Femizide: Ist Deutschland gegen geschlechtsspezifische Gewalt auf dem richtigen Weg?
Mehr als zwei Frauen pro Tag werden in Deutschland Opfer eines Tötungsversuchs. Die Mehrheit der Täter: (Ex-)Partner. Expertinnen fordern bessere Beratungsangebote, verpflichtende Fortbildungen für Polizei und Justiz und mehr Platz in Frauenhäusern. Die SPD will Femizide im Strafgesetzbuch verankern. Kann das helfen?
Der gefährlichste Mensch im Leben vieler Frauen ist oft kein Fremder auf der Straße – sondern der eigene (Ex-)Partner in den eigenen vier Wänden. Das zeigen nicht nur zahlreiche Zuschriften, die CORRECTIV in den vergangenen Tagen erreicht haben. Auch die Lagebilder des Bundeskriminalamts (BKA) zu häuslicher und zu geschlechtsspezifischer Gewalt, vorgestellt am 21. November, zeigen einen neuen Negativrekord: 266.000 Menschen wurden 2024 Opfer häuslicher Gewalt, mehr als 70 Prozent davon Frauen. 308 Frauen und Mädchen kamen durch Gewalt ums Leben – in 191 Fällen waren Partner, Ex-Partner oder Angehörige die Täter.
In einer Auswertung des Deutschen Instituts für Menschenrechte heißt es: „Mehr als zwei Frauen oder Mädchen pro Tag werden Opfer eines (vorsätzlich) versuchten oder vollendeten Tötungsdelikts.“

Viele Zahlen liegen im Verborgenen – Dunkelfeldstudie soll aufdecken
Das tatsächliche Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt dürfte indes noch größer sein. Denn viele Betroffene zeigen die Taten nie an: aus Angst oder aus Scham, weil sie von den Tätern finanziell oder in anderer Weise abhängig sind, oder weil sie glauben, dass ihnen ohnehin niemand helfen wird. Häusliche Gewalt bleibt somit dort, wo sie sich ereignet: hinter verschlossenen Türen.
Das Innen- und das Familienministerium sowie das Bundeskriminalamt (BKA) wollen das Dunkelfeld aufhellen. Im Rahmen der Studie LeSuBiA („Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag“) führten Sozialwissenschaftler von Juli 2023 bis Januar 2025 rund 15.000 Interviews durch. Die Ergebnisse der Befragungen sollen Anfang kommenden Jahres vorgestellt werden.
Eine der dabei gewonnenen Erkenntnisse teilte BKA-Präsident Holger Münch aber bereits jetzt mit:
„Nur ein Bruchteil der tatsächlich erlebten Gewalt wird zur Anzeige gebracht.“
Holger Münch
Präsident Bundeskriminalamt

(Symbolfoto. Quelle: Unsplash)
Unternimmt Deutschland genug gegen Gewalt an Frauen?
Nein – so jedenfalls lässt sich eine Antwort des Familienministeriums zusammenfassen, dass das Haus von Ressortchefin Karin Prien auf Anfrage von CORRECTIV übermittelte.
Geschlechtsspezifische Gewalt und häusliche Gewalt gegen Frauen seien in Deutschland „alltägliche Realität“, heißt es in der Antwort. Eine Sprecherin des Ministeriums sagte außerdem:
„Nach wie vor finden in Deutschland nicht alle gewaltbetroffenen Frauen die Hilfe und Unterstützung, die sie brauchen.“
Sprecherin
Familienministerium
Das Angebot an Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen sei nicht flächendeckend. Bei der Versorgungsdichte bestünden im Bundesgebiet „erhebliche Unterschiede“. Außerdem fehlten Kapazitäten in Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen. „Darüber hinaus verhindern fehlende passgenaue Angebote für Frauen mit besonderen Bedarfen, wie zum Beispiel Frauen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, oftmals den Zugang zu Schutz- und Beratungsangeboten.“
Das Ministerium verweist aber auch auf Verbesserungen, die bereits auf den Weg gebracht worden seien – vor allem auf das Gewalthilfegesetz. Das Paragrafenwerk war, nach langen Debatten, Anfang dieses Jahres verabschiedet worden, auf den letzten Metern der vergangenen Legislaturperiode. Neben den damaligen Regierungsfraktionen SPD und Grüne unterstützten bei der Abstimmung mehrheitlich auch die Abgeordneten aus CDU und Linke das Gesetz.
