Zweifel an Verfassungstreue: Joachim Pauls OB-Blockade ist ein Problem für die AfD
„Remigration“ à la Sellner: Der AfD–Abgeordnete Joachim Paul wurde von der OB-Wahl ausgeschlossen, weil es Zweifel an seiner Verfassungstreue gibt. Der Fall könnte für die AfD noch hohe Wellen schlagen.

Die AfD hat ein Problem mit Martin Sellner. Die Nähe ihrer Mitglieder, Funktionäre und Mandatsträger zu seinem verfassungswidrigen „Remigrationskonzept“ führt zu einer stärkeren Beobachtung durch den Verfassungsschutz und zu Niederlagen vor Gericht. Nun zerstört es auch politische Ambitionen: Der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul darf wegen der politischen Nähe zu Sellner nicht als Oberbürgermeister in Ludwigshafen kandidieren.
Martin Sellner, der Kopf der Identitären Bewegung, tourt seit 2023 mit einem „Remigrationskonzept“ durch Deutschland. Es zielt auch auf „nicht-assimilierte Staatsbürger“ ab, die durch „Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderte Gesetze“ aus dem Land gedrängt werden sollen. Dieses Konzept haben mehrere Gerichte seit 2024 als verfassungswidrig eingestuft, zuletzt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Aber Verfassungstreue ist in Deutschland eine grundlegende Anforderung für die Kandidatur zum Oberbürgermeister als politischer Beamter. Das hat im konkreten Fall nichts mit dem Entzug des passiven Wahlrechts zu tun. Die systematische Verfolgung verfassungswidriger Ziele durch eine Partei kann aber auch Grundlage für ein Parteiverbot sein. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah warnt daher seine Parteifreunde vor Sellners Konzept und rät ihnen, sich von Sellners völkischem Konzept zu distanzieren. Dennoch stellen sich viele AfD-Politiker wie Paul weiterhin auf Sellners Seite. Mit dem Fall Joachim Paul bekommt die Debatte eine neue Dimension.
CORRECTIV zeigt, wie es zu dem Ausschluss kam und warum die Causa Paul zu einem deutlich größeren Problem für die AfD werden könnte.
Zweifel an Verfassungstreue: Verfassungsschutz liefert Gutachten zu OB-Kandidat Paul
Das ist passiert: Den Stein ins Rollen brachte die Ludwigshafener Bürgermeisterin Jutta Steinruck in ihrer Funktion als Wahlleiterin. Sie wandte sich Mitte Juli an das rheinland-pfälzische Innenministerium und bat um Hinweise des Verfassungsschutzes zu AfD-Mann Joachim Paul.
Und die Behörde lieferte: In einem elfseitigen Dokument beschreibt der Verfassungsschutz Positionen, die Paul in Beiträgen veröffentlichte, welche rechtsextremen Personen er traf und welche Gruppen er unterstützte.
Mit diesen Informationen entschied der Wahlausschuss Ludwigshafen dann, Paul von der OB-Wahl auszuschließen. Der AfD-Mann wehrte sich mit einem Eilantrag, der ebenfalls abgeschmettert wurde. Paul und die AfD fahren aber weitere Geschütze auf: Der AfD-Politiker legte Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein, über die aber wohl nicht vor der Wahl am 21. September entschieden sein wird. Außerdem stellte er eine bislang unbeantwortete Kleine Anfrage im Landtag.
Alles wird in Bewegung gesetzt, um sich gegen den Vorgang zu wehren – offenbar weiß man, was auf dem Spiel steht: Paul könnte zu einem Präzedenzfall werden. Wer in Zukunft mit dem Sellner’schen Konzept wirbt, könnte seinen Platz auf dem Spielfeld der Demokratie verlieren.

Der Landtagsabgeordnete ist schon länger bekannt für seine Nähe zum rechtsextremen Vorfeld: Mit Martin Sellner zeigt er sich noch Anfang Juli gemeinsam freundlich bei Instagram, lud 2024 zu einer Filmvorführung, wie CORRECTIV bereits berichtete und zur „Messe des Vorfelds“ und 2025 einer „Stolzmonat“-Party in Koblenz ein und vernetzte sich beim COMPACT-Sommerfest und in Schnellroda mit den Köpfen aus Identitärer Bewegung und dem völkischen Lager der AfD.
Das entscheidende Detail: „Remigration“ nach Sellner wird AfD-Mann Paul zum Verhängnis
Zurück zur Wahl in Ludwigshafen: AfD-nahe Initiativen und Medien griffen die Einschätzung des Verfassungsschutzes an, die zu Pauls Blockade führte. Sie stürzten sich auf einen „Herr der Ringe“-Bezug, mit dem Paul seine Ideologie illustrierte. Oder drei Artikel zur Nibelungen-Saga, mit denen er auch Werbung für Rheinland-Pfalz und Nationalstolz forderte. Auch die Wahlleiterin, die das Gutachten initiierte, wurde angefeindet. Die Stadt Ludwigshafen teilte mit, dass mehrere Strafanzeigen gegen Angreifer gestellt wurden.
Doch ein Thema aus dem Gutachten umschiffen die AfD-Befürworter, die Paul zur Hilfe springen, offenbar bewusst: „Remigration“.
Denn die Einschätzung des Verfassungsschutzes attestiert Joachim Paul eine inhaltliche Nähe zum Konzept der „Remigration“ von Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung. „Im Sommer 2023 trat der Rechtsextremist Martin Sellner im Rahmen der „Remigrations-Tour“ im „Quartier Kirschstein“ auf (in dem sich auch das Wahlkreisbüro von Joachim Paul befindet) und präsentierte seine sogenannten Remigrationspläne einem breiten Publikum. Aufgrund des Social-Media-Auftritts Pauls kann von einer weiteren Vernetzung mit Sellner ausgegangen werden“, heißt es in dem Schreiben.
