Teaser Bild des CORRECTIV Spotlight Newsletters

Diese für Audio optimierte Kompaktfassung des täglichen Spotlight-Newsletters ist von einer KI-Stimme eingelesen und von Redakteuren erstellt und geprüft.

Autor Bild Anette Dowideit

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn man in Sozialen Netzwerken unterwegs ist, entkommt man momentan kaum diesem Thema: dem Canceln. Mehrere Medienmenschen stehen im Fokus. Da ist zum einen der krasse Fall aus den USA, Jimmy Kimmel – einer der bekanntesten Comedians des Landes, dem nun auf Geheiß der Trump-Regierung seine Sendung weggenommen wird. 

Zum anderen werden zwei Vorgänge aus Deutschland diskutiert. Der eine ist über die eher progressiv verortete ZDF-Moderatorin Dunja Hayali: Sie zieht sich erst einmal aus der Öffentlichkeit zurück, um dem Niederbrüllen und den Morddrohungen eines rechten Mobs im Netz zu entgehen. Der andere ist die konservativ verortete Nachwuchsmoderatorin Julia Ruhs, die der NDR jetzt vom Sender nimmt. 

Ist das wilde Canceln jetzt wieder losgebrochen, auf beiden Seiten? Wir ordnen im Thema des Tages ein.

Gestern hatten wir ja unser neues Projekt zur Wärmewende in Baden-Württemberg gestartet, und der Zulauf ist riesig – allein am ersten Tag haben schon 700 Leute teilgenommen. Falls Sie noch nicht mitgemacht haben, aber gern mögen, hier entlang. Im SPOTLIGHT lesen Sie heute außerdem: Eine neue CORRECTIV-Recherche zeigt, dass manche Schlachthöfe in Deutschland mehr Wasser verbrauchen als der Autobauer Tesla. 

Ich würde gern Ihre Meinung zur aktuellen Cancel-Debatte lesen. Schreiben Sie mir gern: anette.dowideit@correctiv.org.

Thema des Tages: Gecancelt!

Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste

Faktencheck: Irreführender Kettenbrief – was die KI auf Whatsapp darf, und was nicht

Gute Sache(n): AfD in den Kommunen: Hält die Brandmauer auch lokal? • Autonomer Bus im ländlichen Raum • Albanien: KI-Ministerin gegen Korruption

CORRECTIV-Werkbank: Zur Waffengewalt in den USA

Grafik des Tages: In Deutschland wird sehr hohes Vermögen meist ererbt

Von Trumps Regierung gecancelt: US-Moderator Jimmy Kimmel. Quelle: picture alliance / abaca | Collin Xavier/Image Press Agency/ABACA

Kimmel ist einer der bekanntesten Comedians der USA, er hat seit langem eine Late-Night-Show auf dem TV-Sender ABC. Jetzt aber hat der Sender, der zum Disney-Konzern gehört, seine Show auf unbestimmte Zeit abgesetzt. Grund: Kimmel hatte darin zum tödlichen Attentat auf den US-Populisten Charlie Kirk gesagt:

„Wir haben am Wochenende neue Tiefpunkte erreicht, als die MAGA-Gang verzweifelt versuchte, diesen Jungen, der Charlie Kirk ermordet hat, als irgendetwas anderes als einen von ihnen darzustellen und alles tat, um daraus politische Punkte zu schlagen.”
Jimmy Kimmel
US-Comedian

Die US-Medienaufsichtsbehörde FCC, die Trump unterstellt ist, drohte dem Sender mit Repressionen – und der Sender knickte ein.

Was jetzt in Deutschland daraus gemacht wird:
In Sozialen Netzwerken kann man den Eindruck gewinnen: Das, was gerade mit mehreren Medienköpfen auf der Welt passiert – und zwar sowohl mit solchen, die politisch eher links als auch eher rechts oder konservativ verortet sind – sei dasselbe: canceln, wenn die politische Meinung nicht passt.

Das stimmt aber nicht – eine differenzierte Einordnung mit Blick auf jeden einzelnen Fall ist notwendig. 

Dass Kimmel in den USA vom Bildschirm verbannt wurde, ist ein extrem ernster Verstoß gegen die Prinzipien demokratischer freier Meinungsbildung – eine autoritäre staatliche Repression gegen die Meinungs- und die Pressefreiheit. Wenn man keine Scherze mehr über die Regierung machen darf, wenn die verantwortlichen Sender unter Druck gesetzt werden, dann gibt es keine echte Meinungsfreiheit mehr.

