Gesundheit

Sollte man bei einem Unfall die Autoscheiben mit Kopfstützen einschlagen?

Eine Facebookseite schreibt, Kopfstützen in Autos seien extra so designt, dass man mit ihnen bei einem Unfall die Fahrzeugscheiben einschlagen könne. Stimmt das? CORRECTIV hat mit VW, BMW, Mercedes-Benz und dem ADAC über die Behauptung gesprochen.

von Caroline Schmüser

Kopfstütze Auto welshandproud pixabay
Werden Kopfstützen so entworfen, dass man mit ihnen bei einem Unfall Scheiben einschlagen kann? Autohersteller und der ADAC widersprechen. (Foto von welshandproud / pixabay)
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Fehlende Belege. Die Autohersteller VW, BMW und Mercedes-Benz berücksichtigen diese Funktion von Kopfstützen beim Design nicht. Der ADAC empfiehlt, bei einem Wassereintritt die Fensterscheiben oder das Dachfenster auf normalem Weg zu öffnen.

Eine Facebookseite veröffentlichte am 6. September 2018 ein Bild mit einem Hinweis, der angeblich „Leben retten“ soll. „Stellt euch vor, Ihr habt einen Unfall und Ihr versinkt langsam im Wasser oder aber das Auto beginnt zu brennen“, beschreibt die Facebookseite ein mögliches Unfallszenario. Sollten sich in einer solchen Situation die Türen eines Autos nicht öffnen lassen, könne man mit den Kopfstützen des Autos die Scheiben zerbrechen – diese seien von Automobilherstellern extra zu diesem Zwecke entworfen.

Eine Facebookseite teilt ein Bild mit einem Hinweis, der Leben retten soll. (Screenshot von Correctiv)

Die österreichischen Faktenchecker von Mimikama zweifelten bereits am 6. September an der Behauptung, man könne mit einer Kopfstütze Autoscheiben einschlagen. Der Aufwand sei in einer Unfallsituation zu groß, in Autos mit Sport- und Schalensitzen würden sich Kopfstützen erst gar nicht herausziehen lassen.

CORRECTIV hat sich beim ADAC eine Expertenmeinung eingeholt und bei drei deutschen Autoherstellern angefragt.

Autohersteller widersprechen der Behauptung

„Wir empfehlen vielmehr sogenannte Nothämmer mit integrierten Gurtmessern, um sich selbst und Mitfahrende bei Bedarf damit zusätzlich auch aus verklemmten Gurten befreien zu können“, so der Pressesprecher von VW auf Nachfrage von CORRECTIV.

Zu VW gehören zum Beispiel auch die Marken Audi, Sead, Škoda und Porsche. Der im Facebook-Post beschriebene Einsatzzweck sei zwar möglich, wenn keine geeigneteren Werkzeuge zur Verfügung stehen – eine vergleichbare Griffigkeit und Ergonomie eines Nothammers würde die Kopfstütze aber nicht bieten. Autoinsassen könnten bei der Nutzung leichter abrutschen und die Verletzungsgefahr sei dadurch größer.

Daimler dementiert auf Nachfrage die Behauptung im Facebook-Post: „Bei der Entwicklung unserer Kopfstützen berücksichtigen wir die beschriebene Funktion nicht“, schreibt eine Pressesprecherin. Daimler produziert die Autos der Marke Mercedes-Benz.

Ein Pressesprecher der Firma BMW teilte CORRECTIV auf Anfrage ebenfalls mit, dass ein Design der Kopfstützen zum Zertrümmern von Autoscheiben „nicht Gegenstand der Entwicklung bei BMW“ sei.

Fensterheber lassen sich auch nach Wasserkontakt noch betätigen

Der ADAC hatte keine Erkenntnisse zu der Frage, ob Kopfstützen so entworfen werden, dass sie als Scheibenhammer dienen. Ein Experte schätzte für CORRECTIV aber ein, ob Kopfstützen ein sinnvolles Werkzeug im Falle eines Unfalls wären.

„Nicht nachvollziehbar ist die Einschätzung, dass man die Fenster nicht auf normalem Weg öffnen kann“, zitierte eine Sprecherin des ADAC einen von ihr befragten Experten. Die Fahrzeugelektrik gebe im Wasser nicht sofort den Geist auf, die Fensterheber würden sich noch eine Weile betätigen lassen. „Ehrlich gesagt, stelle ich es mir nicht leicht vor, die Kopfstütze unter Wasser rauszufummeln“, so der Experte – man müsse beidseitig eine Entriegelungstaste drücken.

In Euro NCAP Crashtests würde außerdem geprüft, wie leicht sich die Türen nach einem Unfall öffnen lassen. „Ich kenne keine Vorfälle an aktuellen Fahrzeugen, dass die Türen verklemmen und nicht mehr zu öffnen sind.“ Euro NCAP ist eine Gesellschaft europäischer Verkehrsministerien, Automobilclubs und Versicherungsverbände mit Sitz in Brüssel. Die Organisation führt Crashtests mit neuen Automobiltypen durch.

Bei vielen Unfällen würden Insassen verbrennen oder ertrinken, da sie beim Unfall schon schwer verletzt würden. Dadurch könnten sie sich bereits auf auf normalem Wege nicht mehr aus dem Auto befreien.

ADAC empfiehlt, Seitenfenster herunterzulassen oder Dachfenster zu öffnen

In einem Testbericht vom 4. Oktober 2018 schreibt der ADAC über das richtige Verhalten bei einem Wasserunfall. Die zentrale Verhaltensregel für Fahrzeuginsassen: „Verlassen Sie nach dem Aufprall im Wasser das Fahrzeug so schnell wie möglich durch die Seitenfenster oder auch durch das Schiebedach.“ Ein YouTube-Video des ADAC veranschaulicht das empfohlene Vorgehen.

Bei dem Aufprall des Autos auf das Wasser kann das Auto kurz unter die Wasseroberfläche sinken, taucht danach jedoch wieder auf. Diese Phase kann einige Minuten dauern. Erst dann dringt Wasser durch die Karosserie ein und das Auto beginnt unterzugehen.

Der ADAC empfiehlt gemeinsam mit Experten des schweizerischen Automobilclubs TCS: Zuerst sollten sich die Insassen abschnallen. Anschließend solle versucht werden, die Seitenfenster herunterlassen oder das Schiebedach öffnen. „Auch bei Wassereintritt funktionieren elektrisch betriebene Fensterheber und/oder Schiebedach in der Regel noch für einen kurzen Zeitraum“, schreibt der ADAC.

Gelingt das Öffnen der Fenster nicht, sollten die Autoinsassen probieren, die Seitenscheiben des Autos einzuschlagen. Der ADAC merkt jedoch an: „Ein Einschlagen der Seitenscheiben ist theoretisch nur bei Einscheibensicherheitsglas möglich. In der Praxis wird ein Einschlagen aber nur sehr schwer oder gar nicht gelingen.“ Seitenscheiben aus Verbundsicherheitsglas würden sich mit normalen Mitteln nicht einschlagen lassen.