Faktencheck

Vergleich der Anzahl von Todesopfern durch Covid-19 mit anderen Todesursachen ist irreführend

In Sozialen Netzwerken kursiert eine Aufstellung mit angeblichen Opferzahlen durch verschiedene Todesursachen im ersten Quartal 2020, zum Beispiel Suizid oder Krebs. Die Zahlen von der Plattform Worldometers.info sind jedoch unbelegt und die Statistiken nicht vergleichbar.

von Steffen Kutzner

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Übersicht der Aufstellung zu den Todeszahlen, die in Sozialen Netzwerken kursiert. (Screenshot: CORRECTIV)
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Unbelegt. Die Zahlen zu den verschiedenen Todesursachen sind unbelegt und nicht mit Covid-19 vergleichbar.

Auf Whatsapp und Facebook wird ein Bild mit einer Aufstellung geteilt, bei der angebliche Opferzahlen durch verschiedene Todesursachen einander gegenübergestellt werden. Sie enthält Zahlen zu Malaria, Verkehrsunfällen oder Hunger und vergleicht diese mit Todesfällen durch Covid-19. Der Zeitraum wird als 1. Januar bis 25. März 2020 angegeben. 

Als Quelle dafür wird die Webseite worldometers.info genannt. Es finden sich für alle in der Liste aufgeführten Todesursachen Zahlen auf der Webseite, und für alle Todesursachen lagen sie zum Zeitpunkt der Überprüfung durch uns höher als in der Aufstellung angegeben. 

Auszug einiger Zahlen, die Worldometers.info angibt. Stand: 29. April 2020. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Webseite hat keine Archivfunktion und die Betreiber der Seite haben bis zur Veröffentlichung nicht auf unsere Anfrage geantwortet, deshalb konnten wir nicht überprüfen, ob die angegeben Zahlen tatsächlich am 25. März auf der Webseite zu finden waren. 

Eine Ausnahme bildet die Angabe für die Coronavirus-Todesfälle. Laut dem auf Facebook und Whatsapp geteilten Bild lag die Zahl der Corona-Todesfälle am 25. März bei 21.297.

Das stimmt in etwa überein: Am 25. März waren es laut Worldometers.info 21.283 Fälle. Als Quelle dafür werden zum Beispiel offizielle Berichte von Regierungen und regionalen Medien genannt. 

Die WHO gibt abweichend davon für den 25. März 18.433 Tote an. Der Unterschied kann durch die unterschiedlichen Erhebungsverfahren zustande kommen.

Die Übersicht der Opferzahlen für das Coronavirus auf der Seite Worldometers.info. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Aufstellung auf Facebook und Whatsapp vergleicht jedoch die Zahlen mit anderen Krankheiten, Unfällen oder Hungersnot – völlig unterschiedliche Todesursachen, die nichts gemeinsam haben. Die einzigen Virus-Erkrankungen in der Aufstellung neben Covid-19 sind die Grippe und Aids.

Unsere Recherche ergibt zudem: Die Daten zu den anderen Todesursachen sind nicht aktuell. Worldometers.info legt seine Berechnungsmethode nicht offen, sondern erklärt, die Daten stammten aus offiziellen Quellen, würden aber nicht in Echtzeit erhoben. Sie würden lediglich auf Basis von teilweise mehrere Jahre alten Zahlen geschätzt, wie es auf der Webseite heißt: „Unsere Echtzeit-Schätzungen werde aus unserem Algorithmus gespeist, der auf den Analysen verfügbarer Daten und Statistiken basiert.“

Auszug aus der FAQ-Seite von Worldometers.info. (Screenshot: CORRECTIV)

Saisonale Grippe

Die Angabe der im Bild genannten 113.034 Toten durch die saisonale Grippe seit Anfang 2020 ist nicht nachvollziehbar. Worldometers.info gibt als Quelle für die Schätzung eine Pressemitteilung der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC aus dem Jahr 2017 und eine Pressemitteilung der WHO aus demselben Jahr an.

Die WHO schätzt laut einer Übersichtsseite aus dem Jahr 2018 weltweit 290.000 bis 650.000 Grippetote pro Jahr. Auch die Johns-Hopkins-Universität geht von schätzungsweise 291.000 bis 646.000 Todesfällen pro Jahr aus. Die beiden Pressemitteilungen, auf die sich Worldometers.info bezieht, nennen dieselben Zahlen. 

