„Wochenblick“ verbreitet falsche Zahlen zur Kriminalität von Zuwanderern
In einem Artikel von „Wochenblick“ werden korrekte Zahlen zur Kriminalität von Zuwanderern im Jahr 2018 in falschen Kontext gesetzt. Einige Angaben sind gänzlich falsch. Wir haben die einzelnen Aussagen geprüft.
Immer wieder wird mit falschen oder irreführenden Statistiken zu Straftaten durch Flüchtlinge, Asylbewerber oder Ausländer Stimmung gemacht. Am 16. Juni erschien ein Text der Webseite Wochenblick mit der Überschrift: „Vertuscht: 46.336 Deutsche wurden 2018 Opfer krimineller Migranten!“ Im weiteren Verlauf des Textes werden verschiedene Behauptungen aufgestellt und Zahlen zitiert, die belegen sollen, dass Zuwanderer besonders oft Straftaten an Deutschen begehen.
Der Artikel wurde unter anderem auf der Haupt-Facebookseite der AfD verbreitet und dort mehr als 5000 Mal geteilt. Und das Portal „Ein Prozent für unser Land“, das der Identitären Bewegung nahesteht, verbreitete am 22. Juni auf Facebook zudem eine Grafik mit der Aussage „46.336 Deutsche wurden 2018 Opfer krimineller Migranten“. Im Text darüber heißt es: „Erschreckend ist der Anstieg der Mordzahlen von Migranten an Deutschen – die Zahl nahm um 105 Prozent zu.“ Die Grafik wurde mehr als 2.800 Mal geteilt.
Die Kernaussage in der Grafik stimmt. Doch weitere Aussagen in dem Wochenblick-Artikel sind falsch, andere Zahlen werden irreführend präsentiert, und es fehlt wichtiger Kontext. Das betrifft insbesondere die Zahl der Morde, die angeblich um 105 Prozent gestiegen sei. Wir haben die Tatsachenbehauptungen im Einzelnen geprüft.
Zunächst einmal: „Vertuscht“ wurde bei dieser Statistik nichts. Die Zahlen, die Wochenblick zitiert, sind alle öffentlich einsehbar im „Lagebericht Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2018“ des Bundeskriminalamtes (BKA). Seit 2015 wird diese Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik jährlich veröffentlicht. Sie zeigt die aufgeklärten Fälle und weist lediglich tatverdächtige Zuwanderer aus, keine verurteilten Straftäter.
Als Zuwanderer gelten dem BKA Personen, die „mit dem Aufenthaltsanlass ‘Asylbewerber’, ‘Schutzberechtigter und Asylberechtigter, Kontingentflüchtling’, ‘Duldung’, und ‘unerlaubter Aufenthalt’ registriert“ wurden. Der Begriff ist enger gefasst als der der „Ausländer“, der alle Personen meint, die keinen deutschen Pass besitzen.
1. Behauptung: „Unter den insgesamt 101.956 Opfern von Straftaten mit Tatverdächtigen Zuwanderern befanden sich 46.336 Deutsche.“
Das ist korrekt. Wie aus dem BKA-Bericht (Seite 52) hervorgeht, wurden 46.336 Deutsche Opfer einer Straftat, bei der mindestens ein Zuwanderer als Tatverdächtiger ermittelt werden konnte. Der Anteil der Deutschen an den Opfern insgesamt lag bei 45 Prozent. Das ist ein Anstieg gegenüber 2017; da waren 39.096 der Opfer deutsch, was 41 Prozent aller Opfer von Straftaten durch tatverdächtige Zuwanderer ausmacht.
Wichtig ist außerdem: Es handelt sich bei diesen Straftaten um verschiedene Arten von Delikten. Opferzahlen werden bei Gewaltkriminalität, aber zum Beispiel auch bei Handtaschenraub oder Brandstiftung erfasst, wie das BKA CORRECTIV bei einem früheren Faktencheck bereits mitteilte. Zudem sei die Opferzahl meist höher als die der Straftaten, da zu einer Tat mehrere Opfer erfasst werden können.
