Benachteiligung von Frauen weltweit: Unbelegte Zahlen auf Instagram verbreitet
Ein Beitrag, der derzeit vielfach auf Instagram geteilt wird, will anhand verschiedener Zahlen eine weltweite Benachteiligung von Frauen verdeutlichen. Die Zahlen sind größtenteils unbelegt. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Geschlechterungleichheit gibt.
Frauen seien auf der Welt noch immer deutlich im Nachteil – und das, obwohl sie mindestens genauso viel, wenn nicht sogar mehr als Männer leisteten. So lautet die Botschaft einer englischsprachigen Collage, die derzeit auf Instagram von verschiedenen Nutzerinnen und Nutzern geteilt wird. Darin werden Zahlen genannt, die die weltweite Ungleichheit der Geschlechter deutlich machen sollen.
Es stimmt, dass Frauen weltweit und auch in Deutschland in vielen Lebensbereichen weiterhin benachteiligt sind. Darin sind sich unter anderem Sozialforscher der Weltbank, die Vereinten Nationen und das Bundesfamilienministerium einig. Die in dem Instagram-Beitrag genannten Zahlen sind aber größtenteils nicht belegt, zwei davon sind falsch.
Übersetzt heißt es im Beitrag: „Frauen sind 51 Prozent der Population, aber 70 Prozent der Armen und 83 Prozent aller Alleinerziehenden, machen 66 Prozent der Arbeit, produzieren 50 Prozent des Essens, aber verdienen nur 11 Prozent des Lohns und nur 1 Prozent des Landes.“ Darunter steht der Satz: „Für den Fall, dass du dich fragst, warum wir immer noch Feminismus brauchen.“
Unter anderem die Unternehmerin und Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer sowie die Kolumnistin Mirna Funk (Edition F und Vogue Germany) teilten die Zahlen auf ihren Accounts. (Funk hat ihren Beitrag inzwischen wieder gelöscht.) Die Beiträge der beiden erzielten zusammen mehr als 8.000 Likes. Mirna Funk hatte auf Nachfrage in den Kommentaren unter ihrem Post eine Webseite der Menschenrechtsorganisation Amnesty International als Quelle angegeben. Dort sind die meisten der Zahlen auch wiederzufinden. Allerdings heißt es, Frauen bekämen zehn Prozent des Lohns, nicht elf.
Amnesty wiederum verweist auf zwei Webseiten. Eine davon ist nicht mehr abrufbar; sie gehörte Unifem (United Nations Development Fund for Women), eine Abteilung der Vereinten Nationen, die seit 2010 in UN Women aufgegangen ist. Die letzte archivierte Version der Webseite ist von März 2014. Der Artikel von Amnesty International muss also schon etwa sechs Jahre alt sein. Die Zahlen sind veraltet.
Der zweite Link führt auf eine Webseite des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, Unicef. Auf der Seite sind die konkreten Zahlen aber auch nicht zu finden.
Woher die Zahlen ursprünglich stammen, lässt sich nicht nachvollziehen. Sie tauchten in den vergangenen Jahren auch in Büchern auf, beispielsweise „Women Leadership in Emerging Markets: Featuring 46 Women Leaders“ (Seite 195). Dort wird als Quelle „OECD 2012“ angegeben.
CORRECTIV hat die Angaben in dem Instagram-Beitrag einzeln anhand der aktuellsten verfügbaren Daten geprüft:
„Frauen sind 51 Prozent der Population“: Falsch
Das stimmt nur ungefähr. Gemäß den aktuellsten Zahlen der Weltbank waren im Jahr 2018 rund 49,6 Prozent aller Menschen weiblich.
„…aber 70 Prozent der Armen“: Falsch
Die Angabe, dass 70 Prozent der Armen weltweit Frauen sind, wird offenbar seit Jahren verbreitet. Die Weltbank schreibt in einem Blogartikel von März 2018, diese Zahl sei falsch: „Tatsächlich wissen wir aus den vorhandenen Daten, dass Frauen etwa 50 Prozent und nicht 70 Prozent der extrem Armen der Welt ausmachen“, schreiben Sozialwissenschaftlerin Ana Maria Munoz-Boudet und Carolina Sánchez-Páramo, Leiterin des Bereichs Armut bei der Weltbank, in dem Artikel. Das bedeute aber nicht, dass Armut geschlechtsneutral und nicht sexistisch sei, betonen die Autorinnen.
