Das war das 4. Quartal 2020
Ein Rückblick auf Recherchen und Projekte bei CORRECTIV von Oktober bis Dezember 2020.
Liebe Unterstützerinnen, liebe Unterstützer,
Der Zweifel regiert: Was ist echt und was nicht. Wir sind, in Corona-Zeiten mehr denn je, täglich mit bewusst gesetzten Falschnachrichten konfrontiert, die uns als Lesende unsicher machen. Vor allem in den sozialen Medien spüren wir die Manipulation: Hinter Posts, die vermeintlich informativ oder harmlos sind, stehen kommerzielle Interessen oder, wie wir in einer großen Datenrecherche herausgefunden haben, rechtsradikale Netzwerke, die junge Menschen gewinnen wollen. Die Anonymität erleichtert das Geschäft mit der Manipulation. Das betrifft auch die Einflussnahme auf die Politik, die gefährlich wird, wenn wir nicht nachvollziehen können, woher der Einfluss kommt, wie im Fall von anonymen Spenden. Neben diesen Facetten der Manipulation stand bei uns in den vergangenen Monaten die Klimapolitik weiter auf dem Plan, in einem Fall Versäumnisse, in einem anderen die Kraft der Straße, die Veränderungen erzwingt. International haben wir uns auf eine lange (virtuelle) Reise begeben: die der Pflegekräfte, die mit falschen Versprechen nach Deutschland angeworben werden, wie wir aufgedeckt haben. Und Corona bleibt, nicht nur durch unser Corona-CrowdProjekt, natürlich ein wichtiges Thema für uns.
Die Herausforderung bei der Recherche über rechte Netzwerke auf Instagram war enorm: Wir wollten zeigen, wie die Rechtsradikalen ihre Ideen auf Instagram verbreiten. Hinter unserer „Kein Filter für Rechts“-Recherche steht ein aufwändiges und hoch komplexes datenjournalistisches Projekt, mit dem wir tausende Accounts analysieren konnten, deren Inhalte perfekt auf die Codes der Plattform abgestimmt sind. Auf Instagram geht es um schöne Bilder, um Lifestyle. Rechtsnationale und radikale Gruppen wissen das für sich zu nutzen. Mit Bildern von modernen, gut aussehenden jungen Menschen versuchen sie, neue Mitglieder für ihre Organisationen zu rekrutieren. Unsere Recherche wurde deutschlandweit medial aufgegriffen und hat eine Debatte darüber ausgelöst, wie junge Menschen für diese subversive Propaganda sensibilisiert werden können. Instagram selbst sperrte daraufhin Posts.
In der AfD-Spendenaffäre tut sich etwas, die Mauer des Schweigens bröckelt. In der AfD tun sich einige Politiker schwer mit der Wahrheit über die Spenden, die anonym bezahlt wurden. Vor allem schweigen sie. Uns gegenüber hat der ehemalige AfD-Landesvorsitzende aus NRW, Marcus Pretzell, nun erstmals einen Einblick gegeben, wie er Kontakt zu einer der zentralen Figuren in dem ausgeklügelten Spenden-System aufgebaut hatte. Es ist keine Frage, dass es anonyme Spender gibt, die der Partei mit hohen Summen helfen. Die AfD versucht allerdings weiterhin den Eindruck zu vermeiden, dass sie etwas mit den Zuwendungen zu tun habe. Pretzells Interview, das er CORRECTIV und dem ZDF-Magazin Frontal21 gab, ist bemerkenswert, weil sich damit zum ersten Mal ein ehemaliger Spitzenfunktionär offen zu den dubiosen Kontakten bekennt. Wir bleiben dem Geld auf der Spur, weil anonyme Parteispenden die Demokratie vergiften – egal an welche Partei Geld fließt, dessen Herkunft nicht bekannt ist.
Auch in der Klimapolitik geht es um Geld. Es geht darum, ob Subventionen klimaschädlich sein sollen oder nicht. Dass die Milliarden-Fördertöpfe der EU für die Landwirtschaft ineffizient und ungerecht sind, ist seit Langem bekannt. Gegen alle Kritik wurde die Förderlogik im Herbst 2020 für sieben weitere Jahre verlängert. Die Milliarden fördern aber auch ein System, dessen Klimabilanz seit Jahren auf hohem Schmutzniveau stagniert. Klimaziele in der Landwirtschaft? Fehlanzeige. Wir zeigen, dass selbst die Förderungen für klimafreundliche Projekte oft in Be- ton fließen statt in Bäume oder dass „grüne“ Maßnahmen in der Agrarförderung wenig zum Klimaschutz beitragen. Empfänger entscheiden teilweise sogar selbst über ihre eigenen Zuschüsse. Die Klima-Agrar-Recherche zeigt Wege, wie besserer Klimaschutz gelingen kann, die Widerstände sind aber vor allem in den Mitgliedsstaaten noch hoch.
