Europa an der Frontlinie: Navigieren durch das neue geopolitische Chaos
Wie weiter im Krieg zwischen Ukraine und Russland? Die schwankende Positionierung von Donald Trump und die stockenden Verhandlungen zeigen: Die internationale Politik ist in einer geopolitischen Sackgasse angekommen. Europa muss sich auf schwierige Szenarien einstellen.

Während wir immer wieder über Trumps Rolle und seinen potenziellen Friedensplan für die Ukraine und Russland diskutieren, mussten wir an die Worte von Tymofiy Mylovanov denken: „Wir werden jetzt in Trumps Welt leben müssen. Ich bin sehr skeptisch, dass der Krieg in 24 Stunden enden wird, wie er versprochen hat. Aber wir werden definitiv nicht gelangweilt sein.“
Er hatte recht; wir sind überhaupt nicht gelangweilt. Aber geopolitisch in einer Sackgasse, in der neue Regeln offenbar von Diktatoren gesetzt werden. Europa muss sich auf ungemütliche Szenarien einstellen.
Die Rolle Donald Trumps
Der von Donald Trump zwischendurch vorgeschlagene Friedensplan, von vielen auch „Pro-Putin-Friedensabkommen“ genannt, stellte sich nicht nur gegen internationale Normen. Er belohnte auch Aggressionen und weckte bei vielen die Erinnerungen an München 1938 – Großmächte entscheiden „über uns, aber ohne uns“. Für Europa hätte es eine potenziell destabilisierende Wirkung, weil nicht nur die Ukraine geschwächt würde. Auch Nato-Grenzstaaten wie Finnland wären stärker bedroht.
Hat Trumps Strategie Erfolg? Bislang nicht. Er hat es nicht geschafft, Putin zu echten Verhandlungen zu bewegen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass er seinen Gegner nicht verstanden hat. Trumps Vorschlag für einen Deal – so ungerecht er für die Ukraine sein mag – würde Putin zwar erlauben, eroberte Gebiete zu behalten; aber auch seine Grenzen aufzeigen: Vier Fünftel der Ukraine blieben unabhängig. Für Putin wäre das letztlich eine Niederlage. Genau deshalb zögert er, schwankt zwischen Kriegsrhetorik und Gesprächsangeboten – um Stärke zu symbolisieren und Zeit zu gewinnen.
Trump meinte, in Putin eine Art Seelenverwandten zu erkennen. Beide verbindet ihr Glaube an Macht und starke Männer sowie ihre Abneigung gegen die liberalen, regelbasierten Ordnungen. Doch Trump ist Geschäftsmann und Putin KGB-Offizier mit inoffiziellen Verbindungen zur Mafia, die auch die Wirtschaft des Landes durchsetzt.
Trumps Vorstöße scheitern an Putins langfristigen Zielen
Die ideologische Begründung, um den staatlichen Expansionsdrang öffentlich zu rechtfertigen, ist die Idee, ein Groß-Russland wiederherzustellen (hallo, Trump). Putin will niemandes Juniorpartner sein; er möchte ein unabhängiges Machtzentrum. Russland ist im Vergleich jedoch relativ klein: nur rund 143 Millionen Einwohner, zwei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Und es ist geopolitisch verwundbar – das ist die Kehrseite eines riesigen, aber dünn besiedelten Gebietes. Daher ist Putins Ziel die politische und wirtschaftliche Kontrolle der Ukraine – quasi ein zweites Belarus.
Trump ist bereit, Putin viel zu geben, aber kein weiteres Gebiet für eine Expansion. Und Putin vertraut keinen langfristigen Versprechen. Russland hat wenig Interesse am US-Markt – der Handel ist im Vergleich zur EU oder China gering. Trumps Energiepolitik („Drill, Baby, drill“) bedeutet direkte Konkurrenz mit Russland.
Europa unter Druck
Die Konfrontationen zwischen Russland und dem Westen laufen nicht unbedingt auf einen Krieg in den nächsten Jahren hinaus. Russland hat viele Mittel – Sabotage, politische Destabilisierung und Manipulation der Energieversorgung (Russland kontrolliert immer noch etwa 20 Prozent der Gas-Einfuhren in die EU). Aber auch eine direkte Aggression – gerade gegen Polen und die baltischen Staaten – ist mittlerweile eine reale Bedrohung. Europa steht vor der Wahl: sich zurückzuziehen oder sich dagegen zu organisieren.
Die russische Wirtschaft ist widerstandsfähig, zeigt aber Zeichen von Erschöpfung. Die Militärausgaben steigen, die Einnahmen und Ölpreise fallen. Putin weiß das. Er glaubt dennoch, das psychologische Kräftemessen mit dem Westen gewinnen zu können: mit Trump, der schnelle Ergebnisse braucht. Mit den EU-Ländern, bei denen sich jeder Schritt in endlose Abstimmungsprozesse verstrickt. Und schließlich mit der Ukraine, die nach mehr als drei Jahren Krieg wirklich erschöpft ist und unter chronischem Ressourcenmangel leidet.
Wenn der Westen Putin klarmacht, dass er ohne Kampf nichts aus ihm herausholen wird – und daran festhält –, könnte dies der Anfang vom Ende seines Regimes bedeuten.
Welche Szenarien könnte Europa erwarten? Für uns, nach aktuellem Kenntnisstand, sehen wir mindestens drei:
- Ein (fragiles) Abkommen: Ein Abkommen nach Trumps Vorschlag würde Russlands Einfluss vertiefen und die Ukraine weiter schwächen. Putin plant eine Sommeroffensive, setzt auf militärische Überlegenheit und provoziert den Westen. In diesem Szenario bleibt der Konflikt in der Ukraine eingefroren, doch eine echte Lösung ist nicht in Sicht. Europa muss auf verstärkte Verteidigung und höhere Militärausgaben setzen, um auf mögliche neue Angriffe vorbereitet zu sein. Gleichzeitig werden friedliche Gespräche (wie ein „Peace Talk“) immer wichtiger, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen.
- Der Krieg geht unvermittelt weiter: Ohne Vereinbarungen drohen die Feindseligkeiten weiter zu eskalieren. Russland könnte an den Nato-Außengrenzen verstärkt auf Desinformation, Sabotage und nicht-militärische Angriffe setzen. Das Risiko einer nuklearen Eskalation steigt – ebenso der Druck auf die EU, die Verteidigungsausgaben in die Höhe zu schrauben. Zudem könnten innerhalb der EU die politischen Spaltungen zunehmen – mit Blick etwa auf Ungarn und die Slowakei. Die Ukraine bräuchte noch mehr Unterstützung. Ob sie genügend erhält, um gegen Russland zu bestehen, das seinen Krieg noch ein bis zwei Jahre fortsetzen könnte? Fraglich.
- Rückzug der USA als Verhandler und Unterstützer: Offenbar betrachtet Trump den Krieg als einen territorialen Streit von begrenzter Bedeutung. Ein Rückzug der USA aus dem Geschehen wäre für Putin das beste Szenario – für Europa hingegen das schlechteste. Statt die gesamte Ukraine zu erobern, könnte Putin eine Strategie wie in Georgien verfolgen: einzelne Gebiete abspalten und langfristig destabilisieren. Russland könnte gezielt Druck auf EU-Staaten ausüben und so Nato und EU schwächen.
Es ist unwahrscheinlich, dass ein einzelnes Szenario genau so zur Realität wird – die Wirklichkeit ist komplex und unvorhersehbarer. Doch sie schärfen den Blick, dass Europa vor großen strategischen Herausforderungen steht. Die Zeit, um adäquate Antworten darauf zu formulieren, schwindet rapide.