
Gestern war für uns in der Redaktion ein wichtiger Tag. Wir wussten ja, dass es zwei Urteile geben würde. Und wir waren uns auch sicher, dass wir die (fast gleichlautenden) Fälle gewinnen würden. Naja, vor Gericht weiß man nie. Die Begründungen des Gerichts waren dann aber glasklar und eindeutig.
Das war eine wichtige Entscheidung – auch für die Pressefreiheit (lesen Sie unsere Einordnung dazu hier). Sie steht aber auch am Ende des Jahres für eine Klarheit, die vor allem Gerichte in den letzten Monaten geschaffen haben.
„Remigration“ ist nicht irgendeine politische Floskel. Es ist ein verfassungswidriges Konzept, wenn es sich auf die rechtsradikalen Vordenker bezieht, die es überhaupt in die jüngere Debatte eingebracht haben.
Ja, durch unsere Veröffentlichung des Potsdam-Treffens im Januar 2024 wurde erstmals sichtbar, wie dieses rechtsradikale Konzept in die AfD und die politische Debatte getragen werden sollte. Es ging um Strategien, an denen sich auch in Potsdam anwesende AfD-Politiker beteiligten. Zu den Millionen Menschen, die aus Deutschland vertrieben werden sollten, würden auch „nicht-assimilierte Staatsbürger“ zählen.
Das wäre der Verfassungsbruch.
„Remigration“ wurde daraufhin fast trotzig von einigen AfD-Politikern in den sozialen Medien posaunt. Aber in diesem Jahr kamen Gerichte, die zeigen, dass sich die Verfassungsfeindlichkeit der AfD auch daran entscheiden könnte, ob in der Partei die „millionenfache Remigration“ verankert ist.
Vor allem das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat vor ein paar Monaten unmissverständlich gesagt, das Konzept, das auch Staatsbürger miteinbeziehe, sei „menschenwürdewidrig“. Eine klare Einordnung.
Die beiden Urteile von gestern zeigen eindeutig, dass das in Potsdam vorgestellte Konzept als verfassungswidrig eingeordnet werden kann.
Für das kommende Jahr ist diese Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Die AfD ist allein dann schon eine rechtsextremistische Partei, wenn dieses Konzept in ihren Reihen verankert ist. Unabhängig davon, was sie sonst fordert.
Für die Frage der Demokratie in diesem Land ist es wichtig, Klarheit zu gewinnen. Wir tragen mit unseren Recherchen dazu bei. Die Zeiten sind unruhig und unwägbar. Umso wichtiger finden wir es, Transparenz zu schaffen, damit Sie auf dieser Grundlage klare Entscheidungen treffen können. Das ist auch 2026 unser Ziel!
Ich wünsche Ihnen ein besonders erholsames Wochenende vor den Feiertagen! Und nehmen Sie sich gern ein wenig Zeit für unsere Empfehlungen der Woche. Im heutigen „Ganz persönlich“ berichtet Ihnen mein Kollege Finn Schöneck von einem anderen Gerichtsprozess – um den mutmaßlichen Missbrauch eines Fußballtrainers.
Wenn Sie Anregungen haben, Ideen oder auch Kritik, schreiben Sie mir gern, dieser Austausch ist uns wichtig!
Herzlich,
Ihr Justus von Daniels

Recherchen der Woche
MeToo in der Werbebranche
Die Agentur Odaline gilt als Shootingstar der Werbebranche. Doch ehemalige Mitarbeiterinnen erheben MeToo-Vorwürfe und kritisieren eine Aufarbeitung voller blinder Flecken. Dem stern liegen interne Dokumente, Chatverläufe, Fotos und Videos vor. Zudem hat das Magazin dutzende Betroffene und Augenzeugen befragt. Die Recherche wirft eine zentrale Frage auf: Was sagt dieser Fall über eine Arbeitswelt, in der Unternehmen sich als progressiv, feministisch und reflektiert präsentieren – während hinter den Kulissen offenbar alte Machtstrukturen weiterleben?
