Nein, Grippefälle wurden nicht benutzt, um die Corona-Pandemie auszurufen
Mit einer Grafik wird in Sozialen Netzwerken ein Narrativ verbreitet, das seit Monaten immer wieder auftaucht: Die Covid-19-Pandemie sei einfach nur die saisonale Grippewelle mit anderem Namen. Das ist falsch. Covid-19 und Influenza sind unterschiedliche Erkrankungen.
Auf Facebook und Instagram kursiert eine Grafik mit englischer Beschriftung, die die weltweiten Grippewellen und die laborbestätigten Grippefälle der vergangenen Jahre darstellen soll. Jedes Jahr schlägt die Kurve aus, doch zwischen 2020 und 2021 sind kaum Fälle zu sehen. Als Quelle für die Daten werden die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Global Influenza Surveillance and Response System (GISRS) genannt.
Unter dem Diagramm steht: „Es ist so offensichtlich. Die Grippe wurde für die Covid Plandemie benutzt, Punkt!“
Mit dem Bild wird ein Narrativ genährt, das bereits seit Monaten von Corona-Leugnern verbreitet wird. Die Behauptung: Die Covid-19-Pandemie sei nur eine Grippewelle, der man einen anderen Namen gegeben habe. Grippefälle seien benutzt worden, um die Corona-Pandemie auszurufen. Nach dieser Logik gäbe es SARS-CoV-2 gar nicht.
Die Behauptung ist falsch. Die Grippe und Covid-19 sind nachweislich unterschiedliche Krankheiten, die durch verschiedene Viren ausgelöst werden. Es gibt auch weiterhin Grippefälle, allerdings tatsächlich viel weniger als in den vergangenen Jahren.
Covid-19 ist keine Grippe
Covid-19 ist keine „Grippe“, es sind unterschiedliche Erkrankungen. Bei dem Coronavirus SARS-CoV-2 und Influenzaviren handelt es sich um unterschiedliche Erreger, die beide Atemwegserkrankungen verursachen können, allerdings mit unterschiedlichen Symptomen und unterschiedlich schweren Krankheitsverläufen.
Während eine Influenza (Grippe) oft auf die Lungen beschränkt ist, kann bei Covid-19 fast jedes Organ des Körpers erkranken, zeigt eine im Dezember 2020 veröffentlichte vergleichende Kohortenstudie. Die Details der Studie hat das deutsche Ärzteblatt in einem Bericht zusammengefasst.
Am 8. Oktober 2020 hat sich das Robert-Koch-Institut (RKI) über die Unterschiede im Epidemiologischen Bulletin geäußert: „Eine höhere Letalität und lange Beatmungsdauer unterscheiden Covid-19 von schwer verlaufenden Atemwegsinfektionen in Grippewellen“. Letalität nennt man die Wahrscheinlichkeit, an einer Krankheit zu sterben.
Weiter schrieb das RKI: „Aufgrund des höheren Anteils beatmungspflichtiger Patienten und der beobachteten langen Beatmungsdauer muss man sich auf eine höhere Zahl von Beatmungsplätzen einstellen, als dies bei der gleichen Anzahl schwerer Erkrankungen während einer Grippewelle vergangener Saisons erforderlich war.“
Es gibt weiterhin Influenzafälle, aber deutlich weniger als in den Vorjahren
In der auf Facebook und Instagram verbreiteten Grafik ist zu sehen, dass es aktuell kaum Influenzafälle gibt. Das stimmt.
Die im Beitrag verwendete Statistik wurde offenbar auf Grundlage einer Datenbank erstellt, die die WHO online zur Verfügung stellt. Lässt man sich dort die Influenzafälle von 2016 bis 2021 anzeigen, erscheint eine Grafik, die dem Bild auf Facebook ähnelt:
In der Regel steigen die Grippefallzahlen nach Jahresende (im Winter) stark an und gehen im Frühsommer wieder zurück. Das liegt laut einer Informationsseite des RKI daran, dass Influenzaviren „bei niedrigen Temperaturen und in trockener Luft stabiler“ seien. „Außerdem wird vermutet, dass die Schleimhaut der oberen Atemwege bei trockener Luft anfälliger für eine Infektion und das Immunsystem im Winter weniger schlagkräftig ist als im Sommer.“ Auch dass sich im Winter mehr Menschen in schlecht belüfteten Räumen aufhalten, trage zum Anstieg der Influenzafälle in den kalten Monaten bei. Man spricht dann von einer Grippewelle.
Seit Herbst 2020 ist kein Anstieg dieser Art bei den Influenzafällen zu erkennen. Die Fallzahlen liegen weltweit auf einem sehr niedrigen Niveau, auch wenn die Grippe nicht komplett verschwunden ist.
Medien berichteten im April 2021, die Grippewelle in Deutschland seit laut Robert-Koch-Institut in diesem Jahr erstmals ausgeblieben – es habe insgesamt nur 519 laborbestätigte Influenza-Fälle gegeben.
Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie werden als Ursache für wenige Influenzafälle angesehen
Im aktuellen Influenza-Wochenbericht (17. bis 23. April 2021) schreibt das RKI, dass die akuten Atemwegserkrankungen (vor allem Influenzaviren, Rhinoviren, RS-Viren) in Deutschland aktuell „wieder im Bereich des Jahres 2020 während des Lockdowns der ersten Covid-19-Welle“ und „deutlich unter den Werten der früheren Jahre um diese Zeit“ liegen.
Diese Atemwegserkrankungen seien „seit dem harten Lockdown Ende 2020 bis Ende Februar 2021 auf einem vorher nie erreichten, niedrigen Niveau in den Wintermonaten“. Die Zirkulation von Influenzaviren stagniere in der Saison 2020/21 auf einem extrem niedrigen Niveau. Es habe 13 Todesfälle mit bestätigter Influenzainfektion gegeben. Auch weltweit werde weiterhin über eine ungewöhnlich niedrige Influenza-Aktivität berichtet.
Die andauernden, außergewöhnlich niedrigen Raten von Atemwegserkrankungen seien „mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die kontaktreduzierenden Maßnahmen im Bundesgebiet zurückzuführen“, schreibt das RKI auf der Webseite „Grippeweb“.
Auch die WHO schrieb uns bereits im Dezember für einen Faktencheck, dass sie die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie als Ursache für die wenigen Influenzafälle vermute.
Fazit: Grippefälle wurden nicht genutzt, um die Corona-Pandemie auszurufen. Das Coronavirus ist keine Grippe. Bei Covid-19 und Influenza handelt es sich um unterschiedliche Erkrankungen, die durch unterschiedliche Viren verursacht werden. Es gibt auch seit der Beginn Pandemie Influenzafälle, sowohl in Deutschland als auch weltweit. Allerdings liegen sie auf einem historisch niedrigen Niveau. Das RKI und die WHO gehen davon aus, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie diesen positiven Effekt verursachen.
Redigatur: Alice Echtermann, Sarah Thust