Gelbwesten-Proteste in Paris: Mehrere falsche Behauptungen zum Einsatz von Soldaten im Umlauf
Ein Artikel behauptet, Emmanuel Macron habe anlässlich einer Demonstration der Gelbwesten die europäische militärische Polizeitruppe Eurogendfor „einbestellt“ und Soldaten die Erlaubnis gegeben, „Feuer gegen Gelbwesten zu eröffnen“. Das stimmt so nicht.
„SKANDAL: Medien schweigen – Macron gibt Erlaubnis, Feuer gegen Gelbwesten zu eröffnen“, titelte die Webseite Watergate.tv in einem Artikel vom 26. März. Darin wird unter anderem behauptet, der französische Präsident Emmanuel Macron habe für den „19. Protestsamstag“ der Gelbwesten am 23. März „Anti-Terror-Einheiten des französischen Militärs und der europäischen Privatarmee der EU-Granden Eurogendfor einbestellt“. Der Artikel wurde bisher mehr als 1.379 Mal bei Facebook geteilt.
Als Quelle gibt Watergate.tv einen Artikel von Daily Mail an. Darin wird über den erstmaligen Einsatz von „französischen Soldaten“ bei Protesten der Gelbwesten am 23. März berichtet. Der Artikel vom 22. März wurde bisher mehr als 15.600 Mal geteilt.
CORRECTIV kooperiert im Vorfeld der EU-Wahl für das Projekt FactCheckEU mit 18 Faktencheck-Redaktionen in Europa. Dieser Faktencheck entstand zusammen mit CheckNews, dem Faktencheck-Projekt der französischen Zeitung Libération. Mit der Unterstützung der französischen Kollegen hat CORRECTIV vier zentrale Behauptungen aus dem Artikel von Watergate.tv überprüft:
1. Nein, die „Sentinelle“ sind keine „Elite-Soldaten“ – und die Eurogendfor wurde in Frankreich noch nie eingesetzt
Sind die „Sentinelle“ Elite-Soldaten? Watergate.tv behauptet das. Sie gelten allerdings nicht als „Elite-Soldaten“, wie CheckNews CORRECTIV mitteilte. Im Gegenteil würden laut CheckNews offenbar hauptsächlich junge Soldaten mit wenig Erfahrung bei der Operation eingesetzt. Auch Spiegel Online schreibt in der Überschrift eines Artikels vom 20. März irreführend von „Elite-Soldaten“.
Ein am 21. März veröffentlichter Artikel des öffentlich-rechtlichen französischen Nachrichtensenders france.info informiert über den Hintergrund der Operation „Sentinelle“: Sie sei im Januar 2015 nach dem Terroranschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo gestartet worden. Die 7.000 derzeit mobilisierten Soldaten der „Sentinelle“, von denen laut franceinfo.fr die Hälfte in Paris stationiert sei, sollten Samstags etwa religiöse Stätten, Schulen oder Touristenorte wie den Eiffelturm sichern oder in der Gegend patrouillieren. Dabei unterlägen sie den gleichen Bedingungen wie die inneren Sicherheitskräfte, sprich der Polizei, und hätten dieselben Befugnisse.
Tatsächlich wurden die „Sentinelle“ am 23. März erstmals bei einem Protest der Gelbwesten eingesetzt. Angekündigt wurde das am 20. März nach einer Kabinettssitzung in Paris durch den französischen Regierungssprecher Benjamin Griveaux.
Die militärische Polizeitruppe Eurogendfor wurde laut der offiziellen Webseite noch nie in Frankreich eingesetzt, auch nicht am 23. März, wie Watergate.tv suggeriert. Sie war demnach bisher an insgesamt fünf Missionen beteiligt, an drei auch aktuell noch: Afghanistan, Mali, Zentralafrikanische Republik.
CheckNews widerlegte im Januar eine Behauptung, nachdem ein Panzerwagen der Eurogendfor in Paris gesichtet worden sei. Es handelte sich um einen blauen Truck, der früher für Trainingsmissionen verwendet wurde und aus diesem Zweck mit einer EU-Flagge beklebt war, wie CheckNews in einem weiteren Artikel schreibt.
2. Keine Belege, dass Macron Erlaubnis gab, „Feuer gegen Gelbwesten zu eröffnen“
Anders als in der Überschrift von Watergate.tv suggeriert, hat Macron selbst sich nie zu einer Feuererlaubnis gegen Gelbwesten geäußert. Das geht auch nicht aus dem Artikel von Daily Mail hervor, auf den sich Watergate.tv beruft. Das französische Innenministerium teilte franceinfo.fr mit, die Sentinelle-Kräfte würden „mobilisiert, um einen festen und statischen Punkt zu sichern“, sie sollten demnach nicht „mit der Polizei an der Front stehen“.
Über einen möglichen Waffeneinsatz bei dem Einsatz sprach öffentlich bisher nur der Pariser Militärgouvernör Bruno Le Ray. Er sagte in einem Interview mit franceinfo.fr: „Unsere Befehle sind hinreichend klar, so dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Die Einsatzregeln der Soldaten werden sehr genau festgelegt.“ Und weiter: „Sie werden über verschiedene Mittel verfügen, um angesichts aller Arten von Bedrohungen zu handeln. Das kann bis hin zur Eröffnung des Feuers gehen.“ Le Ray sagte franceinfo.fr zudem – anders als das Innenministerium – dass die Sentinelle auch „patrouillieren könnten“.
Dass der französische Präsident aber persönlich eine Feuererlaubnis auf Gelbwesten erteilt haben soll, ist wohl eine weit ausgelegte Interpretation der Aussagen von Le Ray.
3. Ja, es wurde am 15. März erstmals eine chemische Substanz von der Pariser Polizei verwendet; es handelte sich um ein Tränengas
Im Artikel von Watergate.tv wird bezugnehmend auf den Text von Daily Mail behauptet, „dass die Polizei zum ersten Mal ‘geringe Mengen’ einer Chemiewaffe als ‘letztes Mittel’ in der Nähe des Arc de Triomphe eingesetzt habe“. Watergate.tv schreibt weiter: „Eine unabhängige Nachrichtenagentur hatte ein Video online veröffentlicht, auf dem gezeigt wurde, wie die chemische Substanz aus gepanzerten Fahrzeugen freigesetzt wurde.“
Das ist größtenteils korrekt, wie ein Faktencheck von CheckNews vom 17. März zeigt: Tatsächlich setzte die Polizei demnach am 15. erstmals ein Tränengas aus einem Panzerwagen ein, um eine „gewalttätige Menge in der Nähe des Arc de Triomphe zu zerstreuen“.
4. Doch, deutsche Medien haben über die „Vorkommnisse in unserem Nachbarland“ berichtet
Im letzten Absatz des Artikels von Watergate.tv wird suggeriert, deutsche Medien hätten nicht über den Einsatz der „Sentinelle“ berichtet, in der Überschrift steht „Medien schweigen“.
Das stimmt nicht. So berichteten etwa Zeit Online am 23. März und Spiegel Online am 20. März über die Proteste und den Einsatz der „Sentinelle“.