„Chillt mal, hier wurde niemand vergewaltigt” (stern.de, €)
Wie kommt Spahn mit allem durch?
Jens Spahn haftet etwas an, das er nicht abschütteln kann: Affären, Tricksereien, Interessenkonflikte, Grenzüberschreitungen, dubiose Verbindungen und Netzwerke unter Freunden. Über Letztere hat CORRECTIV in diesem Jahr mehrfach berichtet. All das sorgt dafür, dass in der Politik viele ein „Störgefühl“ beschleicht, sobald sein Name fällt. Kaum jemand ist in der Berliner Republik politisch begabter – aber auch kaum jemand wirkt so windig. Wie konnte er so lange ungeschoren davonkommen? Diese Frage stellt der Spiegel und zählt Spahns Fehltritte in einer Chronik auf.
Der saubere Herr Spahn. Und seine dunkle Seite (spiegel.de, €)
Ungebremst
Am 20. Dezember 2024 rast Taleb A. mit einem Auto über den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Er tötet sechs Menschen: fünf Frauen und einen 9-jährigen Jungen. Fast 350 Menschen werden verletzt, zum Teil extrem schwer. Dazu kommen unfassbar viele seelisch Verletzte. Traumatisierte. Eine einzelne Gewalttat mit so vielen Betroffenen hat es in Deutschland noch nicht gegeben: Es sind mehr als 1.600 Menschen. Sie sind Augenzeugen, Ersthelfer, Verletzte und Hinterbliebene. Die Zahl der Opfer ist so groß, dass ein neuer Gerichtssaal gebaut werden muss. Der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat ganz Deutschland erschüttert. Wie konnte es dazu kommen, dass der Täter so ungebremst über den Markt fahren konnte? Hätte der Anschlag verhindert werden können? Und warum übernimmt niemand Verantwortung? Und vor allem: Wie geht es den Opfern heute? Diesen Fragen geht der MDR in einem fünfteiligen Podcast nach.
Der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt (ardaudiothek.de, Podcast)
Mieten und Gehälter klaffen auseinander
Immer weniger bezahlbare Wohnungen – ein Problem, das in Großstädten längst drängend ist und immer drängender wird. Das Projekt „The Housing Games“ von Urban Journalism zeigt, wie Gehälter mit Mieten und Immobilienpreisen in europäischen Städten auseinanderklaffen. Es deckt die wachsende Lücke zwischen dem Wert unverzichtbarer Arbeit und den Kosten für ein Zuhause auf. Ein einzigartiger Datensatz, den Sie sich anschauen sollten.
The Housing Games (urbanjournalism.org, Englisch)
Ein Jahr Recherche zu Gewalt und Missbrauch im Jugendfußball liegt hinter mir. Ich habe von vielen schrecklichen Schicksalen gelesen – doch mein letzter Arbeitstag in diesem Jahr wurde zum bisher emotionalsten dieser Recherche.
In dieser Woche war ich bei einem Prozess am Landgericht I in Berlin. Angeklagt ist Nils H., ein ehemaliger Jugendtrainer vom Bundesligisten Union Berlin. Ihm wird vorgeworfen, zwei Kinder missbraucht zu haben, die er im Rahmen seiner Trainertätigkeit kennengelernt hat. Am ersten Prozesstag legte der Angeklagte ein Teilgeständnis ab, das nun vom Gericht überprüft wird.
Gestern wurden die Eltern der beiden Geschädigten als Zeugen geladen. Sie schildern mit brüchiger Stimme, wie sie von den Ermittlungen erfahren haben und wie ihre Kinder ihnen berichteten, was geschehen war. Danach wurden die Vernehmungen der Kinder vom Band abgespielt – die Öffentlichkeit war davon ausgeschlossen.