In Deutschland liegen die aktuell diskutierten Fälle anders – staatliche Autoritäten spielen hier keine Rolle. Im Einzelnen:

Der Fall Dunja Hayali:
Auch bei den aktuellen Vorgängen um die ZDF-Moderatorin geht es um das Attentat auf Charlie Kirk. Im Heute Journal hatte Hayali Charlie Kirk als „extremen und extrem umstrittenen“ und als „radikal religiösen Verschwörungsanhänger“ bezeichnet.

Moderatorin Dunja Hayali vor ein paar Tagen beim „Deutschen Fernsehpreis“ in Köln. Quelle: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Das klingt erstmal nicht nach einer krassen, linksradikalen Meinungsäußerung. In Sozialen Netzwerken – wo Hayali sowieso schon häufig angefeindet wird – sahen das aber viele Nutzer anders. Es hagelte Hassbotschaften gegen die Moderatorin, die offenbar weit über die bisherigen Anfeindungen gegen sie hinausgingen. Und gleich mehrere wünschten ihr den oder drohten ihr mit dem Tod.

Hayali schrieb daraufhin in einem Post, sie werde deshalb vorübergehend eine Social-Media-Pause machen. 

Keine Frage, der Hass ist ungerechtfertigt, er ist unnötig, er treibt die Spaltung der Gesellschaft voran. Aber ist es schon „canceln“? Zumindest nicht vom Sender selbst: Das ZDF steht zu Hayali. 

Und das ist wichtig: dass Medien – egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat – Rückgrat zeigen, wenn ein externer Mob versucht, jemanden niederzubrüllen. Dass sie dafür stehen, dass Meinungen gesagt werden können, wenn sie innerhalb des verfassungsrechtlich Erlaubten liegen. Was uns zum zweiten derzeit in Deutschland heiß diskutierten Fall führt.

Der Fall Julia Ruhs:
Ruhs ist ebenfalls TV-Moderatorin, 31 Jahre alt, politisch konservativ verortet. Ruhs kennen die meisten Leute wahrscheinlich gar nicht durch die Sendung, die sie seit ein paar Monaten moderiert, sondern durch die kontroverse Berichterstattung darüber. Es gab Kritik daran (auch von Mitarbeitern des NDR), dass sie die deutsche Migrationspolitik emotionalisiert und einseitig negativ darstellte und Corona-Maßnahmen der damaligen Bundesregierung übertrieben kritisierte. Was in seiner Emotionalisierung an den Sound von Rechtspopulisten erinnert.

Klar heißt ihre Sendung, verantwortet wird sie von NDR und BR. Hier sind die Folgen anzusehen, damit Sie sich ein eigenes Bild machen können. Ruhs vermarktete sich in den vergangenen Monaten recht erfolgreich als letzte Bastion gegen die vermeintliche links-grüne, woke Meinungsdiktatur im öffentlich-rechtlichen Sender. 

In einem Interview mit dem Spiegel sagte sie kürzlich übrigens, sie habe 2017 ein Praktikum bei CORRECTIV gemacht, und dort habe sie sich fehl am Platze gefühlt. Ich habe in unserer Redaktion herumgefragt, es erinnerte sich niemand an die Praktikantin; deshalb habe ich sie selbst angeschrieben. Ich wollte mehr darüber wissen, welche Erfahrungen sie genau gemacht hat. Bisher hat sie sich nicht zurückgemeldet.

Moderatorin Julia Ruhs im Mai in der Sendung „Maischberger“. Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress | Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres

Jetzt jedenfalls hat der NDR entschieden: In seinem Namen werde Ruhs nicht mehr moderieren. Hier geht es zur Pressemitteilung der Sendeanstalt. Aber: Sie bleibt demnach weiter Moderatorin für die vom Bayerischen Rundfunk verantworteten Folgen.

Was davon zu halten ist:
Im Grunde ist unklar, weshalb der NDR sich zu dem Schritt entschieden hat, also ob er vor Druck von innen und außen eingeknickt ist – oder ob er die Inhalte der Sendungen journalistisch nicht sauber fand.

