Drohnen

Unstrukturierte Erfassung: Behörden tappen bei Drohnenmeldungen im Dunkeln

Sichtungen über Militär-Standorten und Einrichtungen der kritischen Infrastruktur sorgen für Verunsicherung. Das BKA bestätigt nun vermehrte Meldungen von Drohnenflügen und spricht auf Anfrage von CORRECTIV von einer „niedrigen, vierstelligen Zahl". Eine Abfrage bei den Bundesländern offenbart Chaos bei der Erhebung der Daten.

von Ulrich Kraetzer

Drohnen-Verbotsschild, Drohne am Himmel und startendes Flugzeug, Symbolfoto Drohnenverbot an Flughäfen, Fotomontage
Drohnen-Verbotsschild, Drohne am Himmel und startendes Flugzeug, Symbolfoto Drohnenverbot an Flughäfen, Fotomontage picture alliance / CHROMORANGE | Christian Ohde

Sie tauchten über Kasernen und Kraftwerken auf, wurden über Regierungsgebäuden und anderen öffentlichen Gebäuden gesichtet – und in Oslo, Kopenhagen und München sorgten sie sogar dafür, dass zwischenzeitlich der Flugbetrieb eingestellt werden musste: Verdächtig erscheinende Drohnenflüge bestimmten zuletzt die Nachrichtenlage. Das Ausmaß der Bedrohung blieb aber offen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) bestätigte nun, dass über Rüstungsunternehmen, militärischen Einrichtungen und solchen der kritischen Infrastruktur „zuletzt vermehrt“ Drohnen gesichtet worden seien. Die genaue Zahl sei allerdings als Verschlusssache eingestuft, sagte ein Sprecher des BKA. Auf Nachfrage von CORRECTIV nannte die Behörde aber erstmals eine ungefähre Größenordnung: Bis zum 1. Oktober registrierte das BKA über Rüstungsunternehmen, militärischen Einrichtungen und solchen der kritischen Infrastruktur im laufenden Jahr demnach „eine niedrige, vierstellige Anzahl von Drohnenüberflügen“.

Welche Aussagekraft die Angaben haben, bleibt allerdings unklar. Denn Details zur Herkunft der Daten und den Erfassungsmethoden nannte das BKA nicht. Ein Sprecher sagte lediglich: „Aus der derzeitigen Informationslage lassen sich keine belastbaren und allgemeingültigen Aussagen ableiten.“ Grund sei die „Heterogenität der Sichtungen“.

Flickenteppich bei Drohnensichtungen der Länder

Polizeiarbeit ist in Deutschland in erster Linie Ländersache. Das gilt auch für Rechtsverstöße bei Drohnenflügen. Um mehr Klarheit zu erlangen, fragte CORRECTIV daher die Polizeibehörden der 16 Bundesländer, wieviele rechtswidrige Drohnenüberflüge sie in den vergangenen Jahren registrierten – und nach welchen Kriterien diese erfasst werden.

Ein aussagekräftiges Lagebild lässt sich anhand der Antworten allerdings nicht zeichnen. Denn die Länder erfassen die Daten sehr unterschiedlich. Einheitliche Kriterien sind nicht erkennbar.

Die Polizeibehörden in Hamburg, Sachsen-Anhalt und das Landeskriminalamt Bayern teilten mit, dass man Daten zu Drohnenflügen nicht erfasse. Das Landespolizeiamt Schleswig-Holstein versicherte auf Anfrage zwar, Meldungen über verdächtige Drohnenflüge zu registrieren, weigerte sich aber, Zahlen zu nennen. Bremen teilte lediglich mit, Drohnen über kritischer Infrastruktur, Häfen und Einrichtungen der Rüstungsindustrie würden „teils mehrfach in der Woche“ gesichtet. Aus dem Saarland hieß es pauschal, die Meldungen hätten zugenommen.

Systematische Erfassung oft erst seit 2025

Hessen erfasst Drohnenflüge über Bundeswehr-Liegenschaften und Einrichtungen der kritischen Infrastrukturen erst seit Anfang dieses Jahres systematisch. Die Polizei registrierte nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr 2025 neun solcher Drohnenflüge. In Niedersachsen, wo eine systematische Erfassung ebenfalls erst seit Anfang dieses Jahres erfolgt, registrierten die Behörden bis Anfang Oktober laut Landeskriminalamt dagegen Drohnenüberflüge mit einer vermuteten politischen Motivation „im niedrigen dreistelligen Bereich“.

In Sachsen wurden laut Landeskriminalamt im laufenden Jahr bis Anfang Oktober neben zehn Ordnungswidrigkeitsverfahren auch zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen verbotenen Drohnenflügen eingeleitet und zwei sogenannte „Gefahrenabwehrvorgänge“.

82 „verdächtig erscheinende Drohnenflüge“ in NRW

Nordrhein-Westfalen erfasste Sichtungen von Drohnen über Behörden, Regierungs- und Parlamentsgebäuden, Krankenhäusern, Flughäfen und Industrieanlagen, sowie Organisationen mit Sicherheitsaufgaben laut Innenministerium bereits vor 2025. Im Jahr 2022 wurden den Polizeibehörden den Angaben zufolge 36 solcher Drohnenflüge gemeldet. Nach einem leichten Rückgang in 2023 stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 64. Im laufenden Jahr gingen bei der Polizei allein bis Anfang September bereits 82 Meldungen über verdächtig erscheinende Drohnenflüge ein.

