St. Petersburg: Auf der Suche nach dem Masterplan
Einst trotzte man das „Venedig des Nordens“ einem Sumpfgebiet ab. Entsprechend verletztlich ist St. Petersburg, wenn nun die Pegel steigen. Einen Masterplan wie in Rotterdam gibt es aber noch lange nicht.
In den 1970er Jahren galt es als fortschrittlich, in einen der Plattbauten von Vasilij zu ziehen, einer Insel im Newa-Delta, dem modernsten Stadtbezirk im damaligen Leningrad. Die Sowjetbürger entflohen der Enge der Altbauten im historischen Stadtkern, manche Balkone der Plattenbauten auf der Vasilij-Insel hatten Meerblick. Bis heute wohnen mehr als 200.000 Menschen in direkter Küstennähe. Sie alle werden betroffen sein vom Anstieg des Meeresspiegels.
Im 18. Jahrhundert rang der Zar Peter der Große die Stadt buchstäblich dem Wasser ab. Nur wenige Meter über dem Meeresspiegel ließ er im Sumpfgelände der Newa-Mündung die damalige russische Hauptstadt bauen. Um die Gebäude zu gründen, wurden Holzpfähle in den morastigen Grund getrieben. Wegen der vielen Kanäle gilt die Stadt als das russische Venedig. Über fünf Millionen Menschen leben heute auf den 42 Inseln, St. Petersburg ist eines der wirtschaftlichen Zentren Russlands. Raffinerien, Rüstungsbetriebe und Werkzeugfabriken befinden sich in Küstennähe, der Hafen ist der wichtigste in Russland.
Seit jeher hat die Stadt mit Überschwemmungen zu kämpfen. Über 300 Mal wurde St. Petersburg in seiner 300-jährigen Geschichte von Fluten heimgesucht. Noch zu Sowjetzeiten in den 1970iger Jahren begann die Planung eines Sturmwehrs, das den finnischen Meerbusen von der Stadt abtrennt. Also lange bevor Klimawandel und der dadurch resultierende Anstieg des Meeresspiegels zum Thema wurden.
Der 25 Kilometer lange Sankt Petersburger Damm über die Insel Kotlin wurde 2011 fertig gestellt, durch zwei Tore können die Schiffe ihn passieren. Der Bau des Dammes hat über drei Milliarden Euro gekostet. Seit der Inbetriebnahme habe der Damm die Stadt vor über einem Dutzend Überschwemmungen geschützt, heißt es stolz in einem Werbefilm zu seinem fünfjährigen Bestehen.
Aber nun steht die Stadt vor einer weiteren Herausforderung: den Anstieg des Meeresspiegels in Folge des Klimawandels.
Der Klimawandel und seine Auswirkungen sind in Russland vor allem für Wissenschaftler ein Thema. Unter ihnen gilt Walerij Malinin von der Russischen Akademie für Naturwissenschaften als einer der führenden Experten. Russland, sagt Malinin, grenze an fünf Meere, an allen Küsten werde der Anstieg des Meeresspiegels gemessen, „aber die Stadt, die am meisten von den Folgen des Klimawandels betroffen wäre, ist St. Petersburg.“ Denn, so der Forscher: „Wenig trennt die Stadt vom Meer.“ Und das Meer rückt näher. In einer Studie beschreibt der Professor, dass jedes Jahr bis zu drei Meter Strand in Stadtnähe von St.Petersburg verloren gehen.
Neben dem Dammbau gibt es viel zu tun. Nach Überzeugung des Professors benötigt die Stadt ein Gesamtkonzept.
Ginge es nach ihm, hätte die Stadtverwaltung von St. Petersburg längst dem Beispiel Rotterdams folgen müssen. Seit 2008 arbeitet man in der niederländischen Hafenstadt daran, sich gegen den Anstieg des Meeresspiegels zu wappnen. Rotterdam ist mit seinen 1,3 Millionen Menschen wesentlich kleiner als Moskau. „Aber Rotterdam hat die Zeichen der Zeit erkannt“, sagt Malinin. Je eher man mit den Vorbereitungen beginne, desto besser.
Erst langsam kommen die politisch Verantwortlichen in St. Petersburg in die Gänge. Nach vielen Aufsätzen und Konferenzen zum Thema hat sich die Stadtverwaltung entschlossen, ebenfalls einen Masterplan zu erarbeiten, um Bevölkerung und Industrie auf den Anstieg des Meeresspiegels vorzubereiten. Doch noch ist nichts konkret.
Noch etwa fügt der russische Professor hinzu: Selbst wenn es gelänge, die Erderwärmung in absehbarer Zukunft zu drosseln, die Meere würden sich weiter ausdehnen. Weil es Jahrzehnte dauere, bis eine Klimaänderung ankomme in den Tiefen des Ozeans.