Kriminalität & Sicherheit

Mit Einbrechern auf Stimmenfang

Einbrüche in NRW sind eines der heißesten Themen im Landtagswahlkampf. Die CDU versucht mit harter Hand zu punkten. Doch Kriminologen zweifeln am Zweck manch geforderter Maßnahme – andere sind bereits im Einsatz. (mit regionaler Aufschlüsselung der Einbruchszahlen und Aufklärungsquoten in NRW)

von Eva-Maria Landmesser , Simon Wörpel

© Schlüssel verloren? von Holger Slaghuis unter CC BY-NC-ND 2.0

Einbrüche, Einbrüche, Einbrüche: Kaum ein Thema bewegt das Land NRW im Wahlkampf so sehr wie die Sicherheit. Dabei gingen die Fallzahlen zuletzt zurück. Fast 10.000 Einbrüche weniger als 2015 verzeichnete die Polizei im Folgejahr 2016. Trotzdem waren es noch über 52.000 Fälle – so viele wie in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammen. NRW führt die bundesweite Statistik in Sachen Wohnungseinbrüche damit weiter unangefochten an. Die Aufklärungsquote bleibt mit 16 Prozent denkbar niedrig.

Die Union hat klare Vorstellungen davon, wie Einbrechern in Nordrhein-Westfalen das Handwerk zu legen ist. 14 Seiten widmet das Wahlprogramm der CDU dem Schwerpunkt innere Sicherheit. „Wir geben der Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen Priorität“, steht dort zu lesen.

Das soll bedeuten: doppelt so viele Ermittlungskommissionen wie bislang, gesetzliche Grundlagen für die sogenannte Schleierfahndung und computergestützte Verfahren zur statistischen Vorhersage von Einbrüchen. Vor allem die Schleierfahndung ist eine zentrale Forderung des CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet.

„Wir brauchen Sicherheitsstandards wie in Bayern und Baden-Württemberg“, sagte er Anfang des Jahres in einer Rede bei der Gladbecker CDU. Bislang lehnt Nordrhein-Westfalen (wie auch Berlin und Bremen) Schleierfahndung, also verdachtsunabhängige Personenkontrollen auf Reiserouten, in Zügen und an Bahnhöfen ab. Innenminister Ralf Jäger (SPD) sieht in den Maßnahmen einen tiefen, nicht zu rechtfertigenden Eingriff in Grundrechte.

Computergestützte Analyseverfahren befürwortet Jäger hingegen ebenfalls und will das Modellprojekt „SKALA“ 2018 landesweit einführen. Anfang Mai stellte er die Ergebnisse erster Testläufe vor. Die Polizeipräsidien Düsseldorf, Köln, Essen, Gelsenkirchen und Duisburg setzen die Software bereits ein, die durch statistische Algorithmen Kriminalitätsrisiken prognostizieren und Wohnungseinbrüche in bestimmten Vierteln vorhersagen soll.

Sozialdemokraten setzen auf Prävention

Die SPD legt ihre Pläne zur Stärkung der inneren Sicherheit erst auf Seite 92 ihres 107-seitigen Wahlprogramms dar. Vielmehr stellt sie die Schwerpunkte Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit an die Spitze ihres Regierungskonzepts. Eine „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Wohnungs- und Baubranche zum Einbau von Türen und Fenstern mit höherer Schutzklasse, soll Einbrüche verhindern helfen. Bereits Anfang 2016 hatte Jäger mit dem „Einbruchsradar“ und der Kampagne „Riegel vor“ die Prävention gestärkt.

Erfasste Einbruchsfälle und Aufklärungsquoten in Nordrhein-Westfalen

Daten:
Polizeiliche Kriminalstatistik 2016, LKA Nordrhein-Westfalen.

Es handelt sich um erfasste Fallzahlen, d.h. bei der Polizei gemeldete Einbruchsfälle. Die tatsächlichen Zahlen können darüberliegen.

Der derzeitige Rückgang der Einbruchszahlen in NRW scheint dem Innenminister Recht zu geben. Prävention und Analyseverfahren scheinen Wirkung zu zeigen. Bis März gab es sogar fast ein Drittel weniger Wohnungseinbrüche in NRW als in den ersten drei Monaten 2016. Oder ist der Rückgang der Fallzahlen lediglich Zufall?

Mehr Polizei, weniger Einbrüche?

Dass mehr Polizei, Schleierfahndung und ähnliche Wahlkampfforderungen der Union nicht zwangsläufig zu weniger Einbrüchen und höheren Aufklärungsquoten führen, legt eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) nahe. Im Oktober hatten die Forscher im Landtag Stellung genommen – die CDU-Fraktion hatte zuvor ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Wohnungseinbruchdiebstahl in die parlamentarische Debatte eingebracht.