Wie viele Menschen weltweit von Armut betroffen sind, wird auf der Ebene einzelner Haushalte erfasst. Statistisch geht man davon aus, dass alle Menschen innerhalb eines Haushalts – also Männer und Frauen – gleichermaßen von Armut betroffen sind. „Belege und der gesunde Menschenverstand sagen uns aber, dass das selten der Fall ist“, heißt es in dem Text weiter.
Die Forscherinnen führen eine eigene Auswertung von Zahlen der Global Micro Database an, die sich auf geschlechterspezifische Wohlstandsunterschiede konzentrierte. Das Papier stützt sich auf Umfragen aus 89 Ländern. Demnach kommen auf 100 Männer zwischen 25 bis 34 Jahren, die in Armut leben, 122 Frauen derselben Altersgruppe. Auch UN Women spricht in einer Mitteilung von 2017 davon, dass Frauen zwischen 20 und 34 Jahren ein höheres Armutsrisiko haben, und verweist auf die Auswertung der Weltbank.
„…und 83 Prozent der Alleinerziehenden“: Unbelegt
CORRECTIV hat keine Statistik gefunden, die die Zahl aller alleinerziehenden Mütter weltweit erhebt und diese Behauptung belegen könnte.
Betrachtet man allein die USA, sind die 83 Prozent allerdings korrekt: Dort hat das United States Census Bureau erhoben, dass im Jahr 2019 rund 19 Millionen Kinder unter 18 Jahren nur bei einem Elternteil aufwuchsen (Table C2, Household Relationship and Living Arrangements of Children Under 18 Years, by Age and Sex: 2019). Etwa 15,8 Millionen davon lebten demnach nur bei ihrer Mutter – das sind umgerechnet etwa 83 Prozent.
In Deutschland ist der Anteil noch höher. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums leben aktuell 18 Prozent aller 13,1 Millionen Kinder unter 18 Jahren mit nur einem Elternteil im Haushalt. In 90 Prozent der Fälle sei dies hierzulande die Mutter, schreibt das Ministerium.
„…machen 66 Prozent der Arbeit“: Unbelegt
Auch zu dieser Zahl gibt es keine Statistik. Definiert man den Begriff Arbeit aber als wirtschaftliche Beschäftigung, kann man zur Überprüfung einen Blick auf die Zahl der Erwerbstätigen weltweit werfen.
Nach Angaben der International Labour Organization (PDF, Seite 6) waren im Jahr 2018 drei Viertel aller Männer, aber nur knapp die Hälfte aller Frauen erwerbstätig – ein Unterschied von 26,5 Prozent. Es gingen also viel weniger Frauen als Männer einer Beschäftigung nach. Vor diesem Hintergrund ist es aber unwahrscheinlich, dass Frauen zwei Drittel der weltweiten Arbeit im wirtschaftlichen Sinn leisten.
Andererseits leisten Frauen auch in Deutschland abseits wirtschaftlicher Tätigkeiten mehr unbezahlte Sorgearbeit. Darunter fallen beispielsweise Haushaltsarbeiten, die Pflege und Betreuung von Kindern sowie ehrenamtliches Engagement. Das Bundesfamilienministerium beziffert die Gender Care Gap in Deutschland auf aktuell 52,4 Prozent. Das bedeutet, dass Frauen täglich durchschnittlich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer verwenden. Umgerechnet seien das laut Ministerium 87 Minuten Unterschied – jeden Tag.
„…produzieren 50 Prozent des Essens“: Unbelegt
Wie viel der weltweiten Nahrung von Frauen produziert wird, kann laut Food and Agriculture Organization of United Nations (FAO) empirisch nicht beantwortet werden.
In einem Bericht zu Frauen in der Agrarwirtschaft von 2011 erklärt die Organisation, „unterschiedliche Definitionen von Nahrung und Produktion würden zu unterschiedlichen Antworten auf diese Frage führen“ (Seite 8). Außerdem sei eine Trennung der Nahrungsmittelproduktion nach Geschlecht nicht sinnvoll, da viele der dafür notwendigen Ressourcen in Entwicklungsländern von Männern und Frauen gemeinsam kontrolliert würden.