Die Todesfälle der saisonalen Grippe und die von Covid-19 lassen sich aber nicht vergleichen, weil sie – zumindest in Deutschland – statistisch unterschiedlich erhoben werden, wie wir bereits in unserem Faktencheck vom 19. April beschrieben hatten. Die Grippefälle basieren auf Schätzungen, während die Covid-19-Zahlen tatsächlich gemeldete Todesfälle wiedergeben.

Malaria

Laut der Aufstellung sind im ersten Quartal diesen Jahres angeblich 228.095 Menschen an Malaria gestorben. Diese Zahl ist unbelegt. Worldometers.info verweist als Quelle auf eine Übersichtsseite der WHO, auf der die Zahlen für Malariatote jedoch nicht genannt werden.

Der World Malaria Report 2019 der WHO gibt für das Jahr 2018 weltweit schätzungsweise 405.000 Gestorbene an. Aktuellere Zahlen gibt es bisher nicht. Heruntergerechnet auf ein Quartal ergibt sich damit eine ungefähre Zahl von 101.000 Toten. 

Suizid

Als Quelle gibt worldometers.info eine Übersichtsseite der WHO zu Suizidraten an, auf der von „close to 800.000 people“ pro Jahr gesprochen wird. 

Die aktuellsten Zahlen, die die WHO zu Todesfällen durch Suizid erhoben hat, stammen aber aus dem Jahr 2016. Die Schätzung geht von 793.000 Suiziden weltweit aus. Auch im von der WHO herausgegebenen Bericht World Health Statistics 2019 wird sich noch darauf bezogen (Seite 31). 

Selbst wenn die Zahl auf 2020 übertragbar wäre, wären es etwa 198.000 Fälle pro Quartal. Die im Bild angegebene Zahl von 249.095 ist also mit diesen Daten nicht nachvollziehbar. 

Verkehrsunfälle

Für die behauptete Zahl von 313.903 Verkehrstoten im ersten Quartal 2020 gibt es keine direkte Quelle. Als Berechnungsgrundlage nennt Worldometers.info eine Pressemitteilung der WHO aus dem Jahr 2011, in der für das Jahr 2020 1,9 Millionen Tote durch Verkehrsunfälle vorausgesagt wurden. 

Dem Global Status Report On Road Safety der WHO aus dem Jahr 2018 zufolge sind 2018 1.354.840 Menschen bei Verkehrsunfällen gestorben, Fußgänger und Radfahrer mit eingeschlossen. Heruntergerechnet entspricht das 339.000 Fällen pro Vierteljahr. Die Zahl der Verkehrstoten weltweit steigt seit Jahren.

Aids

Angeblich sind laut der Aufstellung im ersten Quartal diesen Jahres 390.908 Menschen an Aids gestorben. Worldometers.info nennt als Quelle die Organisation UNAIDS, auf deren Webseite sich die Zahl von 770.000 Todesfällen durch Krankheiten in Verbindung mit Aids im Jahr 2018 finden lässt. Es handelt sich jedoch um eine Schätzung, die Variable wird mit 570.000 bis 1,1 Millionen angegeben.

Screenshot aus dem Aids-Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019. (Screenshot: CORRECTIV)

Die im auf Whatsapp geteilten Bild angegebene Zahl von 390.000 im Jahr 2020 ist also nicht nachvollziehbar. 

Alkohol

Das Bild gibt 581.599 Tote durch Alkohol im ersten Quartal 2020 an. Berechnungsgrundlage für Worldometers.info ist eine Informationsseite der WHO, die die Zahlen von 2016 nennt (drei Millionen Tote durch Alkoholmissbrauch). Aktuellere Zahlen gibt es bisher nicht. Die Zahl im Bild ist daher unbelegt.

Rauchen

Worldometers.info gibt als Quelle eine Seite der WHO an, auf der jedoch keine jährlichen Opferzahlen genannt werden. Auch aktuelle Zahlen liegen hierzu nicht vor, deshalb kann die Zahl von 1,62 Millionen seit Anfang 2020, die in dem Bild genannt wird, nicht überprüft werden. 

Im Jahr 2016 starben laut dem von der amerikanischen Krebsgesellschaft herausgegebenen ‘Tabakatlas’ weltweit 7,1 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. Die WHO spricht auf einer zuletzt im Juli 2019 aktualisierten Webseite sogar von mehr als acht Millionen pro Jahr. Daraus ergeben sich für das Quartal rund 1,78 bis 2 Millionen Tote weltweit. 