„Eine höhere Polizeipräsenz – also mehr Polizeistreifen – erhöht zwar das Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft, hat aber keine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter“, sagt KFN-Soziologin Gina Rosa Wollinger. Die Politik dürfe bei der Bekämpfung des Wohnungseinbruchsdiebstahls nicht ausschließlich auf die Polizei schauen. Der fehle es oft an Ermittlungsansätzen: Spuren, Zeugen? Fehlanzeige. Erfolgversprechender sei es, spezialisierte Ermittlungsgruppen aus Polizei und Staatsanwaltschaft zu bilden.

Die Schleierfahndung, mit der die CDU vor allem reisende Täter aus dem Ausland dingfest machen möchte, sei im Süden Deutschlands erfolgversprechend, sagt Wollinger. In NRW sei Einbruchsdiebstahl eher ein gesellschaftliches Problem. Die Täter seien meist Ortsansässige.

„Je mehr soziale Probleme eine Region hat, wie (Jugend)-Arbeitslosigkeit oder vermehrtes Suchtpotential, umso mehr Wohnungseinbrüche gibt es“, sagt die Soziologin. Wohnungseinbruchsdiebstahl sei häufig ein Ausdruck von Beschaffungskriminalität im Drogenmilieu. „Man darf nicht die Erwartung haben, dass die Polizei irgendwann 80 Prozent der Wohnungseinbrüche aufklären wird.“

„Entdeckungsrisiko wahrscheinlicher machen“

Sonja Willing, Leiterin der Kriminalistisch-Kriminologischen Forschungsstelle (KKF) des Landeskriminalamtes NRW, sieht hingegen in höherer Polizeipräsenz ein wirksames Mittel gegen Wohnungseinbrüche. Einbrecher wägten ab: Wie viel Beute können sie machen? Welche Sicherheitsmaßnahmen müssen sie überwinden? Wie wahrscheinlich ist es, dass sie entdeckt werden? „Ein größeres Aufkommen von Streifenwagen kann das Entdeckungsrisiko zumindest wahrscheinlicher machen und potenzielle Täter von einem Einbruch abhalten“, sagt Willing. Das Computer-Verfahren „SKALA“ sei ein wichtiges Mittel, um Polizeiarbeit zu unterstützen.

Doch auch Willing sieht den Grund für die hohen Fallzahlen eher in der Sozialstruktur des Landes als in reisenden Tätergruppen. „Je höher die Einwohnerzahl eines Landes ist, umso größer ist auch die Kriminalitätsbelastung“, sagt die Leiterin der LKA-Forschungsstelle. In dicht besiedelten Gebieten gebe es schlichtweg mehr Einbruchsmöglichkeiten und wegen der Anonymität in der Großstadt weniger Sozialkontrolle.  

Kriminologin Wollinger vom KFN unterstützt deswegen verbindliche baurechtliche Einbruchssicherheitsvorgaben, wie die SPD sie fordert. Diese Vorgaben müssten – wie beispielsweise in Teilen der Niederlanden – für alle Neubauten gesetzlich festgeschrieben sein und dürften nicht Privathaushalten nachträglich überlassen sein. Wenn Private auf eigene Kosten nachrüsten, werde Sicherheit eine Frage der finanziellen Möglichkeiten. Eine Studie aus Großbritannien habe ergeben, dass in diesem Fall die Zahl der Wohnungseinbrüche zwar ab-, die Zahl sozial schlecht gestellter Einbruchsopfer aber zunehme.

Aufklärungsquote, ein umstrittener Indikator

Doch was ist mit der kürzlich gestiegenen Aufklärungsquote?

Wollinger gibt zu bedenken, dass es sich bei der Polizeilichen Kriminalstatisitk um eine Tatverdächtigen-, nicht um eine Täterquote handelt. So gelte ein Fall für die Statistik bereits als aufgeklärt, wenn ein Tatverdächtiger ermittelt werde – ob der später verurteilt oder freigesprochen wird, spielt keine Rolle.

Erst kürzlich hatte die Piraten-Fraktion im Landtag NRW gefordert, bei der Kriminalitätsstatistik neue Wege zu beschreiten und künftig auch den Verlauf der Strafverfahren mit zu erfassen. Aus gutem Grund: Der Mülheimer Kriminologe Franz Kawelovski hatte im März vor dem Innenausschuss des Landtages Brisantes zu Protokoll gegeben: Seine Fallstudien hätten ergeben, dass Polizeibeamte manchen Tatverdächtigen zahlreiche weitere Delikte untergeschoben hätten – damit sie als aufgeklärt in der Kriminalstatistik auftauchen.

SPD, Grüne und CDU lehnten den Antrag der Piraten-Fraktion ab. Eine Reform der Polizeilichen Kriminalstatistik wird es so bald also nicht geben.

Visualisierung: Simon Wörpel