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Diesen Zahlen zur Kriminalität im Kontext von Zuwanderung fehlt Kontext

Ein auf Facebook geteiltes Foto listet Zahlen zu von Zuwanderern verübten Straftaten auf. Sie erwecken den Eindruck, dass Zuwanderer 2018 deutlich mehr Verbrechen verübten als noch 2014. Die Zahlen finden sich zwar in einem Bericht des Bundeskriminalamts, sie sind aber nicht vergleichbar.

von Nina Breher

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Die Zahlen aus dem Facebook-Beitrag stammen aus einer Publikation des Bundeskriminalamts. (Symbolfoto: M. B. M. / Unsplash)
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Größtenteils falsch. Die Zahlen entstammen der Polizeilichen Kriminalstatistik, die Daten von 2014 und 2018 sind aber nicht vergleichbar.

Hinweis (9. August 2019): Wir haben in diesem Artikel Fehler und Ungenauigkeiten korrigiert. Zuvor hatte der Blog Volksverpetzer einen Faktencheck zum selben Thema veröffentlicht, der auf die Fehler in unserem ursprünglichen Text hinwies. Wir hatten nicht berücksichtigt, dass die Zahlen von 2014 und 2018 aus den BKA-Lagebildern „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ nicht vergleichbar sind, da zwischenzeitlich die Definition von „Zuwanderern“ verändert wurde. 

Wir hatten Berechnungen angestellt, die zeigen sollten, wie sich die Zahl der Delikte und Tatverdächtigen prozentual entwickelt hatte – diese waren jedoch aufgrund der statistischen Ungenauigkeiten nicht sinnvoll. Wir haben sie deshalb aus dem Artikel entfernt. Zudem hatten wir in der Ursprungsfassung nicht erwähnt, dass die Zahl der „vollendeten Tötungsdelikte“ nicht zwingend nur Menschen umfasst, die wirklich gestorben sind. Wir sind nun außerdem näher auf Unterschiede bei den Gesamtzahlen von „Asylsuchenden“ im BKA-Bericht und den von uns zusätzlich zitierten „Schutzsuchenden“ vom Statistischen Bundesamt eingegangen. 

Nach diesen Änderungen haben wir unsere Bewertung der Grafik von „größtenteils richtig“ zu „größtenteils falsch“ geändert.

Ein innerhalb von zwei Wochen rund 1.800 Mal auf Facebook geteilter Beitrag vergleicht Zahlen des Bundeskriminalamts zu aufgeklärten Straftaten „mit Beteiligung mindestens eines Zuwanderers“ von 2014 und 2018. Die Liste suggeriert einen deutlichen Anstieg der Kriminalität durch Zuwanderer in Deutschland. Einige Nutzer ziehen in den Kommentaren die Richtigkeit der Zahlen in Zweifel.

Der auf Facebook geteilte Beitrag. (Screenshot: CORRECTIV)

Den Zahlen fehlt wichtiger Kontext

Die Zahlen stammen aus dem Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2018 (PDF). Das Bundeslagebild wird seit 2015 jährlich erstellt und verwendet Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018 (PDF). Sie erfasst von der Polizei aufgeklärte Straftaten sowie Tatverdächtige. Diese werden nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen „bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft“ (PDF, S. 7) erfasst. Die in dem Beitrag zitierten Zahlen beziehen sich auf die Anzahl der Straftaten, bei denen mindestens ein Zuwanderer tatverdächtig war. Über tatsächlich verurteilte Straftäter sagen sie also nichts aus.

Als „Zuwanderer“ bezeichnet das Bundeslagebild Personen, die als „Asylbewerber“, „Schutzberechtigter und Asylberechtigter, „Kontingentflüchtling“, „Duldung“, oder „unerlaubter Aufenthalt“ registriert wurden (PDF, S. 2). Aber: Die Definition von „Zuwanderern“ war 2014 nicht die gleiche wie 2018 – sie wurde zwischenzeitlich verändert, wie das BKA im Bericht von 2017 (S. 3) schreibt. Vor 2017 wurden Personen mit positiv beschiedenem Asylantrag gar nicht in die Statistik mit einbezogen. Ab 2017 vergrößerte sich also die Gesamtmenge der Personen, auf die sich die Statistik bezieht. 

