Nein, durch die CO2-Steuer zahlt nicht jeder Pendler 1.000 Euro mehr im Jahr
Auf Facebook wird ein Foto von Umweltministerin Svenja Schulze neben einem großen BMW verbreitet, um ihre Pläne für eine CO2-Steuer zu kritisieren. Diese koste jeden Berufspendler jährlich 1.000 Euro mehr. Das stimmt nicht.
Die Facebook-Seite „Befreiter Blick“ veröffentlichte am 9. Juli ein Foto von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), das bisher mehr als 19.500 Mal geteilt wurde. Es zeigt Schulze beim Aussteigen aus einem großen Auto, einem BMW. Darüber schreibt „Befreiter Blick“: „Hier sehen wir unsere Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit Ihrem ‘Kleinwagen’. Sie wird dafür sorgen, dass demnächst jeder kleine Berufspendler ca. 1000€ zusätzliche CO2-Steuer im Jahr zahlen wird.“
Damit, dass Schulze mit einem großen Auto unterwegs ist, sollen ihre jüngst vorgestellten Pläne für eine Bepreisung von CO2 unglaubwürdig gemacht werden. CORRECTIV hat geprüft, ob die Behauptung, eine CO2-Steuer würde jeden Pendler 1.000 Euro im Jahr kosten, stimmt – und um was für ein Auto es sich auf dem Foto handelt.
Pläne zur CO2-Steuer sind noch offen
Die eigentliche Behauptung von „Befreiter Blick“ bezieht sich auf die Anfang Juli vorgestellten Pläne von Schulze, eine CO2-Steuer einzuführen. Drei Gutachten hat das Bundesministerium dazu in Auftrag gegeben: vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung (IMK) und dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS).
Vorweg: Die Aussage auf Facebook, Svenja Schule werde „dafür sorgen, dass demnächst jeder kleine Berufspendler ca. 1000€ zusätzliche CO2-Steuer im Jahr zahlen wird“ ist irreführend, weil sie andeutet, die Steuer sei beschlossene Sache. Das ist nicht so, wie wir in einem anderen Faktencheck bereits geschrieben haben: Die politische Diskussion ist noch nicht abgeschlossen.
So hat aktuellen Medienberichten vom Freitag, 12. Juli, zufolge, eine Gruppe Abgeordneter von CDU und CSU noch einen Alternativvorschlag vorgelegt, in dem sie für einen kombinierten CO2-Preis aus einem festen Sockelbetrag und einem variablen Marktpreis plädieren. Zudem legten am Freitag auch die sogenannten Wirtschaftsweisen ein eigenes Sondergutachten zur CO2-Steuer vor. Das Klimakabinett der Bundesregierung will sich den Berichten zufolge ab dem 18. Juli mit den verschiedenen Vorschlägen befassen, im September solle eine Entscheidung getroffen werden.
Muss jeder Pendler 1000 Euro mehr pro Jahr zahlen?
Mit den folgenden Eckdaten der möglichen CO2-Steuer haben alle drei Gutachter ihre Modelle durchgerechnet: 35 Euro pro Tonne CO2 als Einstieg im Jahr 2020, dann eine lineare Erhöhung auf bis zu 180 Euro pro Tonne im Jahr 2030.
Focus berechnete Kosten für Pendler
Die wahrscheinliche Quelle für die Aussage, dass Berufspendler angeblich etwa 1.000 Euro mehr im Jahr zahlen müssten, ist ein Artikel des Focus vom 10. Juli. Er trägt den Titel „Fast 1000 Euro mehr pro Jahr: Das kostet Autofahrer die neue Luft-Steuer“.
Focus rechnet darin ein konkretes Beispiel vor. Ausgehend von einem aktuellen Benzinpreis von 1,50 Euro würde ein Liter Benzin sich angeblich folgendermaßen verteuern:
- ab 2020: 1,60 Euro (10 Cent)
- ab 2025: 1,80 Euro (30 Cent)
- ab 2030: 2 Euro (50 Cent)
Das würde am Ende eine Preissteigerung pro Liter Benzin von rund 33 Prozent bedeuten. Für Diesel, ausgehend von aktuell 1,30 Euro pro Liter, betrage die Preissteigerung ab 2030 57 Cent (rund 43,9 Prozent). Focus schreibt selbst, dass dabei Schwankungen im Ölpreis nicht mit einkalkuliert seien.
