Faktencheck

Covid-19: Nein, die Infektionssterblichkeitsrate in Deutschland liegt nicht bei 0,014 Prozent

In einem tausendfach geteilten Facebook-Beitrag werden aktuelle Corona-Zahlen, unter anderem zu Patienten auf Intensivstationen, geteilt. Es wird behauptet, die „Infektionstodesrate“ liege bei 0,014 Prozent. Das stimmt nicht. 

von Alice Echtermann

Symbolbild Gangelt
Berechnungen zur Sterblichkeitsrate durch Covid-19 findet man in verschiedenen wissenschaftlichen Studien. Ein Beispiel ist die sogenannte Heinsberg-Studie aus Deutschland. (Symbolbild: Rupert Oberhäuser / picture alliance)
Behauptung
Ein viraler Facebook-Beitrag enthält aktuelle Zahlen zu Covid-19 in Deutschland, darunter eine „Infektionstodesrate“ von 0,014 Prozent. 
Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Teilweise falsch. Die Infektionssterblichkeitsrate von Covid-19 für Deutschland liegt nicht bei 0,014 Prozent. 

In einem Beitrag, der auf Facebook kursiert, werden Zahlen zu Covid-19 in Deutschland vom 12. November 2020 gezeigt. Er wurde am 15. November veröffentlicht und bisher mehr als 4.700 Mal geteilt. Die Grafik darin enthält Angaben zur Zahl der Infizierten, Genesenen und Todesfälle in Deutschland, der Anzahl der Testungen und der belegten Intensivbetten. 

Gelb hervorgehoben sind zwei Angaben, die offenbar die Botschaft vermitteln sollen, dass die Pandemie nicht gefährlich sei. Die erste ist, dass rund 82,9 Millionen Menschen in Deutschland nicht von Covid-19 „betroffen“ seien, das seien 99,67 Prozent der Bevölkerung. Und zudem liege die „Infektionstodesrate“ bei 0,014 Prozent.

CORRECTIV hat diese Angaben überprüft. Die meisten Zahlen sind korrekt, doch die gelb markierten Werte sind es, die die zentrale Botschaft ausdrücken – und diese Zahlen führen in die Irre. Mit „Infektionstodesrate“ ist vermutlich die Infektionssterblichkeitsrate gemeint; die liegt für Deutschland jedoch nicht bei 0,014 Prozent. 

Facebook-Beitrag
Der Facebook-Beitrag mit den aktuellen Daten. Nicht alle sind korrekt. (Screenshot am 17. November 2020 und Schwärzung: CORRECTIV)

Grafik enthält korrekte Daten zu Infizierten, Todesfällen und Intensivbetten

Am 12. November 2020 gab es laut RKI-Lagebericht in Deutschland kumulativ 727.553 bestätigte Corona-Fälle, 11.982 Todesfälle und schätzungsweise 467.800 Genesene. Die Zahl der Genesenen wird nicht explizit erhoben, daher handelt es sich um eine Schätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI). Aus der Zahl der übermittelten Fälle abzüglich der Genesenen und der Verstorbenen wird wiederum die Zahl der „aktiven Fälle“, also aller aktuell infizierten oder erkrankten Menschen, abgeleitet: rund 247.800. Diese Zahl ist in dem Bild auf Facebook nicht korrekt angegeben, dort steht 259.753 Fälle.

RKI Lagebericht
Auszug aus dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 12. November. (Screenshot und rote Markierungen: CORRECTIV)

Die Zahl der Testungen geht aus dem Lagebericht vom 12. November nicht hervor; diese Daten werden vom RKI immer mittwochs veröffentlicht. Im Bericht vom 11. November ist die Zahl von insgesamt 25.010.416 durchgeführten Corona-Tests bis zur 45. Kalenderwoche aber zu finden. 

Laut dem DIVI-Intensivregister waren am 12. November insgesamt 21.930 Intensivbetten der Krankenhäuser, die Daten an das Register melden, belegt. Das entspricht 77 Prozent aller Betten. 6.587 der insgesamt 28.517 verfügbaren gemeldeten Betten waren frei. 

Die Zahl der Corona-Fälle belief sich auf 3.186, also waren rund 11,2 Prozent aller gemeldeten Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt. 

Irreführende Angabe zu den von Corona „betroffenen“ Menschen

Die Information, dass „99,67 Prozent“ der Menschen in Deutschland nicht von Covid-19 „betroffen“ wären, steht nicht im RKI-Lagebericht. Es handelt sich offenbar um eine eigene Berechnung der Person, die das Facebook-Sharepic erstellt hat. Wahrscheinlich wurde dafür die Einwohnerzahl (von Ende 2019) ins Verhältnis zur Zahl der aktiven Corona-Fälle gesetzt, auch wenn diese Rechnung nicht exakt aufgeht. 247.800 von 83.166.711 wären rund 0,298 Prozent, nicht 0,33 Prozent. 