Im Bericht 2016 – als noch die alte Definition galt – schrieb das BKA deshalb auch in der Einleitung (Seite 2), die Angaben zu den tatverdächtigen Zuwanderern stellten nur eine „Teilmenge des zu berücksichtigenden Personenkreises“ dar. „In der PKS erfolgt die Berechnung der Kriminalitätsbelastung auf Grundlage der Einwohnerzahl. Für die Gruppe der Zuwanderer im Sinne dieses Lagebildes fehlt ein solcher Referenzwert. Deshalb lassen sich keine belastbaren Aussagen zur Kriminalitätsbelastung der Gruppe der Zuwanderer treffen, insbesondere nicht im Verhältnis zur Kriminalitätsbelastung der deutschen Wohnbevölkerung.“

Die Zahlen von 2014 und 2018 sind somit nur eingeschränkt vergleichbar. Dies hat BKA-Sprecherin Britta Schmitz CORRECTIV in einer Mail bestätigt. Erst ab 2017 seien Tatverdächtige mit positiv abgeschlossenem Asylverfahren („International/national Schutzberechtigte und Asylberechtigte“) in die Betrachtung einbezogen worden. „Diese Personengruppe floss bis zum Berichtsjahr 2016 nicht in die Statistik ein, da sie unter dem Sammelbegriff ‘sonstiger erlaubter Aufenthalt’ erfasst wurde und ihr Anteil an dieser Kategorie nicht beziffert werden konnte.“

Erklärung des BKA im Bericht von 2017 zur Änderung der Definition „Zuwanderer“. (Screenshot: CORRECTIV)

Etwas befremdlich wirkt vor diesem Hintergrund, dass das BKA in seinem Bericht von 2018 mehrere Balkendiagramme mit der Anzahl der Straftaten in den Jahren 2014 bis 2018 eingefügt hat. Ein Hinweis auf die geänderte Definition fehlt dort. 

Die Zahlen werden in der Grafik falsch zugeordnet

Selbst wenn die Zahlen vergleichbar wären, ist die Bezeichnung der Delikte in der Grafik in allen drei Fällen nicht korrekt. Die Zahl 122 für 2014 bezieht sich auf„Straftaten gegen das Leben“ , bei denen mindestens ein Zuwanderer tatverdächtig war. 2018 – nach der Veränderung der Definition von „Zuwanderern“ – waren es dann 430. Zu diesen Taten zählen zwar Mord und Totschlag. Die allermeisten Delikte blieben jedoch im Versuchsstadium, wie das Bundeslagebild klarstellt (PDF, S. 17). 

Durch die Darstellung in der Grafik wird der falsche Eindruck erweckt, als seien 2018 tatsächlich 430 Menschen gestorben. 2018 gab es laut BKA aber nur 61 „vollendete Tötungsdelikte“ (Seite 17), bei denen Zuwanderer tatverdächtig waren. 2015 waren es 35. Die Statistik ist hier aber sehr ungenau: Auch bei vollendeten Tötungsdelikten müssen nicht alle Opfer wirklich tot sein. So wird im Lagebild 2018 erklärt, dass in dem Jahr nachträglich alle Opfer des 2016 verübten Anschlags vom Breitscheidplatz als „vollendete Tötungsdelikte“ erfasst worden seien – von diesen Menschen sind aber nur sechs gestorben.

Balkendiagramm mit den Zahlen der aufgeklärten Fälle bei „Straftaten gegen das Leben“ 2014 bis 2018, bei denen mindestens ein Zuwanderer tatverdächtig war. Die meisten Taten blieben im Versuchsstadium. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Zahlen zu „Körperverletzungen“ aus der Grafik beziehen sich auf „Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit“. Sie passen zwar zu denen in der Grafik: 2014 weist die Statistik 18.512 Delikte aus, 2018 waren es 73.177. Dabei war das Delikt jedoch nicht immer eine Körperverletzung. Auch Bedrohung, Nötigung und „Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer“ fallen in die Kategorie. Tatsächlich gab es 2018 55.391 Fälle von Körperverletzung, davon 35.388 vorsätzliche einfache Körperverletzung. 2014 gab es 13.373 Körperverletzungen, davon 8.491 Fälle einfacher Körperverletzung. 

Von den „Rohheitsdelikten und Straftaten gegen die persönliche Freiheit“, bei denen mindestens ein Zuwanderer tatverdächtig war, sind der größte Teil Körperverletzungen, und die meisten davon wiederum einfache Körperverletzungen. (Screenshot: CORRECTIV)

Besonders große Ungenauigkeit bei Sexualdelikten

Die Zahl der „sexuellen Übergriffe“ in der geteilten Grafik meint wiederum die „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ im Bundeslagebild. Für 2014 wird sie nicht exakt zitiert. Laut dem Bild auf Facebook gab es 2014 848 solcher Delikte, das Bundeskriminalamt ermittelte jedoch insgesamt 949 (PDF, S. 14). Die Zahl für 2018 (6.046) in der Grafik stimmt (PDF, S. 20). 