Wenn ein Berufspendler jeden Tag 50 Kilometer jeweils hin und zurück zur Arbeit fahre, und sein Auto im Schnitt acht Liter Benzin auf hundert Kilometern verbrauche, zahle er im Jahr 2.760 Euro, so Focus weiter. Mit der Preiserhöhung durch die CO2-Steuer seien es 2030 dann 3.680 Euro pro Jahr. Ein Plus von 920 Euro, also „fast 1.000 Euro“.
Nicht jeder Pendler entspricht diesen Daten
Wir haben die Annahmen des Focus zu den steigenden Spritpreisen anhand der Gutachten im Auftrag des Bundesumweltministeriums überprüft; sie sind plausibel. Das Gutachten des FÖS und das des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) berechnen die Preissteigerungen bis zum Jahr 2023 (80 Euro pro Tonne CO2). Übereinstimmend kommen sie dabei für Benzin für das Jahr 2020 auf eine Steigerung von rund 10 Cent pro Liter. Für 2023 sind es rund 22 Cent mehr.
Eine weitere Quelle ist der Verein CO2-Abgabe; er berechnet auf seiner Webseite den Benzinpreis bis zur Stufe von 120 Euro pro Tonne CO2. Diese Stufe wäre ungefähr im Jahr 2026 erreicht. Dann würde dem Verein zufolge ein Liter Benzin rund 35 Cent mehr kosten. Auch das passt zu den Werten des Focus.
Wichtig ist aber: Die Berechnung des Focus lässt sich nicht auf alle Pendler übertragen. Wenn „Befreiter Blick“ von 1.000 Euro mehr für „jeden kleinen Berufspendler“ spricht, ist das falsch. Denn nicht jeder Pendler fährt 50 Kilometer zur Arbeit und hat ein Auto, das acht Liter Benzin auf 100 Kilometern verbraucht.
Mögliche Entlastungen werden außer Acht gelassen
„Befreiter Blick“ berücksichtigt auch andere Faktoren einer möglichen CO2-Steuer nicht. Zum Beispiel, dass nicht nur die Spritpreise steigen würden, sondern auch die für Erdgas und Heizöl. Jeder Haushalt würde unterschiedlich stark belastet, je nachdem, wie viele Personen darin leben, wie hoch das Einkommen ist und wie viel konsumiert wird. Zudem enthalten alle Gutachten für eine CO2-Steuer einen sozialen Ausgleich, eine Rückzahlung an die Bürger, teilweise zusätzlich kombiniert mit einer Senkung der Stromsteuer oder der EEG-Umlage.
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) zum Beispiel rechnet für alle Einkommensgruppen verschiedene Modelle durch, mit Rückzahlungen einer „Klimaprämie“ zwischen 80 und 100 Euro pro Kopf und Jahr. Gleichzeitig werden auch mögliche Entlastungen beim Strompreis berechnet. Jedes Modell unterscheidet sich vom anderen. Im Szenario einer „Klimaprämie“ von 100 Euro und einer gleichzeitigen Absenkung der Stromsteuer geht das FÖS zum Beispiel für das Jahr 2021 davon aus, dass nur hohe Einkommensgruppen zu Nettozahlern werden.
Gutachter sehen stärkere Belastung für Pendlerhaushalte
Pendler stellen allerdings einen Sonderfall dar. Zwei der Gutachten enthalten deshalb Berechnungen für Pendlerhaushalte. Diese werden darin definiert als Haushalte, in denen mindestens eine Person mehr als 20 Kilometer täglich zur Arbeit fährt. „Pendlerhaushalte dürften von der CO2-Steuer stärker belastet werden und haben angesichts des lückenhaften öffentlichen Personenverkehrs in vielen Regionen ggf. keine Ausweichmöglichkeiten“, schreiben die Gutachter von der Hans-Böckler-Stiftung (S. 31). Und: „Durchschnittlich haben alle Pendlerhaushalte eine deutliche Nettobelastung, die zwischen 220 Euro und 560 Euro im Jahr 2030 liegen wird.“ (Seite 46)
Durchgerechnet werden in dem Gutachten drei Beispiele für Pendlerhaushalte: Paare mit und ohne Kinder und Singles, jeweils vom Land und in der Stadt. Darin wird deutlich, dass tatsächlich oft Mehrausgaben von mehr als 1.000 Euro pro Jahr anfallen. Doch das ist nicht die Summe, die sie am Ende netto mehr zahlen. Den höchsten Nettoeffekt erreicht eine Familie mit zwei Kindern, in der zwei Personen pendeln. Sie hätte im Jahr 2030 Mehrkosten von mehr als 1.700 Euro; netto wäre das eine Belastung von 616,20 Euro.
