Denkanstoß

Ausländerkriminalität: Das erfundene Tabu

Seit der Kölner Silvesternacht vor zehn Jahren wird in Deutschland über Ausländerkriminalität diskutiert. Trotzdem behaupten einige „Experten“ immer wieder, das sei tabu. Ein Beispiel ist der Schweizer Psychiater Frank Urbaniok. Er wird in vielen Medien zitiert. Dabei sind seine Zahlen selektiv und seine Vergleiche schief. Und gecancelt wurde er auch nicht.


von Carsten Wolf

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Über Migration wird seit Jahren gestritten. Und vor allem konservative „Experten“ behaupten oft, die Meinungsfreiheit sei bedroht und man dürfe in Deutschland kaum noch etwas sagen. Dabei sagen sie ständig etwas – und werden damit zitiert, interviewt und in Podcasts eingeladen.

Ein Beispiel dafür ist Frank Urbaniok. Er ist einer von mehreren „unbequemen“ Experten zu Kriminalität und Migration, die in den letzten Jahren in deutschen Medien aufgetaucht sind. Wissenschaftliche Expertise ist weniger wichtig. Dafür zugespitzte und gut zitierbare Statements zu polarisierenden Themen – und eine ausführliche Geschichte, wie man für seine Meinung vermeintlich gecancelt wurde.

Hat sich wirklich „kein deutscher Verlag“ das Buch getraut?

So behauptet Urbaniok stets, „kein deutscher Verlag“ habe sich getraut, sein Buch „Schattenseiten der Migration“ zu veröffentlichen. Aus Neugierde habe ich dazu einige Sachbuchverlage befragt, und erfahren: Er hat es wohl nicht besonders lang probiert. Von den zehn größten deutschen Sachbuch-Verlagen konnte zumindest keiner bestätigen, dass Urbaniok sein Buchprojekt vorgeschlagen habe.

Fünf große Verlage gaben an, sie hätten keinen Vorschlag von Urbaniok erhalten. Zwei konnten keine Angaben machen. Drei haben nicht geantwortet. Der Literaturagent von Frank Urbaniok bestätigte, dass er das Buch „einer Reihe von Verlagen“ angeboten habe. Angaben zu einzelnen Verlagen oder Gründen der Ablehnung konnte er nicht nennen.

Was steht im Buch?

Um das vermeintlich skandalöse Buch ging es auch im Podcast von Bild-Journalist Paul Ronzheimer in der Folge von Ende August 2025. Er habe ihn eingeladen, weil es bei ihm „keine Tabuthemen“ und „keine Tabugäste“ gebe, so Ronzheimer. Dabei gibt es nicht mal ein Tabu. Eigentlich tingelt sein Gast Urbaniok da schon seit Monaten durch die Zeitungen, TV-Sendungen und Podcasts, von FAZ über WELT bis Cicero und später auch WDR, SWR und NZZ. Im Gegenteil: Es scheint sehr lukrativ zu sein, vermeintlich gecancelt zu werden.

Im Podcast stellt Ronzheimer Urbaniok nun vor, als „Psychiater, Professor und Autor“ zum Thema Ausländerkriminalität – wohlgemerkt nicht als „Experten“ zum Thema. Denn das ist Urbaniok nicht. Zumindest nicht nach wissenschaftlichen Kriterien.

Frank Urbaniok lebt in der Schweiz und war dort über Jahre hinweg angesehener forensischer Psychiater. Er war bis 2018 Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes von Zürich. Seit einer überstandenen Krebs-Erkrankung arbeitet er als Privat-Gutachter und erstellt Risikoanalysen für Straftäter. Schweizer Medien schätzen ihn als Experten zum Umgang mit Schwerverbrechern. Aber ist er damit auch der richtige Experte für Kriminalitätsstatistiken?