Die Aussage, nur diese Menschen seien von Covid-19 „betroffen“, ist jedoch irreführend, denn es handelt sich um die akuten Fälle an einem einzigen Tag, dem 12. November. Insgesamt waren bisher 727.553 Menschen in Deutschland direkt von Covid-19 „betroffen“, denn sie waren infiziert. 

Infektionssterblichkeitsrate laut Schätzungen in Studien wesentlich höher als 0,014 Prozent

Falsch ist zudem die Angabe einer „Infektionstodesrate“ für Deutschland von 0,014 Prozent. Hierfür wurden offenbar die Todesfälle ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung gesetzt: 11.982 von 83.166.711 sind rund 0,014 Prozent.

Auf diese Weise wird eine Infektionssterblichkeitsrate aber nicht berechnet. Die sogenannte Infection Fatality Rate (IFR) ist ein klar definierter Begriff. Sie gibt an, welcher Prozentsatz von Infizierten an einer Krankheit stirbt. Dafür müssten alle Infizierten bekannt sein. Das ist jedoch meist nicht der Fall (Stichwort: Dunkelziffer).

Es gibt daher lediglich wissenschaftliche Schätzungen bezüglich der Infektionssterblichkeit von SARS-CoV-2. Die im Mai veröffentlichte Heinsberg-Studie, unter anderem von dem Virologen Hendrik Streeck, errechnete für die Gemeinde Gangelt in Nordrhein-Westfalen eine geschätzte IFR von 0,36 Prozent.

Schätzungen zur IFR schwanken je nach Land und Altersgruppe stark

Eine im Oktober im Bulletin der WHO veröffentlichte Meta-Studie wertete 61 Studien aus 51 Regionen weltweit aus – die Heinsberg-Studie eingeschlossen –  und führte zu dem Ergebnis, dass die IFR von SARS-CoV-2 zwischen 0 und 1,54 Prozent lagen. Der Median lag bei 0,23 Prozent. Die IFR in einem Land oder an einem Ort wird beeinflusst von den jeweiligen Rahmenbedingungen dort, wie zum Beispiel dem Gesundheitssystem. 

In einer anderen Meta-Studie von August, die im Dezember im European Journal of Epidemiology veröffentlicht wurde, wird die IFR von Covid-19 für die USA mit bis zu 1,3 Prozent geschätzt. Sollte die Ausbreitung des Virus in Risikogruppen erfolgreich eingeschränkt werden, liege das Szenario der IFR bei 0,5 Prozent, schrieben die Forscher. Einer der ausschlaggebenden Faktoren für die IFR sei das Alter der Patienten: Bei Kindern liegt die Sterblichkeit der Studie zufolge bei nahezu Null und steigt im hohen Alter (85 Jahre) auf 15 Prozent. 

Pauschale Aussagen, wie viel Prozent der Infizierten an Covid-19 sterben, lassen sich also bisher nicht treffen.

Redigatur: Sarah Thust, Steffen Kutzner

Update, 30. November 2020: Wir haben einen Fehler im Artikel korrigiert. Wir hatten die WHO (aus diesem Dokument) zitiert, dass die IFR teilweise auf 25 Prozent geschätzt werde. Dieser Wert bezog sich jedoch auf die CFR. Eine IFR von über 25 Prozent ging lediglich für die Altersgruppe der Über-90-Jährigen aus dieser Meta-Studie (Preprint-Version) hervor. Zudem gibt es Recherchen von MedWatch zufolge Zweifel an der Berechnung der IFR in der hier zitierten Heinsberg-Studie – diese habe Todesfälle außer Acht gelassen.

Update, 16. Dezember 2020: Die von uns als Preprint zitierte Studie mit Aussagen zur IFR in den USA wurde inzwischen in einem Journal veröffentlicht. Einige Berechnungen der Autoren wurden im Review-Prozess offenbar nach oben korrigiert, wir haben daher die IFR-Werte auch hier im Artikel aktualisiert.  

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 12. November 2020 (Link)
  • Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI): Tagesbericht vom 12. November 2020 (Link)
  • Heinsberg-Studie, unter anderem von Hendrik Streeck: „Infection fatality rate of SARS-CoV-2 infection in a German community with a super-spreading event“, Mai 2020 (Link)
  • WHO: „Estimating mortality from Covid-19“, 4. August 2020 (Link
  • Studie: „Infection fatality rate of COVID-19 inferred from seroprevalence data“, John P. A. Ioannidis, veröffentlicht im WHO-Bulletin im Oktober 2020 (Link)
  • Studie: „Assessing the Age Specificity of Infection Fatality Rates for COVID-19: Systematic Review, Meta-Analysis, and Public Policy Implications“, European Journal of Epidemiology, 8. Dezember 2020 (Link)