Politik

Ja, auch Landesregierungen mit Beteiligung der Grünen stimmten im Bundesrat für eine Verordnung, die den Import von Fracking-Gas ermöglichen könnte

Russia Today behauptet in einem Artikel, dass die Grünen einer Verordnung im Bundesrat zugestimmt hätten, die begünstige, dass auch Fracking-Gas aus den USA nach Deutschland importiert werden kann. Die Behauptung ist größtenteils wahr. Einige grüne Landesregierungen stimmten zu.

von Hüdaverdi Güngör

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Größtenteils richtig. Der Bundesrat hat auch mit Stimmen von Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, eine Verordnung für den Import von Flüssigerdgas beschlossen. Dieses Gas kann durch Fracking gewonnen worden sein.

Der deutsche Ableger des russischen Auslands-TV-Senders Russia Today veröffentlichte am 26. Juni auf seiner Webseite einen Artikel mit dem Titel: „’Freiheit’ wichtiger als Klimaschutz: Die Grünen segnen Fracking-Verordnung im Bundesrat ab“. RT behauptet, die Grünen hätten am 7. Juni im Bundesrat der „Verordnung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Aufbau der LNG-Infrastruktur in Deutschland“ zugestimmt. Diese Verordnung solle begünstigen, dass Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas – LNG) aus dem Ausland in deutsche Netze eingeschleust werden kann. 

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Was ist LNG-Gas und Fracking?  

LNG ist verflüssigtes Erdgas und somit ein fossiler Energieträger. Aktuell hat Deutschland keine Möglichkeit, LNG-Gas direkt per Schiff zu importieren. Mit der Verordnung soll unter anderem der Anreiz für den Bau eines LNG-Terminals in Deutschland geweckt und Hürden genommen werden. „Während bisher vor allem Erdgas aus Russland, Norwegen und den Niederlanden mittels Pipelines nach Deutschland transportiert wird, können durch verflüssigtes Erdgas (Liquefied Natural Gas – LNG), das per Schiff angelandet werden kann, neue Bezugsquellen erschlossen werden, z.B. aus den USA oder anderen Staaten“, heißt es in der Verordnung (Seite 9). Vom Import von Fracking-Gas ist nicht explizit die Rede; tatsächlich kommt das Wort „Fracking“ in dem Dokument gar nicht vor. 

Erdgas kann auf verschiedene Arten gewonnen werden. Eine der Methoden ist das „Fracking“. Sie wird in den USA häufig genutzt. Laut eines Berichts (Seite 2) der Society of Petroleum Engineers (SPE International) von 2012 wurde weltweit schätzungsweise 2,5 Millionen Mal die Fracking-Methode eingesetzt, in den USA sollen es eine Million Mal gewesen sein. Durch Fracking setzt man mit Hilfe von Chemie und hohem Druck Gas- und Ölvorkommen unter der Erde frei. Klimaschützer und Aktivisten wie der BUND kritisieren dies schon seit Jahren. Auch das Umweltbundesamt nennt Gefahren für die Umwelt. 

Der Naturschutzbund Deutschland e.V. schreibt zu Fracking in einem Artikel:Der NABU warnt vor den Risiken zur Förderung unkonventioneller Erdgasvorkommen, dem so genannten Fracking, in Deutschland. Dazu gehören vor allem Belastungen des Grund- und Trinkwassers, der hohe Flächenverbrauch und die Zerstörung von Natur und Landschaft.“ In Deutschland ist Fracking offiziell verboten, ein Regelungspaket dazu trat 2017 in Kraft. 

Die Grünen hielten in ihrem Wahlkampfprogramm für die Europawahl 2019 fest (Seite 20): „Das Projekt Nord Stream 2 lehnen wir daher ebenso ab wie neue Pipelineprojekte, Frackingvorhaben und den Import von gefracktem Gas“. 

Erlaubt die Verordnung den Import von Fracking-Gas? 

Die Überschrift des Artikels von Russia Today kann in die Irre führen: Es geht bei der Verordnung nicht darum, Fracking in Deutschland zu erlauben, sondern eine Infrastruktur für den direkten Import von LNG-Gas zu schaffen. Das importierte LNG-Gas kann dann auch aus den USA kommen und durch die Fracking-Methode gewonnen worden sein. Die Deutsche Umwelthilfe ist überzeugt, dass diese Möglichkeit bestehe, wie aus einer Pressemitteilung vom 7. Juni hervorgeht: „Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) lehnt den Bau von LNG-Terminals für Fracking-Gas ab und verurteilt den Beschluss des Bundesrates als klima- und verbraucherfeindlich.“ 

Im Bundesrat gab es bei der Sitzung am 7. Juni 2019 über dieses Thema eine Debatte. Thüringens Umweltministerin, Anja Siegesmund (Grünen), ließ in einer Protokollerklärung der Bundesratsitzung festhalten: „Thüringen weist darauf hin, dass über das Terminal grundsätzlich auch über Fracking gewonnenes unkonventionelles Erdgas importiert werden könnte. Die Fracking-Technologie ist jedoch mit einer Reihe von Risiken verbunden. Der Einsatz dieser Technologie wird daher in Frage gestellt. In Deutschland sind kommerzielle unkonventionelle Fracking-Vorhaben derzeit nicht zulässig.“ Auch Hamburgs Senator Till Steffen (Grüne) erklärte (Seite 153), die Verordnung werde aus diesen Gründen kritisch gesehen.