Es war ein großer Aufruf im Ruhrgebiet, den wir vor über einem Jahr mit unserer Mobilitäts-Recherche „Wo stehst Du?“ gestartet hatten. Wir wollten von den Bürge- rinnen und Bürgern im Ruhrgebiet wissen, wo der Verkehrskollaps spürbar wird: Wo sie im Stau stehen, wo sie mit dem Rad nicht weiter kommen oder die Bahn nicht fährt. Das letzte Jahr war für das Ruhrgebiet auch ein Weckruf in Sachen Klimaschutz. Wir haben nun zusammengetragen, wie viele Bürgerinitiativen es gibt, damit die Straßen fahrradfreundlich werden und welche Konzepte es gibt, den öffentlichen Nahverkehr wieder attraktiver als das Auto zu machen. Die Teilnehmer in unserem CrowdNewsroom stehen mit ihren Erfahrungen und Wünschen für diese neue Bürger-Revolution. Das Ergebnis unseres Schwerpunktes „Mobilität im Ruhrgebiet“ zeigt, dass die Bevölkerung in Sachen Klimaschutz weiter ist als die Kommunalpolitik, die nun immerhin auf den Druck der Straße reagiert.
Im Frühling hatten wir über Schmerzmittel-Missbrauch im Fußball recherchiert. Jetzt wollen wir wissen, wie viel Geld Amateurfußballer verdienen. Grundsätzlich spielen sie aus Leidenschaft und Liebe für den Sport. Aber wirklich nur deswegen? Reporter von CORRECTIV und EyeOpening.Media wollen genau das herausfinden, und haben im Oktober dafür eine bundesweite Befragung gestartet. Das Ziel ist, sich mithilfe von Deutschlands Fußballerinnen und Fußballern erstmals einen Überblick zu verschaffen, wie viel Geld im Amateursport unterwegs ist und wie transparent die Bezahlung ist.
Seit gut einem Jahr sind wir einer Form der Ausbeutung auf der Spur, die Pflegekräfte betrifft. Es geht um ausländische Pflegekräfte, die dringend gebraucht und auch zu Tausenden angeworben werden. Wir haben Kontakt zu Pflegerinnen aus Kolumbien, Mexiko oder Costa-Rica aufgebaut. Alle hatten etwas gemeinsam: Sie wurden ausgebeutet und wollten ihre Geschichte erzählen, um anderen die gleiche Erfahrung zu ersparen. Sie wurden Opfer einer Welt skrupelloser Vermittlungsfirmen, die Pflegekräfte weltweit für deutsche Krankenhäuser an- werben und sie als bloße Ware behandeln. Die Knebelverträge, die die Pflegerinnen unterzeichnen, zeigen, dass die Vermittlung ausländischer Pflegekräfte ein großes Geschäft ist: Laut unserer Recherche werden in dem Business 100 Millionen Euro jährlich umgesetzt. Wir haben für unsere Recherche „Nurses for Sale“ parallel mit internationalen und lokalen Medien kooperiert. In Südamerika hat die Geschichte sofort Reaktionen hervorgerufen. Mexiko will seine Verträge zur Anwerbung überprüfen.
Kein Thema beschäftigt und bewegt die Gesellschaft zur Zeit mehr als Corona. Täglich werden die nackten Zahlen der Infizierten und Todesfälle berichtet, dazu die Meldungen sowie Meinungen über sinnvolle oder lebensfremde Einschränkungen des Alltags. Neben den Faktenchecks richten wir den Blick nach vorn und analysieren, was gerade falsch läuft, um für die nächste Pandemie zu lernen. Zum Beispiel, wie sich die Zahl von Risikopatienten durch intelligente Besteuerung von Zucker reduzieren ließe. Und wir konnten mit einer strukturierten Umfrage aller Bundesländer zeigen, dass die Regierungen der Bundesländer viel zu wenig darauf achten, dass auch Menschen, die kein oder kaum Deutsch sprechen, gut über die Pandemie informiert und dadurch auch geschützt werden.
Auch wenn wir noch mitten in der Krise sind, gehen wir mit einem hoffnungsvollen Blick ins Jahr 2021. Das liegt auch an dem enormen Zuspruch von Leserinnen und Unterstützern. Wir wollen Sie mit relevanten Recherchen überraschen und laden Sie weiterhin ein, sich an den innovativen Formaten zu beteiligen, die wir anbieten. Bleiben Sie neugierig und vor allem gesund!
Herzliche Grüße vom CORRECTIV-Team.