Neues „Resettlement-Programm“: AfD verbreitet vor EU-Wahl falsche Behauptungen zu Aufnahmeprogramm für geflüchtete Menschen
Die AfD behauptet in einem Facebook-Post, „1,4 Millionen“ Asylsuchende würden auf „ihr Ticket nach Deutschland“ warten und die Regierung wolle Bürgern für diese eine „Integrationspflicht aufnötigen“. Das verfälscht und übertreibt, was tatsächlich geplant ist.
In einem Facebook-Post vom 7. Mai schreibt die AfD: „1,4 Millionen warten auf ihr Ticket nach Deutschland! Und wir sollen dafür bezahlen?“ Im Posting-Text behauptet die Partei, die Bundesregierung wolle Bürgern eine „Integrationspflicht aufnötigen“. Sie behauptet außerdem, ein neues Aufnahmeprogramm bringe „ohne (!) jegliche Asylprüfung im Kooperation mit dem UNHCR-Werk tausende Auswanderungswillige in unser Land“.
Der Post ist mit einem Hinweis auf die Europawahl versehen und ist demnach Teil des Wahlkampfes. Er wurde bisher 4.118 Mal auf Facebook geteilt. Die Facebook-Seite „Svens-Welt-05“, eine private Seite von Sven Liebich, Betreiber des Blogs Halle Leaks, greift die Behauptungen in einem Facebook-Post auf. Liebich schreibt dazu, es handele sich um ein „Umvolkungsprogramm“.
Deutschland nimmt seit 2012 an „Resettlement-Programmen“ teil
Hintergrund zum Posting ist das neue Aufnahmeprogramm „NesT – Neustart im Team“ (PDF) des Bundesinnenministeriums, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, des Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und des UN-Flüchtlingskommissars. Es soll laut Bundesinnenministerium eine Ergänzung zu bisherigen Resettlement-Aufnahmeprogrammen sein.
„Resettlement“ ist kein neues Verfahren: Deutschland nimmt laut Bundesinnenministerium seit 2012 geflüchtete Menschen im Rahmen dieses Verfahrens auf, in den ersten drei Jahren jeweils 300, seit 2015 stehen 500 Plätze jährlich zur Verfügung.
Für die Jahre 2018 und 2019 hat die Deutschland im Rahmen eines weiteren EU- Resettlement-Programms laut UN-Flüchtlingskommissar die Aufnahme von insgesamt 10.200 schutzbedürftigen Personen angekündigt. EU-weit sollen dabei insgesamt 50.000 schutzbedürftige Personen in der EU aufgenommen werden.
Laut EU-Kommission wurden davon bereits 15.600 Menschen erfolgreich umgesiedelt (PDF; Seite 4). Solche Resettlement-Programme richten sich laut UN-Flüchtlingskommissar an Menschen, „deren Leben, Freiheit, Sicherheit oder Gesundheit in ihrem Erstzufluchtsland in Gefahr ist“; die etwa Folter erfahren haben, bessere medizinische Versorgung benötigen oder aufgrund ihres Geschlechts oder Alters einem höheren Risiko ausgesetzt sind.
Bei „NesT – Neustart im Team“ handelt es sich laut UN-Flüchtlingskommissar um ein Pilotprogramm, dass „die Aufnahme von bis zu 500 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen innerhalb der von Deutschland für 2018/2019 vorgesehenen humanitären Aufnahmen“ ermöglicht – also für 500 von den bisher zugesagten 10.200 Menschen.
„1,4 Millionen Asylsuchende“, für die Bürger finanziell aufkommen sollen?
Die AfD bringt dieses „NesT“-Programm in ihrem Post immer wieder mit „1,4 Millionen Asylsuchenden“ in Zusammenhang. Die Partei suggeriert, dass deutsche Bürger eine „Integrationspflicht“ für diese „aufgenötigt“ bekämen und „finanziell für die „Neuankömmlinge aufkommen sollen“. Wie kommt diese Behauptung zustande?
Beim „NesT“-Programm sollen sich laut Bundesinnenministerium für je einen der geflüchteten Menschen oder je eine Familie der 500 Schutzbedürftigen je mindestens fünf Freiwillige finden, die gemeinsam als sogenannten „Mentoren“ die Kaltmiete für einen „angemessenen Wohnraum“ zwei Jahre lang bezahlen und bei der Suche nach Schul-, Kindergarten-, oder Arbeitsplätzen helfen sollen.
Demnach sollen Bürger die ausgewählten Personen tatsächlich gemeinsam finanziell unterstützen, das beschränkt sich allerdings lediglich auf die Kaltmiete und nicht etwa auf die gesamten Lebenshaltungskosten. Dass jemand eine „Integrationspflicht aufgenötigt“ bekomme, stimmt nicht: die „Mentoren“ des Programms sollen Freiwillige sein.
Und die „1,4 Millionen“? In der Broschüre zum „NesT“-Programm heißt es: „Mindestens 1,4 Millionen besonders schutzbedürftige Flüchtlinge benötigen laut Hohem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) dringend eine Lebensperspektive in einem anderen Land als dem Erstzufluchtsstaat, weil dort ihr Leben, ihre Freiheit, Sicherheit, Gesundheit und andere fundamentale Rechte weiterhin gefährdet sind oder der Verbleib aus anderen Gründen nicht zumutbar ist.“
Bei der Zahl der 1,4 Millionen handelt es sich also um eine allgemeine Angabe des UN-Flüchtlingskommissars, wie viele Menschen derzeit insgesamt besonders schutzbedürftig seien – dass diese aber „auf ihr Ticket nach Deutschland“ warten würden, wie die AfD behauptet, geht daraus nicht hervor.
Werden Flüchtlinge wirklich „ohne Asylprüfung“ aufgenommen?
Die Behauptung der AfD, das „NesT“-Programm bringe „ohne jegliche Asylprüfung tausende Auswanderungswillige“ ins Land wird auch in einem Artikel der Webseite Compact-Online vom 8. Mai aufgegriffen: „Deutschland will legale Zuwanderungswege ausbauen und besonders schutzbedürftige ‘Flüchtlinge’ wie Schwangere, Kranke und Behinderte ohne Asylprüfung aufnehmen.“
Die AfD und Compact-Online suggerieren, beim „NesT-Programm“ handele sich um eine Art Abkürzung für geflüchtete Menschen, ungeprüft nach Deutschland kommen zu können.
Das ist allerdings nicht der Fall, wie eine Anordnung des Bundesinnenministeriums vom 11. Dezember 2018 (PDF) zu den deutschen Resettlement-Programmen zeigt. Daraus gehen Kriterien für die Auswahl der Menschen hervor, darunter etwa die „Integrationsfähigkeit“, etwa Schul-, Berufsausbildung und Sprachkenntnisse, sowie eine „Überprüfung durch Sicherheitsbehörden“. Außerdem können laut UN-Flüchtlingskommissar nur geflüchtete Menschen ausgewählt werden, die bereits in einem anderen Land „um Schutz nachgesucht haben“.
In jedem Fall läuft also bereits ein Asylverfahren, die Menschen müssen nur keinen erneuten Antrag in Deutschland stellen. Die ausgewählten Menschen für Resettlement-Programme erhalten zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung.
Der Post der AfD verfälscht und übertreibt demnach, was mit dem „NesT“-Programm geplant ist.