Das Gutachten des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (Seite 14) kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Beide schlussfolgern, dass finanzielle Entlastungen für Pendler nötig seien. Kurzfristig könne dies zum Beispiel über eine Anhebung der Pendlerpauschale oder ein „Pendlergeld“ geschehen (PDF, Seite 52). „Die aktuelle Regelung einer Entfernungspauschale ist nur wenig geeignet, Haushalte mit geringen Einkommen zu entlasten“, schreibt die Hans-Böckler-Stiftung. „Viele – insbesondere Familien mit mehreren Kindern – zahlen keine Einkommensteuer und können durch die Entfernungspauschale nicht entlastet werden.“ Die Erhöhung des Pendlergeldes käme daher vor allem Haushalten mit höherem Einkommen zugute.
Ein Pendlergeld oder „Mobilitätsgeld“ habe eine bessere Wirkung, sei aber „sehr kostspielig“ und komme deshalb nur als „Härtefallregelung“ für Menschen mit geringem Einkommen infrage (Seite 55). Langfristig seien diese Maßnahmen zudem nicht sinnvoll; um die gewünschte Lenkungswirkung zu erzielen, sollten stattdessen „klimafreundliche Verhaltensweisen“ gezielt gefördert werden.
Der Dienstwagen auf dem Foto ist ein Hybrid-Fahrzeug
Zusätzlich haben wir den Hintergrund des Fotos geprüft, mit dem der Beitrag illustriert wurde. Die Urheberin ist die Deutsche Presse-Agentur; es stammt offenbar von der Webseite der Schwäbischen Zeitung, wo es mit Angabe der Quelle verwendet wurde. Auf unsere Nachfrage teilt die Pressesprecherin des Bundesumweltministeriums, Svenja Kleinschmidt, mit, bei dem BMW auf dem Foto handele sich sich um den Dienstwagen von Svenja Schulze, einen BMW 740e iPerformance in der Version von 2018. Das Fahrzeug ist also ein sogenannter Plug-In-Hybrid. Insgesamt bestehe die Flotte des Umweltministeriums aus 22 Fahrzeugen: zwei Elektrofahrzeugen, 18 Plug-In-Hybridfahrzeugen und zwei Diesel-Kleinbussen, so Kleinschmidt.
Im Katalog von BMW (ab Seite 24) von Juli 2018 sind Abbildungen des Fahrzeugs zu sehen. Es ist plausibel, dass es sich um dasselbe Modell wie das auf dem Foto handelt.
Fazit
Die Aussage, Pendler würden 1.000 Euro mehr im Monat zahlen, bezieht sich auf einen Artikel des Focus. Darin wird jedoch nur ein ganz spezieller Fall eines Pendlers durchgerechnet, der sich nicht auf alle übertragen lässt.
Gutachten im Auftrag des Bundesumweltministeriums stellen zwar klar, dass eine CO2-Steuer sich für Pendler ungünstig auswirken kann, insbesondere, wenn sie zu den unteren Einkommensgruppen gehören. Die Aussage, „jeder kleine Berufspendler“ würde 1.000 Euro mehr pro Jahr zahlen, lässt sich aber daraus nicht ableiten. Es werden zahlreiche mögliche finanzielle Entlastungen im Rahmen einer CO2-Steuer außer Acht gelassen.
Bei dem Foto von Umweltministerin Svenja Schulze fehlt ebenfalls Kontext. Mit der Aufnahme soll ihre Motivation für die Einführung einer CO2-Steuer unglaubwürdig gemacht werden. Es handelt sich bei dem abgebildeten Auto um ihren Dienstwagen; einen Plug-In-Hybrid.
Update, 17. Juli 2019: Im Fazit hatten wir versehentlich einmal von 1000 Euro „pro Monat“ geschrieben. Wir haben den Fehler korrigiert.