2. Behauptung: Medienberichte, nach denen Gewalt gegen Ausländer zugenommen habe und die Kriminalität insgesamt gesunken sei, seien „gewaltige statistische Lügen“.
Das ist teilweise falsch. Wochenblick nennt zwar keine konkreten Medienberichte. Generell sind solche Aussagen aber nicht gelogen. Bundesweit ist die Kriminalität 2018 gesunken. In der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2018, die sämtliche Straftaten umfasst, heißt es, die Fallzahl habe sich seit 2017 um 3,6 Prozent verringert. Sie habe damit den niedrigsten Stand seit 1992 erreicht.
Mit „Gewalt gegen Ausländer“ ist hier wohl Gewalt von Deutschen gegen Zuwanderer gemeint. Denn an anderer Stelle im Artikel heißt es, das BKA-Lagebild entlarve die „Behauptung der angeblich zunehmenden Gewalt von Deutschen gegen Ausländer als dreiste Unwahrheit“. Tatsächlich seien „an den 47.042 Angriffen auf Ausländer lediglich 8.455 Passdeutsche beteiligt“ gewesen.
Diese Aussagen sind irreführend, da die Statistik falsch verwendet wird. Das Lagebild des BKA trifft keine Aussagen zur Gewaltkriminalität von Deutschen an Zuwanderern, kann hier also nicht als Quelle dienen. Zudem vermischen die Autoren die Begriffe „Ausländer“ und „Zuwanderer“ und deklarieren sämtliche Straftaten als „Gewalt“ oder „Angriffe“.
Was in dem Bericht steht: Insgesamt wurden 47.042 Zuwanderer als Opfer von Straftaten erfasst. Davon wurden 8.455 Opfer einer Straftat durch tatverdächtige Deutsche. Das sind laut BKA 24 Prozent mehr als noch im Vorjahr (2017: 6.832). Wie viele davon Gewalttaten waren, ist aber unklar. Eine genaue Statistik gebe es dazu nicht, teilt uns BKA-Sprecherin Sandra Clemens auf Nachfrage telefonisch mit.
3. Behauptung: Die Anzahl der Morde an Deutschen, die durch Zuwanderer begangen wurden, sei gegenüber 2017 um 105 Prozent gestiegen.
Das ist falsch. Die tatsächliche Zahl deutscher Mordopfer durch Zuwanderer ist laut BKA nicht bekannt. Wochenblick scheint hier also etwas zu verwechseln: Statt der Mordopfer benutzt die Webseite die Zahl aller Opfer von Mord- und Totschlagsdelikten, die auch die Opfer von versuchten Delikten enthält. Diese Zahl ist tatsächlich um 105 Prozent gestiegen – von 112 im Jahr 2017 auf 230 im Jahr 2018. Die versuchten Delikte machen dabei den größten Anteil aus. Deshalb ist es falsch, wenn Wochenblick von einem Anstieg von 105 Prozent bei „Morden an Deutschen“ spricht.
Wie viele Deutsche tatsächlich starben, ist unklar. Insgesamt spricht das BKA von 102 „Opfern einer vollendeten Tat“. Doch durch eine statistische Besonderheit wurden 2018 auch alle 81 Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz in Berlin 2016 mit erfasst. Durch das Attentat starben sechs Menschen, 75 wurden verletzt und überlebten. Aufgrund der Eigenheiten der Statistik werden alle 81 als „Opfer eines vollendeten Tötungsdeliktes“ gezählt – unabhängig vom Grad ihrer Verletzungen. Diesen wichtigen Kontext lässt Wochenblick aus.
Eine genauere Zahl der gestorbenen Deutschen gebe es nicht, erklärt uns BKA-Sprecherin Clemens. Die Modalitäten der Polizeilichen Kriminalstatistik seien aktuell so. Eine Annäherung an die tatsächlich gestorbenen Personen erhalte man, wenn man von den 102 Opfern die 75 Überlebenden vom Breitscheidplatz abziehe. Das wären dann 27 deutsche Todesopfer, inklusive der sechs Gestorbenen vom Breitscheidplatz. 2017 wurden 13 Deutsche mit Beteiligung von tatverdächtigen Zuwanderern getötet.