Das Gesetz verschafft Frauen, die misshandelt oder verprügelt, sexuell missbraucht oder auf andere Weise malträtiert wurden, erstmals einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz. Frauen sollen nicht mehr darauf hoffen müssen, dass eine Beratungsstelle Zeit für sie hat, oder dass ein Frauenhaus zufällig über einen freien Platz verfügt. Laut Gesetz sollen sie ihr Recht auf Schutz und Beratung einklagen dürfen. Der Bund stellt den Ländern für einen flächendeckenden Ausbau der Einrichtungen von 2027 bis 2036 rund 2,6 Milliarden Euro bereit.
Der Haken: Die Pflicht zum Ausbau eines kostenfreien Schutz- und Beratungsangebotes gilt erst ab 2027. Auf ihren Rechtsanspruch können sich Frauen laut Gesetz erst ab 2032 berufen.
Eine Fußfessel soll Betroffene vor Tätern schützen
Das Justizministerium verweist auf Anfrage zudem auf die geplante Einführung einer sogenannten elektronischen Fußfessel für verurteilte Gewalttäter nach dem Vorbild Spaniens. Das heißt: Neben dem Gerät, das den Täter überwacht, soll es auf Wunsch ein Zweitgerät für die gewaltbetroffene Person geben. Dieses zeigt an, wenn der Täter sich dem Opfer unerlaubt nähert. Eine Stelle überwacht das Annäherungsverbot technisch und wird automatisch alarmiert, wenn der gerichtlich festgelegte Mindestabstand zwischen Gewalttäter und Betroffener unterschritten wird.
Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) sagte hierzu: „Die Einführung der elektronischen Fußfessel für Gewalttäter wird nur eine Maßnahme von vielen sein. Wir werden außerdem das Strafrecht verschärfen – insbesondere für Vergewaltigungen unter Einsatz von K.O.-Tropfen. Und wir müssen den Opferschutz im Gerichtsverfahren stärken: Betroffene brauchen ein Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung.“

Weitere Gesetzesänderungen sollen den Schutz vor häuslicher Gewalt zusätzlich verbessern: Familiengerichte sollen Gewalttäter zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen, etwa Anti-Gewalt-Trainings, verpflichten können. Bei Verstößen gegen Annäherungsverbote soll die mögliche Höchststrafe von zwei auf drei Jahre angehoben werden. Und zuletzt sollen Familiengerichte für eine verbesserte Gefährdungsanalyse Auskünfte aus dem Waffenregister einholen dürfen.
Was Deutschland auf den Weg gebracht hat
- Die Anerkennung der Vergewaltigung in der Ehe als eigenständiger Straftatbestand seit 1997, wodurch sexuelle Gewalt gegen Ehefrauen nicht mehr als Privatsache galt, sondern strafrechtlich verfolgt werden kann.
- Im Januar 2025 hat der Bundestag das Gewalthilfegesetz beschlossen: Es soll sicherstellen, dass gewaltbetroffene Frauen einen kostenfreien Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung haben. Im Gewalthilfegesetz verpflichtet sich die Regierung also zur „Prävention, einschließlich Maßnahmen, die sich an gewaltausübende Personen richten“. Man möchte also vor allem Männer davon abhalten, ihre Taten zu wiederholen oder überhaupt erst zu Tätern zu werden.
An diesem Versprechen wird die Regierung in den kommenden Jahren gemessen werden. Der Bund beteiligte sich mit 2,6 Milliarden Euro an der Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen, um die bisherige Unterversorgung zu beheben. Der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung gilt aber erst ab dem 1. Januar 2032.
