Nein, EU-Richtlinie erlaubt nicht pauschal die Verwendung von streunenden Haustieren für Tierversuche
Ein Tierschutzverein warnt auf Facebook: Eine Richtlinie der Europäischen Union erlaube, Haustiere für Tierversuche und für die Fellindustrie zu nutzen. Die Angaben sind größtenteils falsch.
Ein Facebook-Nutzer veröffentlichte am 4. Mai ein abfotografiertes Schreiben, das vom „Tierschutzverein Strausberg, Rüdersdorf, und Umgebung e.V.“ stammen soll. Das Schreiben warnt „alle Besitzer von Freigänger Katzen“. Die Europäische Union habe im Jahr 2010 eine Richtlinie erlassen, die bisher noch nicht öffentlich gemacht worden sei. Die Richtlinie erlaube die Verwendung streunender Haustiere für Tierversuche . Indirekt wird behauptet, als Folge dieser Richtlinie würde mit Katzenfell gehandelt. Wir haben recherchiert, ob die Behauptungen stimmen.
Verein bestätigt Echtheit des Schreibens
Auf seiner Facebook-Seite bestätigt der Verein, dass das Schreiben von der Vorsitzenden stamme. In einer Stellungnahme heißt es: „Bitte beachtet, dass es sich hierbei um eine Information der Vorsitzenden Frau Altmiks handelt, die jedoch schon vor einigen Jahren entstand.“ Wir haben Frau Altmiks eine Presseanfrage geschickt. Sie hat bis zum Redaktionsschluss nicht darauf geantwortet.
EU-Richtlinie ist öffentlich
In dem Schreiben wird behauptet, dass die Richtlinie 2010/63/EU erlaube, streunende Haustiere für Tierversuche in Laboren zu verwenden. Die deutsche Version der genannten Richtlinie ist im Netz frei zugänglich.
Was steht in der EU-Richtlinie 2010/63/EU?
Die Richtlinie wurde am 22. September 2010 „zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ verabschiedet. Zu streunenden Tieren und Haustieren steht in der Richtlinie in Absatz 21: „Da der Hintergrund von streunenden und verwilderten Haustieren nicht bekannt ist und das Einfangen und anschließende Verbringen in Einrichtungen die Ängste solcher Tiere verstärkt, sollten diese grundsätzlich nicht in Verfahren eingesetzt werden.“
Konkreter wird es in Artikel 11 Abschnitt 1: „Streunende und verwilderte Tiere von Haustierarten dürfen nicht in Verfahren verwendet werden.“
Die Richtlinie lässt dennoch eine Hintertür offen. In Abschnitt 2 a und b wird erwähnt, dass mit einer Genehmigung und unter gewissen Umständen, streunende und verwilderte Haustiere trotzdem für Tierversuche verwendet werden dürften. Laut der Richtlinie gilt das, wenn „grundlegender Bedarf an Studien über die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere oder ernsthafte Gefahren für die Umwelt oder die Gesundheit von Mensch oder Tier“ bestehen. Zusätzlich muss außerdem eine wissenschaftliche Begründung dafür vorliegen, dass „der Zweck des Verfahrens nur durch die Verwendung eines streunenden oder verwilderten Haustiers erreicht werden kann.“ Die Richtlinie regelt also nur die Verwendung der Tiere für Studienzwecke.
Der in der Behauptung erwähnte Fellhandel wird in der Richtlinie gar nicht thematisiert. Dafür aber in einer EU-Verordnung. In der am 11. Dezember 2017 verabschiedeten Verordnung 1523/2007 wird der Handel und die Ein- und Ausfuhr von Katzen und Hundefellen europaweit verboten. Eine Ausnahme besteht nur für Unterrichtszwecke oder Tierpräparationen (Artikel 4).
Was ist eine EU-Richtlinie und was ist eine EU-Verordnung?
„Eine Richtlinie ist ein Rechtsakt“, schreibt die EU auf ihrer Website. Richtlinien sind Ziele, die von allen EU-Ländern erreicht werden sollen. „Es ist jedoch Sache der einzelnen Länder, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen“ steht dort weiter. Generell soll mit Richtlinien ein europaweiter Standard für alle Mitgliedsländer definiert werden. EU-Verordnungen sind im Gegensatz dazu „verbindliche Rechtsakte“, die „alle EU-Länder in vollem Umfang umsetzen müssen“.