Bernd Buchholz (FDP), Wirtschaftsminister aus Schleswig-Holstein, wies jedoch darauf hin: „LNG [ist] derzeit ein aus fossilen Energieträgern gewonnener Stoff. Es ist trotzdem eine unzulässige Verkürzung und eine unzulässige Zuspitzung, wenn in der Diskussion oft von Importstrukturen für amerikanisches Fracking-Gas gesprochen wird. Die Hauptexporteure von LNG sitzen heute im Oman, in Katar und in Norwegen, nicht in den USA.“

Die Bundesregierung begründete die Verordnung unter anderem mit der wachsenden Bedeutung von LNG, im Zuge der Energiewende. Durch die sinkenden Förderungen in Europa ergebe sich ein zusätzlicher Bedarf an Gasimporten in die Europäische Union und damit auch nach Deutschland. 

Die Terminals zum Import des Gases würden zwar privatwirtschaftlich betrieben und müssten vom Eigentümer bezahlt werden. Die Bundesregierung sieht dort aber die Gefahr, dass die hohen Kosten die LNG-Projekte „unwirtschaftlich“ machen könnte. Deswegen sollen mit der Verordnung ein Teil der Kosten auf die Fernleitungsnetzbetreiber umgelegt werden. 

Wie lief der Entscheidungsprozess für die Verordnung ab?

Die Bundesregierung hat unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums die „Verordnung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Aufbau der LNG-Infrastruktur in Deutschland“ vom 27. März 2019 beschlossen. Das geht aus einem Dokument des Bundestages hervor. 

Neue Rechtsverordnungen benötigen die Zustimmung des Bundesrates. Die Verordnung wurde zunächst an den Wirtschaftsausschuss und den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit des Bundesrates weitergeleitet. Diese erarbeiteten eine Empfehlung für den Bundesrat, aus der Verordnung zuzustimmen (Ziffer 1). Der Bundesrat stimmte dann in seiner Sitzung am 7. Juni dieser Empfehlung zu. 

Wie haben die Grünen im Bundesrat abgestimmt?

Anders als im Bundestag stimmen die jeweiligen Landesregierungen im Bundesrat gemeinsam ab. Jedes Bundesland muss seine Stimme einheitlich abgeben, weshalb sich Regierungen mit Koalitionen mehrerer Parteien vorab einigen müssen, wie sie abstimmen wollen. Außerdem wirken sich Enthaltungen wie eine „Ablehnung“ aus. 

Die Grünen waren zum Zeitpunkt der Abstimmung an insgesamt neun Landesregierungen (Koalitionen) beteiligt. Jedes Bundesland veröffentlicht auf seiner eigenen Seite, wie es im Bundesrat abgestimmt hat. Wir haben uns das Abstimmungsverhalten angesehen. Sechs von neun dieser Regierungen im Bundesrat haben für die LNG-Verordnung gestimmt. Die Behauptung aus dem Artikel von Russia Today ist somit größtenteils wahr. 

Zum Nachsehen: 978. Sitzung, am Freitag 07. Juni 2019 – TOP 27: Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen

Das Abstimmungsverhalten der Bundesländer, in denen die Grünen an der Regierung beteiligt sind, nach Recherchen von CORRECTIV. (Quelle: Eigene Darstellung / CORRECTIV)

Tatsächlich hätten die Grünen die Durchsetzung der LNG-Verordnung verhindern können, wenn sich ihre Landesregierungen bei der Abstimmung enthalten hätten. Generell wird das Abstimmungsverhalten eines Bundeslandes im jeweiligen Koalitionsvertrag geregelt. 

Wir haben uns alle Koalitionsverträge der Landesregierungen angesehen, in denen die Grünen beteiligt sind. In allen Verträgen ist eine Klausel zu finden, die besagt, dass die Koalitionspartner sich mit ihrer Stimme im Bundesrat enthalten, wenn sie sich nicht einig sind. Zum Nachsehen: Baden-Württemberg (Seite 133), Berlin (Seite 185), Bremen (Seite 135), Hamburg (Seite 114), Hessen (Seite 195), Rheinland-Pfalz (Seite 138),  Sachsen-Anhalt (Seite 141), Schleswig-Holstein (113), Thüringen (Seite 95)

Fazit

Der Bundesrat verabschiedete eine Verordnung, die den Bau von Importterminals und einer Infrastruktur für Flüssigerdgas in Deutschland erleichtern soll. Dass damit zum Beispiel Erdgas aus den USA, welches durch Fracking gewonnen wurde, in die deutschen Netze künftig direkt eingeschleust werden kann, ist nicht auszuschließen. Zum Zeitpunkt der Abstimmung waren die Grünen in neun Landesregierungen vertreten. Sechs dieser Landesregierungen stimmten der Verordnung im Bundesrat zu, drei enthielten sich.