- Das Gewaltschutzgesetz gibt es seit 2001. Es bietet Schutz vor Gewalt und Stalking, sowohl im häuslichen Bereich als auch außerhalb von Paarbeziehungen. Es ermöglicht Gerichten beispielsweise, einem gewalttätigen Partner das Betreten der Wohnung des Opfers zu verbieten oder die Ausweisung aus der gemeinsamen Wohnung im Eilverfahren zu verhängen.
- In Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2022 die sogenannte „Tarn-App“. Die App läuft versteckt auf dem Smartphone. Durch Eingabe eines Codes gelangt man zu den Inhalten des Opferschutzportals Nordrhein-Westfalen. So soll sichergestellt werden, dass der Täter aus dem eigenen Umfeld nicht vom Hilfegesuch mitbekommen.
Ist Deutschland beim Kampf gegen Gewalt gegen Frauen also auf dem richtigen Weg?
Expertinnen bezeichnen vor allem die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes und den darin festgeschriebenen Ausbau von Beratungs- und Schutzangeboten als Meilenstein. Sie fordern aber zugleich mehr Tempo.
Schutzmaßnahmen müssen besser aufeinander abgestimmt werden. „Die Politik muss daher den Schutz und die Hilfsangebote konsequent ausbauen und einen Schutzplatz für jede Betroffene garantieren. Nicht erst im Jahr 2032, sondern jetzt“, sagt Müşerref Tanrıverdi, Leiterin der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Tanrıverdi verweist auf die sogenannte Istanbul-Konvention, ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, das 2017 auch von Deutschland ratifiziert wurde. Die Unterzeichner-Staaten verpflichteten sich darin, die Hilfs- und Schutzangebote für von Gewalt betroffene Frauen zu verbessern, und mehr in die Prävention zu investieren. Die Verabredungen sind völkerrechtlich verbindlich. Deutschland hält sie nach Ansicht von Stellen, die die Umsetzung der Istanbul-Kovention überwachen sollen, aber nicht ein.
Tanrıverdi nennt Zahlen: Im Jahr 2022 seien „tausende Frauen“ aus Platzmangel von Schutzeinrichtungen abgewiesen worden. Nur 14 Prozent der Schutzhäuser und nur knapp sieben Prozent der Beratungsstellen seien finanziell dauerhaft abgesichert gewesen.
Was ist die Istanbul-Konvention?
Deutschland hat sich durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention dazu verpflichtet, alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu verhüten und zu bekämpfen. Das Übereinkommen des Europarates wurde 2011 als völkerrechtlicher Vertrag seitens des Europarates ausgefertigt. Es beinhaltet 81 Artikel zum Schutz vor Gewalt. 2017 wurde der Vertrag von Deutschland ratifiziert und ist seit dem 1. Februar 2018 rechtlich verbindlich. Damit verpflichtet sich Deutschland zur Bekämpfung von Gewalt, zum besseren Opferschutz, zur Verhinderung von Straftaten und zu einer stringenten Bestrafung der Täter und Täterinnen. Zu diesen Verpflichtungen gehört es auch, „in regelmäßigen Abständen bevölkerungsbezogene Studien durchzuführen, um die Verbreitung und Entwicklung aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt zu bewerten“ (Art. 11 Abs. 2 Istanbul-Konvention). Insbesondere letztgenanntem Anliegen kommt LeSuBiA nach.
Behördenbedienstete müssten zudem befähigt werden, geschlechtsspezifische Gewalt richtig einordnen zu können. Aktuell gebe es zu geschlechtsspezifischer Gewalt weder für Staatsanwälte noch für Richter verbindliche Fortbildungen, kritisiert Tanrıverdi. Auch an Universitäten werde geschlechtsspezifische Gewalt nicht ausreichend thematisiert.
