Faktencheck

Nein, in der Türkei und Ecuador wurde Chlordioxid nicht als Medikament gegen Covid-19 zugelassen

Ein Tierarzt habe Jens Spahn angezeigt, da er Chlordioxid nicht als Medikament gegen das Coronavirus zugelassen habe, heißt es in einem Artikel. Chlordioxid sei zudem in der Türkei und in Ecuador zugelassen worden. Die zweite Behauptung ist falsch.

von Kathrin Wesolowski

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Die WHO warnt vor der Einnahme von Chlordioxid zur Behandlung von Covid-19. (Symbolbild: Pixabay/Darko Stojanovic)
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Größtenteils falsch. Chlordioxid wurde in der Türkei und in Ecuador nicht als Medikament gegen Covid-19 zugelassen. Die Anzeige gegen Jens Spahn wurde aber tatsächlich gestellt.

In einem Text der Webseite Extrem-News mit dem Titel „Anzeige gegen Spahn: Türkei lässt Chlordioxid als Arzneimittel zu“ wird behauptet, dass sowohl in der Türkei als auch in Ecuador Chlordioxid als Medikament gegen Covid-19 zugelassen worden sei. Zudem habe der Tierarzt Dirk Schrader „wegen unterlassener Hilfeleistung“ eine Strafanzeige unter anderem gegen Gesundheitsminister Jens Spahn erstattet.

Der Artikel wurde am 7. Juli 2020 veröffentlicht und laut dem Analysetool Crowdtangle mehr als 8.500 Mal auf Facebook geteilt. Unsere Recherche zeigt: Die Anzeige wurde tatsächlich erstattet. Die anderen Behauptungen sind jedoch falsch.

WHO und Bundesamt für Risikobewertung warnen vor Einnahme von Chlordioxid

Trinklösungen mit Chlordioxid werden Miracle Mineral Supplement, Master Mineral Solution oder Miracle Mineral Solution (MMS) genannt. Das Gerücht, diese Lösungen würden verschiedene Krankheiten heilen, hält sich im Internet hartnäckig.

Wie wir bereits in einem Faktencheck überprüften, warnen deutsche Gesundheitsbehörden wie die Verbraucherzentrale, das Bundesamt für Risikobewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit seit Jahren vor Trinklösungen mit Chlordioxid. 

Chlordioxid entsteht bei einer chemischen Reaktion von Natriumchlorit und Säure. Es wird als Desinfektionsmittel (in streng kontrolliertem Umfang auch für die Trinkwasserdesinfektion) und industriell zum Beispiel zum Bleichen von Textilien verwendet. Das Problem: Die Chemikalie wirkt unspezifisch; sie greift nicht nur potenzielle Krankheitserreger an, sondern alles, womit sie in Berührung kommt. 

Chlordioxid ist weder in der Türkei noch in Ecuador als Medikament gegen Covid-19 zugelassen worden

Mithilfe der türkischen Faktenchecker von Doğruluk Payı fanden wir heraus, dass das türkische Gesundheitsministerium bisher vier Medikamente gegen Covid-19 genehmigt hat: Oseltamivir, Hydroxychloroquin Sulfat, Lopinavir/Ritonavir und Favipiravir. Chlordioxid ist laut der Webseite des türkischen Gesundheitsministeriums bei keinem der Medikamente ein Inhaltsstoff. Die Faktenchecker von Doğruluk Payı konnten zudem keine Hinweise finden, dass Chlordioxid in der Türkei als Medikament zugelassen werden sollte.

Ein Ausschnitt aus der E-Mail der Faktenchecker von Doğruluk Payı. (Screenshot: CORRECTIV)

Auch in Ecuador wurde Chlordioxid nicht als Medikament gegen Covid-19 zugelassen. Am 12. August 2020 veröffentlichte das ecuadorianische Gesundheitsministerium Agencia Nacional de Regulación, Control y Vigilancia Sanitaria auf Twitter eine öffentliche Erklärung über Chlordioxid in Bezug auf Covid-19. 

Ecuadorianisches Gesundheitsamt: Weltweit wurden nirgends Chlordioxid-Produkte für Behandlung von Covid-19 zugelassen

Das Ministerium empfahl darin ausdrücklich, Chlordioxid nicht als Medikament gegen das Coronavirus einzusetzen. Zudem habe es noch keine Anfrage dazu gegeben, die chemische Verbindung als mögliches Medikament gegen die Krankheit zuzulassen. Dafür müssten außerdem Beweise vorgelegt werden, „die die Qualität und Wirksamkeit des Produktes bestätigen“. 

Zudem schrieb das Ministerium: „Weltweit hat noch kein Gesundheitsamt Chlordioxid-Produkte zur Vorbeugung oder Behandlung von Covid-19 zugelassen.“

Tierarzt erstattete Anzeige gegen Jens Spahn

In dem Online-Artikel wird auch behauptet, der Tierarzt Dirk Schrader habe eine Anzeige gegen Jens Spahn und andere erstattet, da Chlordioxid in Deutschland nicht als Medikament gegen Covid-19 eingesetzt werde. Die Staatsanwaltschaft Hamburg bestätigte uns per E-Mail den Eingang der Anzeige Anfang Juli. Das Verfahren sei an die Staatsanwaltschaft Berlin I weitergegeben worden.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) informierte in einem „Myth Buster“ darüber, es schütze nicht vor Covid-19, wenn man Chlordioxid oder andere Desinfektionsmittel zu sich nehme – im Gegenteil sei die Einnahme „gefährlich“.

Update, 27. August: In der vorigen Version schrieben wir, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe in ihrem „Myth Buster“ konkret vor der Einnahme von Chlordioxid gewarnt und diese als „gefährlich“ bezeichnet. Dies ist nicht ganz richtig. Die WHO warnte allgemein vor der Einnahme von Bleiche und anderen Desinfektionsmitteln.