4. Behauptung: „Die durch Ausländer verübten Vergewaltigungen kletterten auf den Rekordwert von 13.377 Fällen.“
Das ist falsch. Diese Zahl findet sich nirgends in dem BKA-Bericht. Stattdessen wird dort aufgeführt, dass 2018 bei insgesamt 6.046 „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ Zuwanderer tatverdächtig waren. 2017 waren es 5.258. Es gab also einen Anstieg. Die Zahl von mehr als 13.000 ist aber viel zu hoch gegriffen.
Zudem wurden diese Taten nicht alle an Deutschen verübt. Das Lagebild verzeichnet 3.261 deutsche Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, und 2.785 nicht-deutsche Opfer.
Wichtig ist außerdem: Nicht alle „Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung“ sind Vergewaltigungen. Der Begriff umfasst sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, Nötigung und Übergriffe, Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen und Exhibitionismus. Das Lagebild (Seite 21) zeigt, dass die Zahl der Vergewaltigungen 2018 im Vergleich zu 2017 zurückgegangen ist, während die der sexuellen Belästigungen stieg.
5. Behauptung: „Schwere und schwerste Körperverletzungen gegen Deutsche“ seien auf 55.359 gestiegen.
Das ist falsch. Im BKA-Bericht (Seite 26) steht, dass es im Jahr 2018 insgesamt 55.391 Fälle von Körperverletzung gab, bei denen Zuwanderer tatverdächtig waren. Den größten Anteil machten leichte Körperverletzungen aus (35.388 Fälle). Diese Taten richteten sich nicht aber nur gegen Deutsche. Eine Statistik dafür, wie viele Deutsche Opfer von Körperverletzung durch Zuwanderer wurden, existiere nicht, sagt uns BKA-Sprecherin Sandra Clemens.
Klar ist aber: Da insgesamt 46.336 Deutsche Opfer einer Straftat durch tatverdächtige Zuwanderer wurden, kann die Zahl von mehr als 55.000 Körperverletzungen nicht stimmen.
6. Behauptung: „Seit 2015 stieg der Anteil von Ausländern im deutschen Strafvollzug allein in Hamburg auf heute 61 Prozent aller Inhaftierten. In Berlin auf 51 Prozent, in Baden-Württemberg auf 48, in Bayern 45 und Hessen 44 Prozent.“
Die Zahlen sind in diesem Kontext irreführend. Die Angaben zu Ausländern in deutschen Gefängnissen stammen aus einem Bericht von RP-Online von Februar 2019. Sie wurden korrekt zitiert. Aber Wochenblick suggeriert in diesem Zusammenhang, es handele sich bei diesen Menschen – wie im restlichen Artikel – um Zuwanderer, also größtenteils um Flüchtlinge oder Asylbewerber. Das ist irreführend.
Es ist bei RP-Online die Rede von Ausländern – allen, die keinen deutschen Pass besitzen. Also auch Italiener, Franzosen oder Ungarn. Tatsächlich heißt es in dem Artikel zum Beispiel für das Bundesland Sachsen: „Die stärksten Gruppen stellten dabei Häftlinge aus Polen, Tunesien, Libyen, Tschechien und Georgien.“
Anmerkung, 1. Juli 2019: Die aus dem Artikel von RP-Online zitierten Angaben zu den größten Gruppen von Ausländern in deutschen Gefängnissen bezogen sich nur auf das Bundesland Sachsen. Wir haben dies im Artikel klargestellt. RP-Online führte nach eigenen Angaben eine Umfrage bei allen Landesjustizministern durch. Daraus ergab sich zum Beispiel für Sachsen, dass die größten Gruppen „Häftlinge aus Polen, Tunesien, Libyen, Tschechien und Georgien“ seien. Weiter heißt es in dem Artikel, in Nordrhein-Westfalen stammten die meisten aus der Türkei, gefolgt von Marokko, Polen und Rumänien. Und in Baden-Württemberg kämen die größten Gruppen „aus der Türkei, aus Gambia, Rumänien, Algerien, Italien, Georgien, Polen, dem Kosovo, Syrien und Albanien“.