Tanrıverdi weist zudem auf ein grundsätzliches Problem hin: Gewalttaten gegen Frauen würden immer noch oft als „Beziehungsdramen“ und Privatangelegenheiten bagatellisiert. Der strukturelle Charakter werde nicht ausreichend anerkannt. Das zeige sich schon an der Wortwahl. Der Begriff Femizid – ein Tötungsdelikt, bei dem Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden – sei in Deutschland behördlich nicht definiert. Die geschlechtsspezifische Motivation von Gewalttaten und Tötungen, sowie das den Taten zugrunde Machtungleichgewicht zwischen Männern und Frauen werde daher oft nicht erkannt. Für die Präventionsarbeit sei diese Erkenntnis aber zentral.
In der Politik fand die Forderung nach einer behördlichen Definition des Begriffs Femizid Gehör. Das BKA arbeitet auf Beschluss der Innenministerkonferenz an einer Definition. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen, so die Idee, könnte nach Vorliegen einer Definition in den Statistiken trennschärfer abgebildet werden.
Warum „Femizid“ in Deutschland noch kein Straftatbestand ist
Einige Expertinnen fordern zudem, den Begriff „Femizid” im Strafgesetzbuch festzuschreiben, etwa als eigenen Straftatbestand oder zumindest als zusätzliches Merkmal zur juristischen Festschreibung, welche Tötungsdelikte als Mord behandelt – und somit besonders hart bestraft werden sollen.
Im Koalitionsvertrag verabredeten CDU und SPD eher vage, den Schutz von „Frauen und besonders verletzlichen Personen“ durch ein „neues Qualifikationsmerkmal bei den Tatbeständen von Mord“ zu verbessern.
Carmen Wegge, die rechtspolitische Sprecherin der SPD, sagte CORRECTIV hierzu:
„Als SPD-Fraktion setzen wir uns schon lange dafür ein, dass der Femizid als Mordmerkmal ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird. (…) Die verharmlosende Erzählung vom ‚Familiendrama‘ dürfen wir nicht mehr zulassen.“
Carmen Wegge
Rechtspolitische Sprecherin der SPD
Das Bundesinnenministerium äußerte sich zur Frage einer Festschreibung im Strafgesetzbuch dagegen zurückhaltend und verwies auf die Erarbeitung einer Definition für den Begriff „Femizid“. Ein Sprecher sagte, über das weitere Vorgehen könne „erst nach Vorlage dieser Ergebnisse entschieden werden“.
Von CORRECTIV befragte Expertinnen sehen eine Verankerung von Femizid im Strafgesetzbuch ohnehin nicht als Hauptgrund dafür an, wenn Männer, die Frauen töten, in einigen Fällen vor Gericht Milde erfahren würden:
„Ohne ein Verständnis für geschlechtsbezogene Gewalt wird auch ein Straftatbestand Femizid wenig bringen“
Dilken Çelebi
Vorsitzende, Strafrechtskommission Deutscher Juristinnenbund
Auch Müşerref Tanrıverdi betrachtet einen eigenständigen Straftatbestand nicht als „die zentrale Stellschraube, um Femizide effektiver zu bekämpfen“. Das Strafrecht greife „naturgemäß zu spät“. Hinzukomme, dass „strafrechtlichen Verschärfungen nach kriminologischen Erkenntnissen wenig abschreckende Wirkung zugesprochen wird“.
Eine Sprecherin des Vereins Frauenhauskoordinierung sagte hingegen: „Eine klare politische und juristische Definition des Begriffs ,Femizid‘ wäre grundsätzlich wünschenswert, um die geschlechtsspezifische Dimension dieser Tötungsdelikte sichtbar zu machen“.
Eine solche Definition sei aber rechtlich anspruchsvoll. „Bei einem Femizid müssen subjektive Elemente – nämlich das geschlechtsspezifische Tatmotiv – ermittelt werden, was aufgrund der Beweislast und des täterorientierten Strafrechts sehr schwierig ist.“
Sind Sie oder Menschen in Ihrem Umfeld betroffen?
- Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 116 016
- Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530
- Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 / 0800 111 0 222
„Manosphere“ und Zuwanderung? Warum die Zahlen gestiegen sein könnten
Was bleibt, ist die Frage, warum die Zahl der registrierten Gewalttaten gegen Frauen zugenommen hat. Hat sich nur das Anzeigeverhalten verändert oder beruht die statistische Zunahme auf einem realen Anstieg?
Innenminister Dobrindt sagte bei der Präsentation des Lagebildes zur geschlechtsspezifischen Gewalt, zum Anstieg der Gewalttaten gegen Frauen habe auch die Zuwanderung aus patriarchal geprägten Ländern beigetragen. BKA-Präsident Holger Münch ergänzte, dass sowohl bei häuslicher Gewalt, als auch bei Sexualdelikten zugewanderte Personen auf Täter- und Opferseite überrepräsentiert sind.
Die steigende Zahl der Gewalttaten lässt sich laut Münch aber nicht nur auf Zugewanderte schieben. Die Gleichheit der Geschlechter werde zunehmend hinterfragt, auch bei jungen Menschen:
„Die gesamtgesellschaftliche Tendenz ist ein Zurückdriften zu einem eher patriarchalen Frauenbild.“
Holger Münch
Präsident BKA

Davor warnt auch die Diakonie Hamburg. Deren Fachkräfte beobachten bei Präventionsworkshops und Beratungsgespräche mit Betroffenen einen wachsenden Antifeminismus unter jungen Erwachsenen. Als Ursprung nennt der Landesverband den Einfluss sozialer Medien auf junge Männer.
Die sogenannten „Manosphere“ propagiere stereotype Geschlechterrollen, stilisiere Männer als vermeintliche „Opfer“ der Gleichberechtigung und verharmlosen oder rechtfertigen Gewalt gegen Frauen.
Ein europäischer Blick: Wie machen es andere Länder?
Laut dem Institut für Menschenrechte liegt Deutschland bei geschlechtsspezifischen Tötungen mit 0,89 getöteten Frauen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im europäischen Vergleich erschreckend weit oben.
Die vier EU-Länder Italien, Zypern, Malta und Kroatien führen hingegen bereits einen eigenen Straftatbestand Femizid:
- Italien hat im Jahr 2025 einen eigenständigen Straftatbestand für Femizid eingeführt.
- Kroatien führte diesen Straftatbestand 2024 ein, nachdem Proteste gegen Femizid-Fälle das Land erschütterten. Die Täter müssen dort mit Haftstrafen zwischen zehn und vierzig Jahren rechnen.
- 2021 führte Zypern den Femizid als eigenen Straftatbestand ein.
- 2022 kam Malta dazu.
Deutsche Frauenhäuser sind am Limit
Was es bedeutet, wenn Frauen verprügelt, missbraucht oder fast zu Tode gefoltert werden, zeigt sich in keiner Einrichtung so unmittelbar wie in Frauenhäusern. Die Schutzeinrichtungen sind die „letzte Barriere zwischen Leben und Tod“, wie eine Sprecherin des Vereins Frauenhauskoordinierung sagt. Sie dienen dem Schutz vor Gewalt, insbesondere Partnergewalt, bieten gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern geschützte Unterkünfte, psychosoziale Beratung und Begleitung zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Die Sprecherin erklärt: „Wenn Frauen keinen Frauenhausplatz finden, stehen sie in großer Gefahr, von einem Femizid oder Femizid-Versuch betroffen zu sein.“
Laut der bundesweiten Frauenhaus-Statistik 2024 haben im Jahr 2024 etwa 13.700 Frauen und 15.300 Kinder Schutz in Frauenhäusern gesucht. Laut der Studie dominierten wie in den Vorjahren Fälle von männlicher Gewalt in heterosexuellen (Ex-)Partnerschaften mit 50 Prozent.
