Niedersachsen: Nein, Olaf Lies hat nicht die „Auslöschung einer kompletten Wolfsfamilie“ angeordnet
Auf Facebook wird behauptet, ein „SPD-Minister“ fordere die „Auslöschung einer kompletten Wolfsfamilie“. Gemeint ist offenbar der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies. In Niedersachsen sorgen zwar aktuell die Abschüsse von Wölfen für Diskussionen, doch das Zitat, das dem Minister unterstellt wird, hat er nicht gesagt.
Am 24. April heißt es in einer Facebook-Gruppe, ein „SPD-Minister“ habe angeordnet: „…die Liqidierung [sic] der Wolfsmutter ist für die Zeit ab 01. Juli 2021 vorgesehen, das heißt sie darf ihre Welpen austragen, gebären und max. 8 Wochen versorgen – dann soll sie erschossen werden und der Vater nach Möglichkeit schon vorher. Das Ziel dieser Abschussbewilligungen ist somit die Auslöschung einer kompletten Wolfsfamilie. Die Welpen sollen verhungern.“ Diese Aussage wurde zusammen mit einem Foto des niedersächsischen Umweltministers Olaf Lies veröffentlicht.
Unsere Recherche ergab: Es stimmt zwar, dass in Niedersachsen eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung zweier Wölfe erteilt wurde, doch diese wurde am 22. April vorübergehend ausgesetzt (Stand: 5. Mai). Das hier verbreitete Zitat stammt nicht von dem Minister.
Ein Nutzer hat das Bild mit Text in der „Wolfsgruppe Ammersee“ auf Facebook veröffentlicht. Der Name des Ministers, der dort zitiert wird, wird nicht genannt. Doch eine Google-Suche nach den Begriffen „SPD Minister Wolf Abschuss“ führt zu mehreren Medienberichten seit 2019, in denen der Abschuss von Wölfen in Niedersachsen thematisiert wird. Erwähnt wird darin Umweltminister Olaf Lies (SPD). Ein Abgleich des auf Facebook geteilten Fotos mit einem Gruppenfoto der Minister in Niedersachsen zeigt, dass es tatsächlich der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies ist, dem die Aussage zugeschrieben wird.
Umweltministerium Niedersachsen: Das Zitat stammt nicht von Olaf Lies
CORRECTIV.Faktencheck hat das angebliche Zitat der Pressestelle des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz in Hannover zugeschickt. In einer E-Mail antwortete Pressesprecher Christian Budde: „Wir können mit Sicherheit ausschließen, dass Herr Lies etwas Derartiges gesagt hat. Eine solche Aussage ist in Formulierung und Inhalt dem Minister fremd und würde von ihm niemals so getätigt werden.“
Tatsächlich wird in Niedersachsen Medienberichten zufolge seit Monaten eine heftige Debatte um vereinzelte Wolfsabschüsse geführt – vor allem zwischen Oppositionspolitikern und Naturschutzorganisationen einerseits und der Landesregierung und Landwirten andererseits. Der Naturschutzbund (Nabu) schätzt, dass in Niedersachsen derzeit etwa 250 Wölfe leben (Stand: 3. Mai 2021). In sehr seltenen Fällen kann es laut Nabu dazu kommen, dass ein Wolf Nutztiere erlegt. Angaben des Umweltministeriums zufolge ist es seit 2019 vermehrt zu Übergriffen von Wölfen auf Nutztiere gekommen.
Wenn es mehr Wölfe gibt, bedeute das auch, dass im Zuge einer Ausnahmegenehmigung „immer wieder einzelne Tiere durch den Staat kontrolliert entnommen“ würden, heißt es auf der Webseite des niedersächsischen Umweltministeriums. „Entnommen“ bedeutet, dass ein Wolf dauerhaft in einem Gehege untergebracht oder getötet werden kann. Das Ministerium schreibt auf seiner Website dazu: „Die bisherigen Erfahrungen mit in Freiheit geborenen Wölfen, die in Gefangenschaft gehalten werden, legen den Schluss nahe, dass für diese Tiere aus Tierschutzgründen nur die Tötung eine vertretbare Form der Entnahme ist.“
Das Ministerium veröffentlicht zwar Informationen über erfolgte „Wolfsentnahmen“. Eine Liste, welche Tiere konkret getötet werden sollen, ist aber nicht öffentlich. Naturschützer sprechen hier von „Abschussgenehmigungen“.