Ich habe dieses Jahr Presseberichte und Urteile von fast 40 Prozessen dieser Art aus den vergangenen fünf Jahren gelesen. Wir berichteten im September von hunderten Geschädigten und 1.360 Übergriffen. Es ist erdrückend, wie systematisch Täter im Fußball vorgehen. Einige scheinen sich gezielt das Traineramt auszusuchen, um Kontakt zu potenziellen Opfern zu finden. Oft wechselt dieser Kontakt ins Private, es kommt zu gemeinsamen Ausflügen oder Übernachtungen.
Diese Parallelen habe ich auch in diesem Prozess beobachtet. Im Januar wird es voraussichtlich zu einem Urteil kommen. Der Vater eines der geschädigten Kinder sagte im Zeugenstand, es sei der größte Traum seines Sohnes gewesen, Fußball-Profi zu werden. Der Angeklagte habe seinen Sohn damit gelockt, ihn auf diesem Weg zu unterstützen. Als der Junge zum Start der Ermittlungen realisierte, was ihm angetan wurde, „war die Fußballromantik vorbei“, so der Vater. Bis heute spielt sein Sohn keinen Fußball mehr.
Ich verspreche Ihnen, dass wir dranbleiben und auch 2026 über Gewalt im Jugendfußball durch Machtmissbrauch berichten. Wenn Sie Ihre Erfahrungen im Jugendfußball mit mir teilen wollen, können Sie mir gern schreiben: finn.schoeneck@correctiv.org.

Die neue deutsche Kriegsmaschine
Deutschlands Umbau zur Militärmacht ist in vollem Gange: Geheime Regierungspapiere zeigen, dass Milliardensummen in Munition und umstrittene Waffensysteme fließen sollen. Ist das Land bereit für die Konsequenzen?
correctiv.org
Rechtsanwälte und Rechtsextreme: CORRECTIV siegt vor Gericht
Das Landgericht Hamburg hat zwei Klagen wegen der Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ abgeschmettert. Einer der Kläger versucht seit fast zwei Jahren eine „Gegenerzählung“ zu setzen. Nun hat das Gericht sehr klar geurteilt.
correctiv.org
Der Autohändler, der für „Gottes Rache gegen die Zionisten“ betete
Eine Gebrauchtwagenverkäufer rief mutmaßlich zum Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt auf. Terrorismusexperten bezeichnen den Fall gegenüber CORRECTIV und Bayerischem Rundfunk als „ungewöhnlich“ – und warnen vor weiteren Anschlägen.
correctiv.org
Neue Website dokumentiert Grundströmung der AfD-nahen Stiftung
CORRECTIV bündelt auf einer neuen Informationsplattform öffentlich zugängliche Recherchen zur Desiderius-Erasmus-Stiftung. Anlass ist der Antrag der AfD-nahen Stiftung auf staatliche Förderung nach dem Stiftungsfinanzierungsgesetz und die Frage, ob ihr politisches Umfeld mit den gesetzlichen Voraussetzungen vereinbar ist. Nach eigenen Recherchen soll die AfD-nahe Stiftung bei einer Bewilligung weit mehr Geld erhalten als bisher bekannt.
desideriuserasmusstiftung.de
Ermitteln gegen Cum-Ex-Diebe – mit Anne Brorhilker
Anne Brorhilker war Oberstaatsanwältin und die treibende Kraft hinter den Cum-Ex-Ermittlungen. Im Gespräch mit CORRECTIV Senior Reporter Jean Peters erklärt sie, auf welche Widerstände sie bei ihrer Arbeit gestoßen ist (Spoiler: sehr viele), warum es nicht der Realität entspricht, den Milliardenbetrug als Gesetzeslücke abzutun und wie Behördenversagen, Nichtwille und eine mächtige Finanzlobby uns alle eine unvorstellbar große Menge Geld gekostet haben. Anne Brorhilker bat im April 2024 um Entlassung aus dem Staatsdienst, wegen Zweifeln am politischen Willen zur Aufklärung des unfassbaren Steuerbetrugs.
youtube.de
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Pia Siber.
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