Politik

Was Merz im Sommerinterview über Bürgergeld und Mieten sagte – und was nicht

Bundeskanzler Friedrich Merz sagt im ARD-Sommerinterview, für Menschen, die Bürgergeld erhalten, würden in Großstädten „heute teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter“ übernommen. Für einige wenige Regionen stimmt das, die Regel ist das nicht.

von Max Bernhard

Kanzler Merz im ARD Sommerinterview
Bundeskanzler Friedrich Merz am 13. Juli beim ARD-Sommerinterview in Berlin (Foto: Michael Kappeler / DPA / Picture Alliance)

Am 13. Juli 2025 war Bundeskanzler Friedrich Merz beim ARD-Sommerinterview in Berlin. Dabei ging es auch um die Kosten, die durch das Bürgergeld entstehen.

Aussagen von Merz dazu, wie hoch die Mietkosten sind, die Jobcenter für Bürgergeld-Beziehende übernehmen, waren grundsätzlich nicht falsch. Dennoch ließ er einige Aspekte weg.

Angesprochen darauf, ob in Anbetracht hoher Ausgaben für Unterkunft auch eine Deckelung der Mietkosten bei Bürgergeld-Empfangenden in Frage käme, sagte der Bundeskanzler im Sommerinterview: „Sie haben in den Großstädten heute teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter, die Sie vom Sozialamt oder von der Bundesagentur bekommen für Miete, […] wenn Sie das mal hochrechnen, das sind bei 100 Quadratmetern schon 2.000 Euro im Monat“. Eine „normale Arbeitnehmerfamilie“ könne sich das nicht leisten.

Diese Angaben decken sich mit einer Grafik, die Die Zeit kürzlich veröffentlicht hatte. Die Datenauswertung für 2024 zeigt die gezahlten Warmmieten durch das Jobcenter in einzelnen Regionen. Demnach lagen die Kosten der Unterkunft pro Quadratmeter inklusive Heiz- und Nebenkosten in München, Hamburg und im Main-Taunus-Kreis bei über 20 Euro, überall sonst darunter. Die aktuellsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (Excel-Dateien zum Download hier, hier und hier) für die drei Regionen bestätigen, dass dort der Preis über 20 Euro pro Quadratmeter liegt.

Kommunen prüfen „Angemessenheit“ der Mietkosten

Wie kommen diese Kosten zustande? Grundsätzlich, so steht es im Gesetz (Paragraf 22 SGB II), müssten Kosten für Unterkunft und Heizung in „angemessener Höhe“ sein. Was dabei angemessen ist, entscheiden die Jobcenter und Kommunen.

„Ihr Jobcenter achtet darauf, dass die Mietkosten und die Größe Ihrer Unterkunft bestimmte Richtwerte nicht überschreiten“, heißt es dazu auf der Webseite der Bundesagentur für Arbeit. Seien die Kosten zu hoch, müsse man umziehen oder gegebenenfalls ein Zimmer untervermieten. Ein Sonderfall ist die sogenannte Karenzzeit: Im ersten Jahr wird die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bei Menschen, die Bürgergeld erhalten, laut der Bundesagentur für Arbeit nicht geprüft.

Diese Richtwerte lassen sich von den Kommunen erfragen, teils sind sie auch online zu finden. Neben den Mietkosten ist auch geregelt, wie groß eine Wohnung sein darf.

Wir haben uns die Richtwerte für die drei teuersten Großstädte in Deutschland angesehen. In München – der teuersten Stadt – liegt die Grenze für die Bruttokaltmiete, also die Kaltmiete inklusive Nebenkosten, aber ohne Heizkosten, für eine einzelne Person bei 890 Euro (Stand: 1. Januar 2025). Um innerhalb des Richtwerts auf 2.000 Euro oder mehr zu kommen, müsste es sich um einen Haushalt mit mindestens sechs Personen in einer Bedarfsgemeinschaft handeln. Für so einen Haushalt liegt die Mietobergrenze bei 2.188 Euro für eine Wohnung mit bis zu 120 Quadratmetern – das entspricht einem Quadratmeterpreis von 18,23 Euro.

Die Stadt München gibt Richtwerte für die Obergrenzen von Mieten bei Bürgergeld-Empfangenden an. Über 2.000 Euro kommt nur ein Haushalt mit mindestens sechs Personen. (Quelle: Stadt München; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

In Frankfurt am Main liegt die Obergrenze – aufbauend auf dem Mietspiegel von 2024 – für eine einzelne Person bei 786 Euro. Um über 2.000 Euro zu kommen, müsste ein Haushalt aus mindestens zehn Personen bestehen, die Bürgergeld erhalten. Bei einer maximalen Wohnungsgröße von 159 Quadratmetern entspräche das 12,97 Euro pro Quadratmeter.

