Gesellschaft

Nein, der Berliner Senat hat nicht „angekündigt, deutsche Obdachlose erfrieren lassen zu wollen“

In einem Artikel der Webseite Anonymous News wird behauptet, der Berliner Senat wolle „Obdachlose erfrieren lassen“, weil freie Plätze in Flüchtlingsunterkünften leer blieben. Das stimmt nicht.

von Till Eckert

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In Berlin gibt es unter anderem das Modellprojekt „Housing first“, um Wohnungen an obdachlose Menschen zu vermitteln. (Symbolfoto: Markus Spiske / Unsplash)
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Falsch. Der Berliner Senat hat nicht beschlossen, Obdachlose erfrieren zu lassen.

Will die Berliner Senatsverwaltung obdachlose Menschen erfrieren lassen? Mit dieser drastischen Behauptung betitelt die Webseite Anonymous News einen Artikel vom 12. Dezember. Im Verlauf des Textes heißt es, die Stadt mache sogenannte „Tempohomes“ nur Geflüchteten zugänglich, nicht aber Obdachlosen. Als vermeintlicher Beleg dafür wird die Aussage einer Sprecherin der Senatsverwaltung zitiert. 

Der Artikel wurde bisher mehr als 1.000 Mal auf Facebook geteilt. Wir haben ihn überprüft.

Der Artikel der Webseite Anonymous News mit der falschen Behauptung, der Berliner Senat habe angekündigt, Obdachlose erfrieren lassen zu wollen. (Screenshot und Verpixelung: CORRECTIV)

Die Behauptung ist konstruiert und verzerrt die Situation

Im Text von Anonymous News wird als Quelle ein Artikel der Berliner Zeitung vom 4. Dezember angegeben. Dort geht es um freie Plätze in sogenannten „Tempohomes“, Wohncontainern, die ursprünglich 2016 als Notunterkünfte für ankommende Geflüchtete eingerichtet wurden (PDF, Kleine Anfrage, Seite 2) und in denen derzeit 724 Plätze frei seien.

Dennoch weigere sich der Berliner Senat „beharrlich, in Not geratenen Deutschen auf diese Weise zu helfen“, schreibt Anonymous News. Dazu wird eine Aussage von Regina Kneiding, Sprecherin der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, aus dem Artikel der Berliner Zeitung zitiert. Demnach fehlten formaljuristisch baurechtliche Genehmigungen, um die „Tempohomes“ für einen anderen Zweck zu verwenden. Zudem gebe es laut Kneiding „obdachlose Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in geschlossene Räume wollen“. 

Daraus konstruierte Anonymous News die Behauptung: „Deshalb hat der Senat beschlossen, konsequent alle Obdachlosen in Berlin lieber erfrieren zu lassen, als ihnen einen Unterschlupf in den ‘Tempohomes’ zu gewähren.“ 

Die Autoren lassen dabei jedoch weg, dass Kneiding in dem Artikel der Berliner Zeitung auch betonte, es gebe genügend andere Schlafplätze für Obdachlose. Kneiding antwortete auf CORRECTIV-Anfrage per E-Mail knapp darauf, ob die Senatsverwaltung beschlossen habe, obdachlose Menschen erfrieren lassen zu wollen, mit: „Nein.“ 

„Tempohomes“ werden für die Unterbringung von Obdachlosen in Betracht gezogen 

Kneiding erklärt in der E-Mail auch genauer, warum die „Tempohomes“ nicht verwendet werden können: „Die Tempohomes sind nach dem Flüchtlingsbaurecht errichtet. Und nach diesem Sonderbaurecht kann über einen bestimmten Zeitraum nur eine entsprechende Nutzung stattfinden.“ Zurzeit würden Gespräche zwischen Bezirken und Senat geführt, was die Nachnutzung der einzelnen Standorte betrifft. „Die bezirklichen Infrastrukturvorhaben haben Vorrang. So sind nach der Unterbringung von Geflüchteten in diesen Tempohomes eben auch andere Nutzung möglich. Dazu gehört auch die mögliche Unterbringung von Wohnungslosen oder Obdachlosen im Rahmen der Kältehilfe.“

Antwort der Senatsverwaltung. (Screenshot: CORRECTIV)

Die „Tempohomes“ werden für die Zukunft also für die Unterbringung von Obdachlosen in Betracht gezogen, können aber derzeit nicht verwendet werden.

In Berlin gibt es mehrere Angebote der Wohnungslosenhilfe

Der Text von Anonymous News suggeriert außerdem, es gebe keinerlei Hilfsangebote für Obdachlose in Berlin, sie blieben „auf der Strecke“ und Berlin sei untätig. Das stimmt nicht. 

„Berlin bringt ungefähr rund 37.000 Menschen unter, die selbst keine eigenen Wohnung haben. Dazu gehörten auch Geflüchtete mit Aufenthaltsstatus, aber auch Berlinerinnen und Berliner, die ihre Wohnung aus den unterschiedlichsten Gründen verloren haben”, schreibt Kneiding. Sie gibt außerdem in ihrer E-Mail Einblicke in die Berliner Angebote der Wohnungslosenhilfe:

  • Es gebe beim Winterprogramm „Kältehilfe“ 1.160 Plätze, davon seien derzeit 280 frei. „Wer einen Platz in der Kältehilfe will, bekommt auch einen. Niemand soll auf der Straße erfrieren.“

Die Mittel für Projekte in der Obdachlosenhilfe seien in den vergangenen zwei Jahren von vier auf acht Millionen Euro verdoppelt worden.

Antwort der Senatsverwaltung. (Screenshot: CORRECTIV)