
Wer bisher davon ausging, dass Klimaschutz ein selbstverständlicher Teil moderner Politik ist, konnte sich in den letzten Wochen die Augen reiben.
Die EU verspricht Präsident Trump, Öl und Gas im Wert von 750 Milliarden Dollar abzukaufen. Soviel fossile Energie kann die EU gar nicht verarbeiten, zudem könnte sich die Summe als Luftnummer entpuppen. Aber es ist genau nach dem Geschmack des US-Präsidenten, der sich offenbar eher in der Welt der Öl-Tycoons der Serie Dallas aus den 1980er Jahren zuhause fühlt.
Und die deutsche Regierung verabschiedet einen Haushalt, der zwar einen Klimafonds enthält, der allerdings schon jetzt zu zerfleddern droht. Erst werden Milliarden für die Gasumlage aus dem Fonds beschlossen. Jüngst kritisierte der Bundesrechnungshof, dass die Finanzierung des Fonds in den nächsten Jahren unsicher sei. 100 Milliarden, das klingt erstmal nicht schlecht.
Aber hinter diesen Wumms-Summen stehen Ausgaben, die sich über Jahre strecken. Das wäre so, als würden Sie einem Kind versprechen, es bekomme ab jetzt 550 Euro Taschengeld. Klingt doch toll. Im Nebensatz sagen Sie dann:
Im Jahr.
In den vergangenen Jahren gab es die politische Idee, dass die Wirtschaft mit Klimaschutz auch Geld verdienen kann. Ein Land, das moderne Anlagen für erneuerbare Energien entwickelt, könne die Technik auch exportieren. Weniger Verbrauch von Öl und Gas reduziert ganz nebenbei auch die Abhängigkeiten von autoritären Staaten.
Ist das plötzlich nicht mehr so wichtig? Auf den Alltag haben solche Entscheidungen massive Auswirkungen. Denn auch die Bürgerinnen und Bürger investieren: in ihre Heizung, in ihre Autos, in Erwartungen, wie man klimafreundlicher reisen und leben kann.
Nun zeigt eine Grundentscheidung am Beginn der Koalition, wo wir stehen: Das Klimathema wurde vom Wirtschafts- ins Umweltministerium verlagert. Seither ist die Wirtschaftsministerin Katharina Reiche unterwegs, um Klimaschutz von Energiepolitik abzukoppeln. Und aus dem Umweltministerium ist nicht viel zu hören.
Anstatt nur über die abstrakte Politik zu berichten, werden wir direkt dahin gehen, wo der Klima- und Energieschuh vor Ort drückt. Im Herbst werden wir in drei Städten für kurze Zeit eigene Redaktionen eröffnen und gestützt auf Daten und Recherchen gemeinsam diskutieren, wie Entscheidungen für oder gegen die Energiewende auf die Heizungen jedes Einzelnen Auswirkungen haben.
Wir halten Sie auf dem Laufenden.
In dieser Woche sind ungewöhnlich viele spannende Recherche-Projekte erschienen, die wir für Sie kuratiert haben. Und am Ende dieses SPOTLIGHTS nimmt Sie mein Kollege Marcus Bensmann in einen Gerichtssaal mit, in dem ein Schicksal verhandelt wurde, das ohne die Verantwortung der Kirche vielleicht einen anderen Weg genommen hätte.
Ihnen wünsche ich ein erholsames Wochenende!
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr
Exklusive Aufnahmen: Die Netanjahus im Verhör
Benjamin Netanjahu ist der erste amtierende Ministerpräsident Israels, der sich vor Gericht verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der Korruption im Amt. „Die Akte Netanjahu“ beleuchtet das Verfahren gegen den Premier – mit bisher unveröffentlichten Verhörvideos zentraler Belastungszeugen. Die Doku enthüllt exklusiv, wie eng politische Macht, Medien und Justiz in Israel verflochten sind. Ein investigativer Film über Einfluss und Intrigen – und die Frage: Bröckelt Netanjahus Macht unter den Aussagen aus dem Innersten seines Systems?
The Bibi Files – Die Akte Netanjahu (ardmediathek, Doku)
Mit der roten Pille zur Macht
Sommer 2025: Die USA driften in den Autoritarismus. Im Zentrum stehen die Tech-Bros aus dem Silicon Valley. Sie träumen davon, den Staat abzuschaffen und den Weltraum zu erobern. Doch woher stammen solche Vorstellungen? Nach der Peter Thiel-Story veröffentlicht der Deutschlandfunk eine weitere sechs-teilige Podcastreihe zu den kruden Machtfantasien der amerikanischen Tech-Bosse, die zum Teil sehr nah am amerikanischen Präsidenten sind.
Tech Bro Topia (deutschlandfunk, Podcast)
Mit dem Flugzeug an die Grenze des Rechts
Seit Jahren werfen Aktivisten den europäischen Migrationsbehörden im zentralen Mittelmeer Verstöße gegen internationales Recht vor. Die EU bestreitet das. Weder die EU-Kommission noch die Frontex-Grenzschützer wurden je von einem internationalen Gericht verurteilt. Wie lässt sich das erklären?
Macht sich die EU im Mittelmeer strafbar? (tagesspiegel.de, €)
Warum man Alex Karp kennen sollte
In Deutschland tobt eine Debatte: Sollen die Polizei Palantir nutzen oder nicht? Erstmals wirft ein Dokumentarfilm Licht auf den US-Milliardär Alex Karp und seine rätselhafte, abgeschottete Firma Palantir. Neben Elon Musk, Mitgründer Peter Thiel gehört der Palantir-CEO zu den einflussreichsten Köpfen der Digitalbranche. Wie diese profitierte auch Karp von Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten. In Deutschland bleibt er jedoch weitgehend unbekannt – obwohl deutsche Polizeibehörden die Palantir-Software „Gotham“ einsetzen. Das erfolgreiche, aber umstrittene Datenanalyse-Programm bündelt und visualisiert riesige Datenmengen, um Informationen zu gewinnen und Überwachung zu ermöglichen.
Watching you – Die Welt von Palantir und Alex Karp (ardmediathek.de, Doku)
Krahs China-Spion
Ein ehemaliger Mitarbeiter des Politikers Maximilian Krah steht wegen Spionage vor Gericht. Er soll Parteiinterna ausgeforscht haben, darunter private Details über die Vorsitzende Alice Weidel. Der Prozess könnte für die AfD peinlich werden.
Die geheimen AfD-Dossiers des mutmaßlichen China-Spions (spiegel.de, €)
Der Katastrophensommer von Putins Geheimdiensten
Im Jahr 2018 wurden russische Eltern gefragt, was sie sich für die Zukunft ihrer Kinder wünschten. Fast 50 Prozent nannten eine Karriere im Inlandsgeheimdienst FSB. Das war keine Überraschung. Russland ist der einzige Staat der Welt, bei dem die Macht in den Geheimdiensten konzentriert ist. Sie sind das Rückgrat von Putins Machtapparat. Doch Anfang dieses Sommers erlebten die Dienste in fünf Tagen drei Katastrophen.
Die russische Dreifachblamage (republik.ch, €)