Andererseits machen Frauen laut FAO im Durchschnitt „43 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern aus, wobei die Spanne von 20 Prozent in Lateinamerika bis zu 50 Prozent in Ostasien und Subsahara-Afrika“, in einzelnen Länder sogar bis 60 Prozent reiche (PDF, Seite 8).
„…aber verdienen nur 11 Prozent des Lohns“: Unbelegt
CORRECTIV konnte keine Belege für diese Behauptung finden. Wie viel Lohn die Menschen weltweit absolut erwirtschaften, ist nicht bekannt. Dementsprechend ist auch keine Aussage darüber möglich, welcher Anteil davon auf Frauen entfällt.
Fakt ist aber: Frauen bekommen weniger Geld. Laut dem aktuellen Global Wage Report 2018/2019 bewegt sich die sogenannte Gender Pay Gap, also das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern, weltweit zwischen 16 und 22 Prozent. Das bedeutet, dass Frauen im weltweiten Durchschnitt zwischen 16 und 22 Prozent weniger Geld verdienen als Männer – je nachdem, ob die Lücke anhand des Stunden- oder des Monatslohns berechnet wird.
In Deutschland lag die (unbereinigte) Gender Pay Gap im Jahr 2018 bei 21 Prozent, hat das Statistische Bundesamt berechnet.
„…und [besitzen] nur ein Prozent des Landes“: Unbelegt
Es liegen (noch) nicht ausreichend Daten zur aktuellen Verteilung des weltweiten Grundbesitzes auf Männer und Frauen vor. Die Food and Agriculture Organization of United Nations (FAO) hat jedoch im Jahr 2015 ausgewertet, wie die Geschlechterverteilung unter landwirtschaftlichen Grundbesitzern weltweit aussieht.
Basierend auf Zahlen der Gender and Land Rights Database berechnete die FAO 2015, dass etwa 12,8 Prozent aller landwirtschaftlichen Grundbesitzer Frauen sind. (Quelle: FAO, Screenshot: CORRECTIV)
Das Ergebnis demnach: Etwa 12,8 Prozent aller landwirtschaftlichen Grundbesitzer sind Frauen. Die FAO stützt sich auf Zahlen der Gender and Land Rights Database und hat für die Analyse Daten aus 104 Ländern ausgewertet.
Wie viel Fläche die Frauen anteilig wirklich besitzen, lässt sich aus diesen Zahlen nicht ablesen. Die Forscher folgern aber: „Die Daten […] zeigen, dass die Geschlechterungleichheit in der Verwaltung landwirtschaftlicher Betriebe recht offensichtlich ist.“
„Die Ungleichheiten zwischen Geschlechtern sind nach wie vor tief verwurzelt“
Die in dem Beitrag genannten Zahlen sind teils falsch oder statistisch nicht belegbar. Das bedeutet aber nicht, dass es keine weltweite Geschlechterungleichheit gibt.
Sozialforscher sind sich einig, dass es weiterhin große Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt: „Große Herausforderungen – vom Klimawandel, erzwungener Migration und Pandemien bis hin zur Verlangsamung des Investitionswachstums und steigenden Armutsraten in vielen Entwicklungsländern – betreffen […] Männer und Frauen unterschiedlich (oft zum Nachteil von Frauen)“, schreibt etwa die Weltbank im Oktober 2019. Als Gründe führt sie diskriminierende Gesetze, sowie geschlechtsspezifische und soziale Normen an, welche die wirtschaftliche Rolle und Verantwortung von Frauen negativ beeinflussen.
Die UN Women schreiben dazu auf ihrer Webseite: „Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sind nach wie vor in jeder Gesellschaft tief verwurzelt.“ Das United Nations Development Programme nennt die weltweite Geschlechterungleichheit ein „wesentliches Hindernis menschlicher Entwicklung“.
Auch das Bundesfamilienministerium schreibt in seinem dritten Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland (Seite 1): „Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist noch lange nicht verwirklicht. Trotz beachtlicher Fortschritte auf einigen Gebieten sind die Chancen von Frauen und Männern in vielen gesellschaftlichen Bereichen immer noch sehr unterschiedlich.“