungen, über verschlüsselte Kommunikation und in konspirativen Gesprächszirkeln geplant werden – Moscheen sind für die radikale Szene unverzichtbar. Als Ort von „Anbahnungsgesprächen“ und „erster Kontaktaufnahme“, sagen Terrorismusexperten.
Wer ist nur politisch? Wer ist militant?
Es scheint aber schwer zu sagen, ob und wie viele der 50 salafistisch geprägten Moscheen in NRW tatsächlich zum Dunstkreis konkreter terroristischer Aktivitäten zählen. Nicht von jeder dieser Moscheen geht eine unmittelbare Gefahr für die innere Sicherheit aus. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen „politischen“ und „gewaltbereiten“, also dschihadistischen Salafisten.
Beide Gruppen streben die Errichtung eines „islamischen“ Staatssystems an. Den Jihad als militärischen Kampf stellen aber lediglich gewaltorientierte Salafisten in den Mittelpunkt ihrer religiösen Vorstellungen. Eine trennscharfe Unterscheidung ist oft nicht möglich. Das erschwert die Arbeit der Polizei und der Verfassungsschutzämter enorm.
So lang die Liste der belastenden Indizien auch sein mag: Die Assalam-Moschee zeigt, wie kompliziert der Umgang mit in Verdacht geratenen Moscheen ist.
Ein Freitag wenige Wochen nach dem Terroralarm in der Innenstadt: Kleine Gruppen gläubiger Muslime münden in eine große Menschenschar, die sich vor der Moschee zum wöchentlichen Freitagsgebet versammelt hat. Langsam und mit Bedacht betreten die Besucher den Vorraum der Moschee und entledigen sich ihrer Schuhe, ehe sie der sanfte Teppich des warmen und gemütlichen Gebetsraums in Empfang nimmt. Viel Platz auf dem Teppich bleibt bei dem Andrang nicht. Man bekommt den Eindruck, dass die Assalam-Moschee trotz der Schlagzeilen für viele Menschen ein wichtiger Ort ist. Hier können sie ihre Religion frei ausüben.
Dass auch Leute unter den Besuchern waren und vielleicht noch sind, die bereit sind zum bewaffneten Kampf – das ist dem Vorstand durchaus bewusst. „Viele sind nach Syrien in den Dschihad gezogen“, sagt ein Vorstandsmitglied. Er nennt sie „Dummköpfe“. Der Verein habe zum Selbstschutz Kameras innerhalb der Moschee installiert. So sei nachvollziehbar, wer sich in der Moschee und davor aufhält. Letztlich sei es aber die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Extremisten zur Verantwortung zu ziehen.
Angst vor einer Schließung habe die Gemeinde nicht. Dass der verurteilte Daniel S. hier aufgetaucht sein soll, könne man nicht bestätigen. Dschihadistische Tendenzen dulde der Verein nicht.