In Mecklenburg-Vorpommern ist kein eindeutiger Trend erkennbar. Im Jahr 2022 erfassten die Behörden nach eigenen Angaben 50 Drohnensichtungen über militärischen und Industrieanlagen, sowie Gebäuden von Polizei und Justiz und Einrichtungen der kritischen Infrastruktur. Ein Jahr später sank die Zahl auf 21 Sichtungen. Im vergangenen Jahr gab es 38, und im laufenden Jahr bis September 13 verdächtig wirkende Drohnenflüge.

Thüringen erfasste im vergangenen Jahr 62 Drohnensichtungen, im laufenden Jahr gab es bis einschließlich September 25 Meldungen. Nach welchen Kriterien die Erfassung erfolgt – ob die Zahlen beispielsweise nur Straftaten oder auch Ordnungswidrigkeiten umfassen, und welche Rolle eine politische Motivation bei der Registrierung spielte – teilte die Thüringer Landespolizei nicht mit.

„Keine valide Aussage“

Brandenburg erfasst Sichtungen in einer eigens dafür eingerichteten „Informationssammelstelle“. Laut Innenministerium erlaubt die Statistik allerdings „hinsichtlich der Qualität der Vorkommnisse keine valide Aussage“. Baden-Württemberg führt keine gesonderte Statistik über Drohnensichtungen. Das Landesinnenministerium nannte auf Anfrage ersatzweise Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik. Diese schließen allerdings Fälle ein, bei denen Drohnen offenkundig nicht zu Spionage- oder Sabotagezwecken zum Einsatz kamen, sondern beispielsweise zum Ausspähen der „höchstpersönlichen Lebensbereiche“ genutzt wurden.

Rheinland-Pfalz registrierte zwischen 2022 und 2024 jeweils zwischen zwei und sechs Strafverfahren zu Drohnenflügen. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres waren es 22. Zu den vermuteten Hintergründen der Sichtungen machte das Innenministerium keine Angaben. Die Polizei Berlin teilte mit, keine eigene Statistik zu Drohnensichtungen zu führen und verwies ersatzweise ebenfalls auf die Zahl der Ermittlungsverfahren, die wegen mutmaßlich rechtswidriger Drohnenflügen eingeleiteten wurden.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Bundesländer bei der Erfassung verdächtiger Drohnenflüge unterschiedliche Kriterien anlegen. Vergleichen lassen sich die Zahlen somit nicht. Auf welcher Grundlage das Bundeskriminalamt seine Zahlen erhebt, bleibt unklar.

Auch die entscheidende Frage bleibt offen: Wird Deutschland tatsächlich immer stärker von Drohnen bedroht? Oder hat es das Putin-Regime – so es denn tatsächlich verantwortlich sein sollte – mit überschaubarem Aufwand geschafft, Verunsicherung hervorzurufen, obwohl die tatsächliche Bedrohung durch Drohnenflüge eher überschaubar ist?

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), hier bei einem Besuch beim Luftwaffenausbildungsbataillon Germersheim, warnt vor Hysterie.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mühte sich zuletzt jedenfalls, Gelassenheit zu demonstrieren. Vor Journalisten sagte er kürzlich im Bundestag: „Wir sollten in dieser Frage einen kühlen Kopf bewahren.“ Eine mögliche Bedrohung durch Drohnenflüge müsse man ernst nehmen. „Wenn wir aber in Deutschland in Angst oder gar in Hysterie verfallen sollten, was das Thema Drohnen angeht, freut das am Ende nur einen, und der sitzt im Kreml.“ Pistorius machte aber auch deutlich, dass die Kriterien und Methoden zur Erfassung der Gefahr durch Drohnenflüge nachgeschärft werden müssen. „Wir brauchen ein 24/7- und 360-Grad-Lagebild über alles, was passiert“, sagte der Minister im Podcast Table Today.

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Vor Panikmache warnt auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Die Kollegen berichten uns regelmäßig, dass Bürgerinnen und Bürger immer dann besonders viele verdächtig erscheinende Drohnen melden, wenn das Thema in den Nachrichten präsent ist“, sagte der Sprecher der Berliner GdP, Benjamin Jendro auf Anfrage von CORRECTIV.

Die Gewerkschaft mahnte aber auch einheitliche Kriterien zur Erfassung verdächtiger Drohnenflüge und klarere Regelungen über die Zuständigkeiten für deren Abwehr an. „Wir können bei einem Ernstfall nicht anfangen, uns gegenseitig E-Mails darüber zu schreiben, wer denn nun über welchem Gebäude für die Abwehr von Drohnen zuständig ist“, sagte Jendro. „Die Politik hat es bei dem Thema leider versäumt, rechtzeitig die nötigen Entscheidungen zu treffen.“

Redigatur und Faktencheck: Elena Kolb

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