Krebs

Krebstote laut Aufstellung der WHO aus dem Jahr 2018. (Screenshot: CORRECTIV)

Worldometers.info gibt als Grundlage für ihren Schätzwert von Krebs-Todesfällen eine Übersichtsseite der WHO an. Dort findet sich aber lediglich der gerundete Wert von 9,6 Millionen Krebstoten für das Jahr 2018. Das wären 2,39 Millionen pro Quartal. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. 

Für die 1,91 Millionen Todesfälle in dem Bild fanden wir also keine Belege. 

Hunger

Angeblich starben im ersten Quartal 2020 2,38 Millionen Menschen aufgrund von Hunger. Wir können diese Zahl nicht verifizieren. Es gibt hierzu keine aktuellen Daten. 

Worldometers.info gibt drei Quellen an: Die Hunger Map des World Food Programme von 2019, auf der jedoch keine Zahlen für Hungertote genannt werden. Eine Übersichtsseite der WHO für den World Health Report 2013, auf der ebenfalls keine Zahlen genannt werden. Und die Seite von UNICEF, die Links zu den jährlichen Berichten zum Status von Unterernährung und Kinderarmut bei Kindern bietet. Auch dort werden keine Zahlen zu Hungertoten genannt. 

Wir konnten in den Berichten der Vereinten Nationen, der WHO, der Welthungerhilfe, des FSIN und UNICEF keine aktuellen Zahlen finden. Presseanfragen an die WHO und die Welthungerhilfe wurden mit Verweis auf die Berichte beantwortet. Die Welthungerhilfe und die FAO schrieben uns, es lägen keine aktuellen Zahlen vor. Eine Pressesprecherin der WHO teilte uns mit, man wüsste von keinen jährlichen Berichten, die Angaben zu Hungertoten machten.

Auszug aus der Antwort-E-Mail der WHO auf die Frage, ob Zahlen zu Hungertoten bekannt seien. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Hilfsorganisation Mercy Corps gibt auf ihrer Webseite „mehr als neun Millionen Tote“ pro Jahr durch Hunger an, die Quelle für diese Zahl ist jedoch unklar. Auf das Quartal heruntergerechnet wären das 2,25 Millionen.

 

Fazit

Die Zahlen der auf Whatsapp und Facebook verbreiteten Aufstellung sind bis auf diejenigen zu Covid-19 unbelegt. Wir fanden keine Quellen mit aktuellen Daten, anhand derer wir die Werte von Worldometers.info nachvollziehen könnten. 

Darüber hinaus gibt es zwei Probleme mit der Grafik.

Zum einen überschneiden sich die Zahlen der Aufstellung teilweise: So wird etwa eine Zahl für Krebstote angegeben und auch eine Zahl für Tote durch Rauchen. Raucher sterben aber zumindest zum Teil an Krebs. Das Deutsche Krebsforschungszentrum geht davon aus, dass bis zu 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle auf das Rauchen zurückzuführen seien. 

Ein anderes Beispiel ist die Unterscheidung von Alkohol und Verkehrstoten: Die WHO geht in ihrem Bericht von 2018 davon aus, dass 370.000 Menschen durch alkoholbedingte Verkehrsunfälle gestorben sind. Ob diese Zahl in der Aufstellung zur Kategorie Alkohol oder Verkehr gezählt werden, ist nicht klar.

Zum anderen werden in der Übersicht Zahlen nebeneinander gestellt, die teilweise geographische Schwerpunkte haben. Von den 405.000 offiziellen Malariatoten des Jahres 2018 zum Beispiel sind 380.000 in Afrika gestorben. Ähnliches gilt für Hunger: Im April 2020 veröffentlichte das Global Network Against Food Crises den Global Report On Food Crises 2020. Dieser verortet mehr als die Hälfte der von Hunger betroffenen Menschen in Afrika.

Grafik aus dem Global Report On Food Crises 2020. (Screenshot: CORRECTIV)

In der Aufstellung der Todeszahlen werden also Todesursachen, die vor allem die afrikanischen Länder betreffen, neben Todesursachen gestellt, die weltweit ein Problem sind. 

Die Vergleiche der Zahlen führen also insgesamt in die Irre. Dass mehr Menschen zum Beispiel an Alkoholmissbrauch sterben, bedeutet nicht, dass das Coronavirus ungefährlich ist.

Update, 4. Mai 2020: In der ursprünglichen Fassung des Textes hieß es, Malaria sei eine Viruserkrankung. Malaria wird jedoch von einem Parasiten verursacht. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.