In Deutschland gibt es rund 400 solcher Frauenhäuser. Laut einer 2024 veröffentlichten Kostenstudie gaben die befragten Frauenhäuser für das Jahr 2022 an, dass sie 10.114 Frauen mit Kindern und 6.268 Frauen ohne Kinder aufgrund von Platzmangel abweisen mussten.
Obwohl sie eine Schlüsselstelle für so viele Frauen sind, fehlen also bundesweit Tausende Plätze. „Eine Steigerung der Fallzahlen und der Femizid-Fälle geht aus unserer Sicht mit einem gesellschaftlichen Klima einher, das Frauenhass und Migrationsfeindlichkeit schürt“, so die Sprecherin.
Was es aus Sicht der Frauenhäuser noch braucht
Finanzierung: Aktuell fehlen laut Sprecherin der Frauenhauskoordinierung e.V. mehr als 12.000 Frauenhausplätze gemäß der Istanbul-Konvention. „Die Finanzierungslandschaft gleicht einem Flickenteppich aus Landes-, kommunalen und Eigenmitteln – fast jede vierte gewaltbetroffene Frau muss ihren Aufenthalt im Frauenhaus selbst bezahlen.“
Das Gewalthilfegesetz sei ein wichtiger Schritt, aber die Bundesgelder dürfen nicht zueinem Nullsummenspiel führen, bei dem Länder und Kommunen ihre bisherige Finanzierung kürzen. Jährlich seien mehr als 1,6 Milliarden Euro nötig, um „allein die laufenden Kosten eines bedarfsgerecht ausgebauten Systems zu decken“.
Prävention und Fortbildung: „Polizei, Justiz, Jugendämter und Familiengerichte brauchen verpflichtende Fortbildungen zu Gewalt an Frauen.“ Mangelnde Sensibilisierung führe dazu, dass Schutz oft versagt werde – besonders in Umgangsrechtsverfahren.
Rechtliche Einordnung und Strafverfolgung: Die Sprecherin sagt, der Grundsatz „Gewaltschutz vor Umgangsrecht“ müsse endlich verankert werden. „Durch das weiterhin bestehende Vorrecht des Vaters auf Umgang entsteht eine besondere Gefährdung für Mutter und Kinder. Gewaltbetroffene Frauen und Kinder dürfen nicht zu regelmäßigem Kontakt mit dem Täter gezwungen werden. Zudem braucht es ein bundesweit einheitliches, interdisziplinäres Fallmanagement und die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention sowie der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.“
Zur juristischen Definition von Femizid: „Eine klare politische und juristische Definition des Begriffs ,Femizid‘ wäre grundsätzlich wünschenswert“, so die Sprecherin der Frauenhauskoordinierung e.V., und zwar, „um die geschlechtsspezifische Dimension dieser Tötungsdelikte sichtbar zu machen.“ Allerdings sei dies rechtlich „äußerst anspruchsvoll“: „Bei einem Femizid müssen subjektive Elemente – nämlich das geschlechtsspezifische Tatmotiv – ermittelt werden, was aufgrund der Beweislast und des täterorientierten Strafrechts sehr schwierig ist.“
Kennen Sie Fälle, in denen Frauen trotz Warnsignalen oder Hilfeersuchen nicht vor Gewalt durch ihren (Ex-)Partner geschützt wurden? Was hätten Polizei, Justiz oder Hilfsangebote besser machen können? Und: Haben Sie vielleicht selbst Erfahrungen mit häuslicher Gewalt gemacht und wollen uns davon (gerne anonym) erzählen? Schreiben Sie samira.joy.frauwallner@correctiv.org oder katharina.roche@correctiv.org.
Text: Samira Joy Frauwallner, Katharina Roche
Recherche: Katharina Roche, Samira Joy Frauwallner, Ulrich Kraetzer, Sebastian Haupt
Redigat und Faktencheck: Ulrich Kraetzer
Grafik: Sebastian Haupt
Collage: Samira Joy Frauwallner