CORRECTIV Inside
Am Donnerstag betrat der 41-Jährige Andreas Perr in Fußfesseln das Gericht in Traunstein. Das Verfahren verlief zügig: Perrs Anwalt und die Staatsanwältin zogen die Berufung zurück. Damit wurde das Urteil aus dem April rechtskräftig: Drei Jahre Haft wegen Rezeptfälschung für Opiate. Die Drogensucht hat eine Vorgeschichte. Mitte der 1990er Jahre missbrauchte Priester Peter H. den damals knapp 12-Jährigen im Pfarrhaus einer Gemeinde. Diese Tat warf den Jungen aus der Bahn. CORRECTIV recherchiert und veröffentlicht seit 2020 zu diesem Fall.
Vor vierzig Jahren stand eben dieser Priester wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs in anderen Fällen auch vor einem Gericht in Bayern. Der Richter zeigte damals Milde: Bewährung, „verminderte Schuldfähigkeit“ wegen „Pädophilie“; Auflagen gab es keine. Die Verantwortlichen der Kirche konnten zufrieden sein, denn der Richter sei „praktizierender Katholik“. Ein Gutachten zeigt, wie nah manche Verbindungen von Bischöfen zu Richtern und dem Justizministerium in Bayern waren.
Nach dem damaligen Urteil setzte die Kirche den Priester in die Gemeinde ein, in der Perr aufwuchs. Und auch er wurde Opfer. Sein Anwalt trug das damalige Urteil und die fatalen Folgen bei der Verhandlung im April vor. Die Richterin wies allerdings eine Verantwortung der Justiz in ihrer mündlichen Urteilsbegründung zurück, erkannte aber mildernde Umstände an. Aus der Haft kämpft Perr weiter. Er hat das Erzbistum und die Erben des deutschen Papstes auf Schmerzensgeld verklagt. Mit einer Unterschrift ermöglichte es der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, dass der Priester H. nach der Verurteilung in Perrs Gemeinde kam. Ein katholischer Richter, Bischöfe und Ratzinger schufen so einen Raum, in dem ein Priester das Lebensglück eines 11-jährigen Jungen zerstören konnte.
Über Jahrzehnte konnten klerikale Missbrauchstäter in der Bundesrepublik unter den Augen der Bischöfe Tausende Kinder missbrauchen. Das war nur möglich, weil die weltliche Öffentlichkeit und wie im Fall von Perr die Justiz nicht richtig hinschauen wollte. Dieser Aspekt wartet bis heute auf Aufklärung. Daraus erwächst auch Verantwortung für das Leiden der Opfer.

Die Woche bei CORRECTIV

Hunderte Millionen Fördergeld für barrierefreie Bahnhöfe ungenutzt
Jeder fünfte Bahnhof ist nicht barrierefrei. Der Bundesrechnungshof wirft dem Verkehrsministerium Untätigkeit vor. Jetzt soll eine Reform kommen – doch der Plan bleibt vage.
correctiv.org
Unversichert in der Klimakrise: Kommunale Gebäude ohne Schutz
Wegen zu hoher Kosten versichern manche Kommunen ihre Gebäude nicht gegen Extremwetter. Im Katastrophenfall müssen dann Bund und Steuerzahler für die Schäden aufkommen. Ein anderes Versicherungssystem könnte Abhilfe schaffen.
correctiv.org
Mehr Geld für Rüstung, aber weniger Kontrolle
Die Regierungskoalition schottet große Rüstungsvorhaben stärker gegen parlamentarische Kontrolle ab. Und im Haushaltsausschuss ist nun ein industrienaher CDU-Abgeordneter für das Verteidigungsbudget zuständig.
correctiv.org
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Martin Böhmer, Elena Kolb und Finn Schöneck.
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