Das Jobcenter in Frankfurt am Main klärt in einer Tabelle auf, bis zu welcher Miethöhe die Wohnkosten als „angemessen“ betrachtet werden (Quelle: Jobcenter Frankfurt am Main; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

In Berlin liegt der Richtwert laut einem Rundschreiben von September 2023 für eine einzelne Person bei 449 Euro. Ein Fünf-Personen-Haushalt bekommt maximal 903,72 Euro. Für jede weitere Person werden 106,32 Euro angerechnet. Um über 2.000 Euro zu kommen, müsste der Haushalt also aus mindestens 16 Personen bestehen. Berlin gibt außerdem einen Preis von 7,09 Euro pro Quadratmeter als Richtwert an.

In Berlin müsste ein Haushalt aus mindestens 16 Personen bestehen, um 2.000 Euro oder mehr an Mietkosten zu erhalten (Quelle: Stadt Berlin; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Keine der Quadratmeterpreise innerhalb des Richtwerts in den drei teuersten Städten Deutschlands erreichen also die von Merz genannten 20 Euro. Auch in einer Übersicht der Webseite buergergeld.org zu den 20 größten Städten Deutschlands ist keine einzige Konstellation dabei, die auf 20 Euro Kostenübernahme pro Quadratmeter kommt. Eine Bruttokaltmiete von 2.000 Euro, die vom Jobcenter übernommen wird, erreichen nur Haushalte mit sehr vielen Personen.

Tatsächlich gezahlte Warmmieten liegen in wenigen Teilen Deutschlands über 20 Euro pro Quadratmeter

Es gibt laut der Gewerkschaft Verdi jedoch Ausnahmen: So muss das Jobcenter in manchen Fällen auch höhere Kosten übernehmen, beispielsweise wenn keine günstigeren Wohnungen auf dem Markt verfügbar sind, oder persönliche Umstände einen Umzug unmöglich machen. Das können laut dem Sozialberatungsverein zum Beispiel gesundheitliche Gründe sein.

Diese Ausnahmen können dazu führen, dass der Quadratmeterpreis, gerade in besonders teuren Regionen wie Hamburg, München und im Main-Taunus-Kreis höher als innerhalb des Richtwerts geht.

Auch eine Regierungssprecherin erklärte auf Nachfrage zu Merz Äußerungen: „Die Mieten in vielen deutschen Großstädten sind sehr hoch, und darauf hat der Bundeskanzler hingewiesen.“ Die Aufgabe der Kommunen sei es, Obdachlosigkeit vorzubeugen. Weil es Mangel an alternativem günstigem Wohnraum gebe, könne es dazu kommen, dass die Kommunen bereit sind, deutlich erhöhte Mietkosten zu übernehmen.

Kritik an Aussagen von Friedrich Merz zum Bürgergeld 

Wie die Tagesschau berichtet, gab es nach dem Sommerinterview Kritik an Merz’ Plänen zum Bürgergeld. Dagmar Schmidt, die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, verwies ebenfalls auf die bestehenden Grenzen für Wohnungsgrößen für Menschen, die Bürgergeld bekommen. „Wohnungen für Normalverdiener werden nicht günstiger, indem man Bürgergeldempfängern die Unterstützung streicht“, erklärte sie.

Die Präsidentin des Deutschen Mieterbundes, Melanie-Weber Moritz, sagte laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland, die Regierung sollte für ausreichend bezahlbaren Wohnraum und angemessene Mieten sorgen. „Denjenigen die Gelder zu kürzen, die auf dem aus dem Ruder geratenen Mietwohnungsmarkt ohne staatliche Hilfe keine Bleibe finden, ist keine Lösung“.

Der ARD-Faktenfinder prüfte weitere Behauptungen aus dem Sommerinterview. So behauptete Merz demnach fälschlicherweise, eine Vermögenssteuer wäre verfassungswidrig. Auch dass alle Gesetzesvorhaben wie geplant durch den Bundestag gekommen seien, stimmte nicht ganz.

Update, 17. Juli 2025: Wir haben eine Antwort der Bundesregierung ergänzt, die uns nach Veröffentlichung erreichte. Außerdem haben wir weitere Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zu München, Hamburg und dem Main-Taunus-Kreis ergänzt.

Redigatur: Sarah Thust, Gabriele Scherndl