Der Nabu ist einer der scharfen Kritiker dieser Tötungen. Das angebliche Zitat von Olaf Lies hält Philip Foth vom Nabu in Niedersachsen aber nicht für authentisch. „Wir können uns auch nicht vorstellen, dass Minister Lies dies im Wortlaut so je sagen würde“, schrieb er uns per E-Mail.
Auch eine Suche nach dem angeblichen Zitat des SPD-Ministers in der Pressedatenbank Genios, bei Google und in der Datenbank Spaactor, die Videos und Podcasts durchsucht, führte zu keinen Treffern.
In Niedersachsen wurde die Tötung von zwei Wölfen aus dem „Burgdorfer Rudel“ angeordnet
Seit Monaten drehen sich die Diskussionen in Niedersachsen um Transparenz im Zusammenhang mit den Wolfstötungen. Nachdem die niedersächsische Landesregierung in mehreren Fällen Ausnahmegenehmigungen erteilt hatte, kritisieren Nabu, WWF und die Grünen, diese seien „geheim gehalten“ worden und niemand wisse „wie viele und welche Wölfe auf den geheimen Abschusslisten der Landesregierung“ stünden. Zudem fordern die Naturschützer, auf Maßnahmen zum Herdenschutz statt auf die Abschüsse von Wölfen zu setzen.
Ein Beispiel ist der aktuelle Fall des sogenannten „Burgdorfer Rudels“, auf den sich der Facebook-Beitrag offenbar bezieht: Laut einer Pressemitteilung des Ministeriums war vorgesehen, dass „der Wolfsrüde GW 950m und ab 01.07.2021 die Fähe GW 1423f“ getötet werden sollten (eine Fähe ist ein weiblicher Wolf). Die Genehmigung war zeitlich befristet bis zum 31. August und es war demnach „sicherzustellen, dass keine Welpen und keine laktierende Fähe entnommen werden“, also dass die Wölfin keine Milch gibt. Diese Genehmigung wurde am 22. April vorerst ausgesetzt.
Denn: An diesem Tag wurde in dem Territorium des Rudels offenbar ein anderer Wolf erschossen. Das Ministerium für Umwelt verwies uns auf eine Pressemitteilung vom 22. April, wonach ein ein- bis zweijähriger, weiblicher Wolf innerhalb des Territoriums des „Burgdorfer Rudels“ getötet wurde. Die Wölfin wird derzeit obduziert (Stand: 5. Mai).
Ob die getötete Wölfin Welpen hatte und warum sie getötet wurde, geht aus der Pressemitteilung nicht hervor.
Die Tötung erfolgte laut Ministerium im Rahmen der Ausnahmegenehmigung, die der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) im März erteilt hatte, nachdem einige Wölfe aus dem betreffenden Rudel mehrere Schafe, Rinder und Pferde gerissen hatten.
Nabu und die Grünen kritisieren: Die Landesregierung halte Abschussgenehmigungen unter Verschluss
Zum Abschuss freigegeben waren Medienberichten zufolge die Elterntiere des betreffenden Rudels. Es sei aber bislang unklar, ob das getötete Tier tatsächlich die gesuchte Wölfin war. Das Ministerium teilte mit, dass eine Untersuchung zur Identifizierung des Tiers eingeleitet worden sei.
Die Landtagsfraktion der Grünen in Niedersachsen hat am 22. April eine Verfassungsklage vor dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof Bückeburg angekündigt, weil die Landesregierung die laufenden Genehmigungen „strikt unter Verschluss“ halte. „Bei bislang drei Abschüssen in den vergangenen Wochen wurde nicht der gesuchte Wolf, sondern ein Jungtier getötet“, lautet der Vorwurf der Grünen.
Auch Nabu-Sprecher Foth sprach uns gegenüber von „nebulösen Äußerungen“ des Ministeriums. Er schrieb uns zudem per E-Mail: „Leider liegen uns die Ausnahmegenehmigungen auch nicht vor. Wir wissen weder, für welche Tiere es Abschussgenehmigungen gibt, noch warum. Diese Ausnahmegenehmigungen werden geheim gehalten.“
Redigatur: Uschi Jonas, Tania Röttger
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Allgemeine Informationen über Wölfe: Link
- Informationen des Umwelt-Ministeriums in Niedersachsen zu „Wolfsentnahmen“: Link
- Pressemitteilung des Umwelt-Ministeriums in Niedersachsen zur Tötung der Wölfin (23. April 2021): Link
- Pressemitteilungen von Nabu und WWF zu Wolfstötungen in Niedersachsen (11. Februar 2021): Link (Nabu), Link (WWF)
- Pressemitteilung der Grünen in Niedersachsen zur Klage auf Offenlegung von Abschussgenehmigungen (22. April 2021): Link