Update: CORRECTIV hat alle Justizministerien der Bundesländer und das Bundesjustizministerium gefragt, welches die häufigsten Nationalitäten bei ausländischen Straftätern in deutschen Gefängnissen sind. Zudem haben wir darum gebeten, zu benennen, wie viel Prozent der Häftlinge Ausländer sind, und wie viele Zuwanderer (Geflüchtete, Asylbewerber) in Deutschland im Gefängnis sitzen.
Die Fragen nach der Zahl der Zuwanderer unter den Häftlingen konnte uns nicht beantwortet werden; Bundesländer und Bundesjustizministerium teilten übereinstimmend mit, es werde nur die Nationalität, nicht der Aufenthaltsstatus der Personen statistisch erfasst.
Bundesweit saßen laut Justizministerium am 31. März 2018 insgesamt 25.445 ausländische Häftlinge in deutschen Justizvollzugsanstalten. Das sei ein Anteil von 40,91 Prozent. Die Zahl umfasse Menschen in Untersuchungshaft, Strafhaft, Jugend-, Abschiebehaft und weitere Haftgründe. Die zehn häufigsten Nationalitäten bundesweit seien:
- Türkei (3.106 Personen)
- Polen (2.082)
- Rumänien (1.988)
- Marokko (1.018)
- Algerien (918)
- Serbien (901)
- Syrien, Arabische Republik (863)
- Albanien (804)
- Italien (769)
- Georgien (712)
Aus 14 Bundesländern erhielt CORRECTIV ebenfalls Zahlen. Wir haben die fünf häufigsten Nationalitäten pro Bundesland in einer Tabelle zusammengefasst. Am höchsten ist der Ausländeranteil der Häftlinge (über 50 Prozent) in Berlin und Hamburg. (Einige Länder wiesen darauf hin, dass ihre Gesamtzahl ausländischer Häftlinge auch Staatenlose oder Menschen mit unklarer Nationalität beinhalten. Doppelpass-Inhaber dagegen seien nicht enthalten, so ein Sprecher des Justizministeriums in Nordrhein-Westfalen.)
Bundesland | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | Ausländer-Anteil d. Häftlinge gesamt |
Bayern (31.3.19) | Rumänien | Türkei | Polen | Syrien | Afghanistan | 45,8% |
Hamburg | Türkei | Polen | Rumänien | Afghanistan | Serbien | 59% |
Baden-Württemberg (31.3.19) | Türkei | Rumänien | Gambia | Italien | Syrien | 47% |
Sachsen-Anhalt (1.7.19) | Syrien | Guinea-Bissau | Polen | Afghanistan | Albanien | 13,87% |
Bremen | Türkei | Polen | Syrien | Marokko | Serbien | 44% |
Niedersachsen (2.7.19) | Türkei | Polen | Albanien | Rumänien | Syrien | 34% |
Nordrhein-Westfalen (30.6.19) | Türkei | Polen | Rumänien | Marokko | Serbien | 36,02% |
Berlin (31.3.19) | Polen | Türkei | Rumänien | Libanon | Serbien | 50,7% |
Schleswig-Holstein (31.3.19) | Türkei | Polen | Albanien | Rumänien | Irak | 32,7% |
Thüringen (30.3.19) | Syrien | Polen | Afghanistan | Algerien | Rumänien | 17,07% |
Sachsen (1.7.19) | Polen | Tunesien | Libyen | Tschechien | Georgien | 29,6% |
Saarland (1) JVA Ottweiler | Syrien | Afghanistan | Rumänien | Frankreich und Türkei | Algerien, Italien, Serbien | 28% |
Saarland (2) JVA Saarbrücken | Rumänien | Syrien | Türkei | Frankreich | Italien | 29,8% |
Mecklenburg-Vorpommern (31.3.19) | Polen | Syrien | Türkei | Rumänien | Litauen | 16,74% |
Brandenburg (30.6.2019) | Polen | Russland | Syrien | Litauen | Afghanistan | 26,08% |