Polizei

Kindesentführung mit weißem Lieferwagen? Wie ein Gerücht von 2012 wieder Eltern verunsichert

Ein Facebook-Beitrag aus dem Jahr 2012 wurde in den letzten 24 Stunden von mehr als 12.500 Personen geteilt. Darin werden Eltern gewarnt, ein Mann in einem weißen Lieferwagen versuche, Kinder zu entführen. Der Beitrag wurde schon vor sieben Jahren entkräftet.

von Cristina Helberg

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Das Gerücht eines weißen Lieferwagens, aus dem Kinder angesprochen werden, kursiert bereits seit 2012. (Symbolbild: weis2 /pixabay, Bearbeitung: CORRECTIV)
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Falsch. Das Gerücht eines weißen Lieferwagens, aus dem Kinder angesprochen werden, kursiert bereits seit 2012. In Südschwaben, Bad Kreuznach und Mittelfranken gibt es laut Polizei keine Fälle, auf die die Beschreibung im Facebook-Beitrag zutreffen könnte.

Am 12. Juni 2012 veröffentlichte ein Facebook-Nutzer einen Beitrag, der Eltern davor warnt, ein Mann in einem „weißen Bulli“ versuche, Kinder anzusprechen und zum Einsteigen in seinen Lieferwagen zu überreden. Der Nutzer schrieb: „Heute war die Polizei an den Schulen in KH und hat nochmal darauf hingewiesen, dass wir allen Kindern sagen sollen, dass sie auf kein Fall in einen weißen Bulli steigen sollen. Denn es wurde mehrfach ein VW Bulli gesehen und der Mann hat sich als Fahrer der VBE ausgegeben und sagte den Kindern, die Busse sein defekt. Der Typ fährt wohl durch ganz Deutschland.“ Der Beitrag wurde insgesamt mehr als 28.000 Mal geteilt. Davon mehr als 12.500 Mal in den letzten 24 Stunden. 

Facebook-Beitrag aus dem Jahr 2012, der aktuell wieder tausendfach geteilt wird. (Screenshot: CORRECTIV)

Unklar bleibt in dem Beitrag, wo sich der Vorfall ereignet haben soll. Eine Google-Suche nach den Begriffen „weißer bulli kinder“, führt zu mehreren Artikeln zum Thema. Der erste Treffer ist ein Artikel des österreichischen Faktencheck-Vereins Mimikama aus dem Jahr 2012. Der Titel des Textes: „Stille Post 2.0: Der weiße Bulli! Der Mann im weißen Kleinbus welcher an Haltestellen Kinder anspricht – ist ein Fake!“. 

Die Autoren des Mimikama-Artikels gingen im Juni 2012 auf denselben Facebook-Beitrag ein, der nun wieder tausendfach geteilt wird. Detailliert recherchierte sie, was hinter der damals verbreiteten Warnung steckte. Das Ergebnis: Alles basierte auf einem Missverständnis im September 2011. Darüber berichtete im Oktober 2011 auch die Augsburger Allgemeine Zeitung. Ein Großvater hatte auf der Suche nach seiner Enkelin am 19. September 2011 in Kempten eine Gruppe Schüler aus seinem blauen Wagen angesprochen. Die Polizei klärte den Vorfall auf. Laut Berichten der Augsburger Allgemeine Zeitung verbreiteten sich im Netz jedoch weiter Gerüchte über Personen die Kinder in Fahrzeuge locken würden, diesmal über einen weißen Lieferwagen. 

Polizei: „Dabei handelt es sich de facto um eine Falschmeldung!““

Wir haben die zuständige Polizeistelle Schwaben Süd kontaktiert und den Facebook-Beitrag weitergeleitet. Die Antwort des Pressesprechers Christian Eckel: „Dieser Post ist mir persönlich aus dem Jahr 2012 bekannt. Damals wurde er deutschlandweit geteilt und ploppte immer wieder mal auf. Dabei handelt es sich de facto um eine Falschmeldung!“ Der Pressesprecher verweist auf den Artikel der Faktenchecker von Mimikama, der damals in Zusammenarbeit mit der Polizei entstanden sei und die Historie des Posts nachverfolge. 

Auch aktuell gebe es im Zuständigkeitsbereich der Dienststelle keine Vorfälle, auf die die Beschreibung im Facebook-Beitrag zutreffen könnte. Trotzdem kursieren Gerüchte. „In den folgenden Monaten und Jahren, bis heute, kommt es immer wieder zur ‘Auffrischung’ der Fälle des weißen Bullys und des blauen Wagens. Teilweise vermischt“, so der Polizeisprecher. 

Auch keine Fälle in Bad Kreuznach 

Weil in dem Facebook-Beitrag als Ort „KH“ erwähnt wird, haben wir auch bei der Polizei in Bad Kreuznach nachgefragt. KH ist das Ortskürzel auf Nummernschildern für Bad Kreuznach. Die dortige Kriminalpolizei antwortete uns, aktuell sei kein Fall von einem Kinderansprecher bekannt. Der Sprecher schrieb aber auch: „Ich kann nicht ausschließen, dass im Jahr 2011 oder 2012 Kinder aus einem weißen Bulli angesprochen wurden. Entsprechende Meldungen bewahren wir nicht so lange auf. Aber ich kann ausschließen, dass wir aktiv nach einem weißen Kastenwagen o.ä. gefahndet haben, weil der Verdacht bestand, dass ein Kind entführt werden sollte.“

Außerdem erinnere sich eine Mitarbeiterin daran, „dass es damals diese Warnung vor einem weißen Kastenwagen in den sozialen Medien schon gab und diese Warnung auch in der HOAX- Liste aufgeführt war“.

Email der Kriminalinspektion Bad Kreuznach. (Screenshot: CORRECTIV)

Auch Entwarnung in Mittelfranken

Wer im Netz nach den Begriffen „weißer bulli kinder“ sucht, stößt jedoch auch auf aktuelle Meldungen von April und Mai 2019. Damals tauchten erneut Gerüchte um einen weißen Lieferwagen auf. Diesmal hieß es unter anderem, aus einem weißen Lieferwagen heraus seien in Mittelfranken Fotos von Kindern gemacht worden. 

Wir haben die zuständige Polizeidienststelle Mittelfranken kontaktiert. Pressesprecher Michael Hetzner sagte uns am Telefon: „Die Vorwürfe konnten nicht bestätigt werden. In einem Fall hatten offenbar Touristinnen Fotos gemacht. Es handelte sich nicht um eine Straftat“. In Whatsapp-Gruppen und anderen sozialen Netzwerken seien trotzdem Gerüchte ohne Quelle weiterverbreitet worden. In einer Pressemitteilung im Mai schrieb die Polizei zu den Beobachtungen: „Bislang konnten jedoch keine Erkenntnisse gewonnen werden, welche den genannten Sachverhalt bestätigen.“ Daran habe sich laut Pressesprecher bis heute nichts geändert.

Pressemitteilung der Polizei Mittelfranken vom 8. Mai 2019 (Screenshot: CORRECTIV).
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