Der Großteil dieser Taten waren aber Fälle von sexueller Belästigung, keine Übergriffe. Sexuelle Belästigung begeht nach dem Strafgesetzbuch jemand, der eine Person „in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt“. Von einem sexuellen Übergriff spricht das Gesetz, wenn eine Person „gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt“. Sexuelle Übergriffe (darunter Vergewaltigungen) gab es 2018 insgesamt 1.233, bei denen Zuwanderer tatverdächtig waren. 2014 gab es 493 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, darunter 322 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung.

Die Zahlen zu Sexualdelikten sind aber aus noch einem zweiten Grund nicht vergleichbar: Auch sie werden seit einer Sexualstrafrechts-Reform 2016 anders erfasst. Seit 2017 fallen deshalb mehr Straftaten unter diese Kategorie (PDF, S. 24).

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit mindestens einem tatverdächtigen Zuwanderer 2018/2017. (Quelle: BKA, Screenshot: CORRECTIV)
Die aufgeklärten Fälle von „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ 2014 bis 2018 umfassen alles von sexueller Belästigung bis Vergewaltigung und Missbrauch. (Screenshot: CORRECTIV)

Zahlen im Kontext der gestiegenen Zuwanderung in Deutschland

Das BKA schreibt im Bericht für 2018 (S. 2): „Die Entwicklung von Kriminalität im Kontext von Zuwanderung muss in Relation zur Entwicklung der Zuwanderung nach Deutschland betrachtet werden.“ 

Zur Gesamtzahl der Personen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten, gibt es keine Daten. Die restlichen Gruppen, die das BKA als „Zuwanderer“ kategorisiert, fallen unter die Definition von „Schutzsuchenden“ des Statistischen Bundesamts – und ihre Zahl ist seit 2014 stark gestiegen. Ende 2018 lebten laut dem Statistischen Bundesamt, das sich auf das Ausländerzentralregister beruft, knapp 1,8 Millionen Schutzsuchende in Deutschland, 2014 waren es rund 750.000. Das ist ein Anstieg von 140 Prozent.

Auch das BKA-Lagebild von 2018 merkt an, die Zahl der „Asylsuchenden“ in Deutschland sei von 2014 bis 2018 stark gestiegen, nennt aber für 2014 wesentlich niedrigere Zahlen (etwa 240.000). Der Grund für die Abweichung ist mutmaßlich, dass die Zahl für 2014 laut BKA-Bericht aus dem EASY-System stammt, einem System zur „Erstverteilung von Asylbegehrenden auf die Länder“. Es wurde erst 2017 durch die Asylgesuchstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ersetzt. Sie erfasse alle ankommenden Asylsuchenden und Flüchtlinge zentral, auch wenn sie noch keinen Asylantrag gestellt hätten, erklärt BKA-Sprecherin Britta Schmitz per Mail an CORRECTIV. „Bei den im EASY-System erfassten Asylsuchenden konnten Fehl- oder Mehrfachregistrierungen nicht ausgeschlossen werden. Ein direkter Vergleich der Asylgesuchstatistik mit den Zahlen aus EASY der Vorjahre ist daher nicht sinnvoll.“

Angaben im Bundeslagebild zur Entwicklung der Anzahl der Asylsuchenden in Deutschland. (Quelle: BKA, Screenshot: CORRECTIV)

Fazit

Aufgrund der eingeschränkten Vergleichbarkeit der Zahlen lässt sich anhand der BKA-Lagebilder keine sinnvolle Berechnung anstellen, wie sich die Kriminalität durch tatverdächtige Zuwanderer von 2014 bis 2018 entwickelt hat.

Das BKA berechnet auch selbst keine Veränderungsraten. Im Bericht 2017 wird dies explizit mit der geänderten Definition von „Zuwanderern“ begründet: Es könnten „zwar generell Entwicklungen dargestellt werden, jedoch ohne Berechnung entsprechender Veränderungsraten“.

Hinweis des BKA im Bericht 2017 zur eingeschränkten Vergleichbarkeit der Daten. (Screenshot: CORRECTIV).
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