Beides wäre fatal. Ein Einknicken – in diesem Fall vor einer lauten Meinungsmache im Netz und in der Belegschaft – zeigt kein Rückgrat. Und sollte es dem Sender dagegen um unsaubere journalistische Arbeit gegangen sein, dann wäre auch dies kein valides Argument. Denn gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es derart viele Abnahme-Schleifen vor Veröffentlichungen, derart viele vorgesetzte Redakteurinnen und Redakteure, da kann es nicht sein, dass Faktenfehler in großer Menge durchrutschen.

Jedenfalls ist es in der aktuellen, aufgeheizten Stimmung äußerst unklug vom Sender: Erst eine Sendung konzipieren, die bewusst anecken soll, um dann wieder den Stecker zu ziehen, wenn Gegenwind kommt.

Fazit:
Unter dem Strich wird zwar vielleicht versucht, Kunst- und Medienschaffende mundtot zu machen – und das (siehe Hayali) gerne auch von der rechten Blase. Die paradoxerweise häufiger behauptet, man dürfe „gar nichts mehr sagen“ – und jetzt bei Ruhs unterstützend ruft, ihr Sendeabbruch sei „Canceln“ und „links-grüne Meinungsmacht“. Aber Fakt ist: Bei uns in Deutschland ist es nicht so leicht, jemanden komplett zu canceln.

Trump will Antifa als Terrororganisation einstufen
US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, die Antifa-Bewegung in den USA als „terroristische Organisation“ einzustufen. Die Ankündigung erfolgt eine Woche nach dem Attentat auf den rechtsnationalen US-Aktivisten Charlie Kirk. Trump hatte in den vergangenen Tagen wiederholt die angeblich hasserfüllte Rhetorik „radikaler Linke“ für die Tat verantwortlich gemacht.
tagesschau.de

Handy auf dem ein Chat mit Meta AI, der KI auf Whatsapp zu sehen ist
Foto: Jonathan Raa / Nurphoto / Picture Alliance

So geht’s auch
Bei vielen Betrieben des öffentlichen Nahverkehrs herrscht Personalmangel. Können autonome Fahrzeuge helfen? In Burgdorf bei Hannover fährt seit dieser Woche ein autonomer Bus im Testbetrieb. Mit seinen elf Haltestellen soll er die Anbindung im ländlichen Raum verbessern. 
heise.de    

Fundstück
Albanien will als erster Staat weltweit eine digitale KI-Ministerin ernennen. Die von Künstlicher Intelligenz erschaffene Figur trägt den Namen „Diella“ (übersetzt: Sonne) und soll die Korruption eindämmen. Das verkündete der im Mai wiedergewählte Premierminister Edi Rama. Die KI-Ministerin werde mit allen Entscheidungen über öffentliche Ausschreibungen betraut sein und soll so vollständige Transparenz herstellen.
focus.de


Aber vielleicht haben Sie nichts von einer zweiten Schießerei gehört, die sich zehn Minuten später in einer 760 Kilometer westlich gelegenen Highschool ereignete. Dort verletzte ein Teenager mindestens zwei Mitschüler schwer und tötete sich anschließend selbst.

Oder von dem Vorfall im letzten Monat, bei dem ein Amokläufer in einer katholischen Schule in Minneapolis zwei Kinder erschoss und 17 weitere verletzte.

Oder kurz zuvor, als zwei demokratische Abgeordnete aus Minnesota – zusammen mit ihrem Hund – von einem als Polizist getarnten Amokläufer ermordet wurden.

All diese Ereignisse standen in keinem Zusammenhang miteinander, abgesehen von einer offensichtlichen Gemeinsamkeit: Waffen. 

Die USA haben mehr Waffenbesitzer pro Kopf – und mehr Todesfälle durch Schusswaffen – als jedes andere Land der Welt. Im Jahr 2023 starben laut den Centers for Disease Control and Prevention fast 47.000 Menschen an Schussverletzungen. Im vergangenen Jahr reichten diese Statistiken aus, damit der US-Sanitätsinspektor Waffengewalt zu einer Krise der öffentlichen Gesundheit erklärte. Sie reichten jedoch nicht aus, um den Kongress zu einer sinnvollen Regulierung von Schusswaffen zu bewegen. 

An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Leonie Georg und Sebastian Haupt.