Noch eindeutiger ist wohl ein Vortrag zum Thema „Schicksalsfrage Einwanderung – Warum Remigration nötig und machbar ist“, den Paul Mitte November 2023 bei einer Burschenschaft hielt: „Erneut bezog sich Joachim Paul dabei auf die von der Identitären Bewegung geforderte erzwungene Rückführung von Migrantinnen und Migranten in ihre jeweiligen Herkunftsländer.“ Die Einschätzung zitiert Paul zudem an anderer Stelle mit der Aussage, „Remigration statt Unterwerfung“.
Sellner und seine Anhänger behaupten bei „Remigration“ eine „Freiwilligkeit“, das Land zu verlassen, aber davon „könne nicht gesprochen werden“, urteilten die Richter des Verwaltungsgerichts in München im Sommer 2024. Damit wird „Remigration“ zur Vertreibung. So ist Sellners Konzept, das unter dem Tarnbegriff der „Remigration“ Millionen Menschen aus Deutschland zu vertreiben sucht, darunter auch Staatsbürger, verfassungswidrig.
Da sind die Gerichte eindeutig: Wenn Afdler auch nur „nahe“ legen, eine „politische Zielsetzung“ verfolgen zu wollen, die „die rechtliche Gleichheit aller der Staatsbürger in Frage“ stellt, ist das „gegen die Menschenwürde“ und „verfassungswidrig“.
Das Schreiben des Verfassungsschutzes aus Rheinland-Pfalz bezieht sich auch auf die Urteilsbegründung der Richter in Münster und des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. So werden die politische Freundschaft zu Sellner und die inhaltliche Nähe zu dessen verfassungswidrigen Konzept der „Remigration“ als zentrale „Anhaltspunkte für ein Nichtvorliegen der Verfassungstreue des Bewerbers Paul“ angesehen.
Joachim Paul hat sich zu den Fragen von CORRECTIV, etwa zu seiner Nähe zu Sellner, nicht geäußert.
Folge aus Gerichtsurteilen: AfD drohen weitere Ausschlüsse bei Sellner-Nähe
Joachim Pauls Ausschluss von der OB-Wahl stellt die AfD vor ein neues Problem: Wenn der Fall Joachim Paul Schule macht, können weitere Personen von Wahlen für politische Beamte wie Oberbürgermeister ausgeschlossen werden. Künftig muss sich die Partei fragen, ob sich eine Kandidatin oder ein Kandidat für ein öffentliches Amt inhaltlich zu nah an der Identitären Bewegung und Sellners Konzept der „Remigration“ bewegt.
Entscheidender Auszug aus der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zum „Compact-Urteil“
Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen. Das ist bei dem sog. ‘Remigrationskonzept’ der Fall, das ein Vordenker der Identitären Bewegung, Martin Sellner, entworfen hat. Diese Vorstellungen missachten – jedenfalls soweit sie zwischen deutschen Staatsangehörigen mit oder ohne Migrationshintergrund unterscheiden – das sowohl durch die Menschenwürde als auch das Demokratieprinzip geschützte egalitäre Verständnis der Staatsangehörigkeit. Denn sie gehen von einer zu bewahrenden „ethnokulturellen Identität“ aus und behandeln deshalb deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Staatsbürger zweiter Klasse.
Joachim Paul ist nicht der erste Fall, in dem ein Kandidat wegen Zweifel an der Verfassungstreue von einer Wahl ausgeschlossen wurde. So gab es schon ähnliche Vorgänge, etwa gegen AfD-Mann Haik Jaeger, der 2025 im mecklenburg-vorpommerschen Neukloster antreten wollte. Schon 2010 wurde zwei NPD-Leuten in Schwerin und Ludwigslust die Kandidatur versagt. Im Fall Joachim Paul ist neu, dass sein Ausschluss auch explizit mit dem „Remigrationskonzept“ von Sellner begründet wird.
Blockade bei Verfassungstreue: Verfassungsrechtler Schwarz sieht über übertragbaren Grundgedanken
Der renommierte Verfassungsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz sieht im Fall von Paul eine Art Präzedenzfall. Schwarz erklärt: „Voraussetzung“, um ein öffentliches Amt auszuüben – also zum Beispiel das Oberbürgermeisteramt in Ludwigshafen – sei die „Verfassungstreue“ der Person. Sei diese nicht gegeben, könne ein „präventives Verbot“ beschlossen werden.
Wichtig zu beachten sei, dass nicht alle Kandidierenden, die für die AfD antreten, automatisch verfassungsfeindlich sind. Mache sich die Person aber die verfassungsfeindlichen Positionen Sellners „zu eigen“, könne sie in Zukunft von Wahlen ausgeschlossen werden.
Dies gelte allerdings nur für Personen, die im öffentlichen Dienst hoheitliche Funktionen wahrnehmen wollen: „Hier geht es um den Schutz des Einzelnen vor einer extremistischen Verwaltung“, erklärt Schwarz. Abgeordnete sind als Vertreterinnen und Vertreter des Volkes kein Teil des öffentlichen Dienstes. Bei Parlamentswahlen hieße es also weiterhin: „Solange eine Partei nicht verboten ist, darf sie extremistische Kandidaten aufstellen.“
Mitarbeit: Fiona Helmke, Sara Pichireddu
Redigat: Anette Dowideit, Jean Peters
Faktencheck: Jean Peters