Ronzheimer scheint sich selbst nicht ganz sicher. Am Anfang fragt er: „Sie sind eigentlich forensischer Psychiater. Warum ein Buch über Ausländerkriminalität?“ – Urbanioks Antwort: Er plädiere dafür, dass „die Vernünftigen abseits der ideologischen Grabenkämpfe die Probleme lösen.“

Ronzheimer scheint noch nicht ganz überzeugt: „Sie sagen, das wird unzureichend besprochen. Ich habe hier immer viele Hörer die mir sagen, ihr redet ständig in den Medien über Migration.“ Urbanioks Antwort: Man rede viel über „irreguläre Migration“, aber zu wenig über „überproportionale Ausländerkriminalität“. Diesen Aspekt thematisiere „eigentlich nur die AfD“. Damit ist der Sound gesetzt. Es beginnt Urbanioks Zahlen-Zauber. Und Ronzheimer hakt kaum noch kritisch nach.

Die „Urbaniok-Methode“

Urbaniok erklärt im Podcast seine Methode. Nach seinen Berechnungen sehe man „bestimmte Herkunftsländer, die massiv überrepräsentiert sind in der Gewalt- und Sexualkriminalität.“ Es geht um „Überrepräsentationen von 300, 500, 800, 1000 und 1.500 Prozent“. 1.500 Prozent überrepräsentiert?

Was macht Urbaniok hier? Das, was er auch in seinem Buch macht und in den meisten Interviews: Er nimmt Zahlen aus der Polizeiliche Kriminalstatistik und erstellt daraus scheinbar objektive „Rankings“, wie „kriminell“ einzelne Nationalitäten bei welchen Straftaten seien.

Wie macht er das genau? Er setzt die Zahl der Tatverdächtigen und den Bevölkerungsanteil ins Verhältnis, damit er Nationalitäten miteinander vergleichen kann. Bei der einen Gruppe sind es dann zum Beispiel 200 pro 100.000 Personen, die kriminell geworden seien. So erhält er eine „Belastungszahl“. Die vergleicht er mit der Zahl bei Deutschen, zum Beispiel 50 von 100.000. Den Unterschied wandelt er in Prozent um, 150 Personen sind dann 300 Prozent.

Seine Ergebnisse sind Rankings und Vergleiche wie: Algerier seien „zu 3500 Prozent überrepräsentiert“ bei gefährlicher Körperverletzung. Marokko sei zu 3000 Prozent überrepräsentiert bei Raub. Gambia zu 2100 Prozent bei Sexualstraftaten.

Mit dieser Methode kann man also offenbar Gruppen gut vergleichen. Aber sie hat ihre Schwächen. Was genau ist schief an dieser „Urbaniok-Methode“? Wo schwächt das die Aussagekraft seiner Ergebnisse? Drei Beispiele:

Gruppenunterschiede / Beispiel Gambia

Die erste Verzerrung liegt im Vergleich unterschiedlich zusammengesetzter Gruppen. Ende 2023 lebten rund 15.000 Gambier in Deutschland – davon waren 82 Prozent Männer, mehr als die Hälfte von ihnen ist unter 30 Jahre alt. Zum Vergleich: In der deutschen Bevölkerung sind es zur Hälfte Männer, und weniger als ein Drittel sind unter 30. Kann man die einfach vergleichen? Die meisten Zuwanderergruppen, die Urbaniok hervorhebt, sind im Schnitt jünger und männlicher als die deutsche Bevölkerung.

In einem aktuellen Debatten-Beitrag weist der Kriminologe Christian Walburg darauf hin, dass etwa „25 bis 30 Prozent“ der Unterschiede in der Kriminalitätsbelastung sich auf die Unterschiede in Alter und Geschlecht von Deutschen und Ausländern ergeben – „nicht (viel) mehr, aber auch nicht weniger“.

Urbaniok sagt auf meine Frage an ihn nach der Vergleichbarkeit, das sei zwar „eine berechtigte Frage“. Aber dieser Umstand reduziere die Kriminalität dieser Gruppe „nur um ein paar hundert Prozent“. Das Grundproblem bleibe bestehen, dass diese Gruppe trotzdem krimineller sei als andere.

Etwas zugespitzt kann man sagen, Urbaniok vergleicht tendenziell deutsche Rentnerinnen und Rentner mit jungen Männern aus Gambia – und findet, wenig überraschend, dass letztere krimineller sind.

Zahlen-Lücken / Beispiel Algerien

Der nächste Punkt sind Schwächen in der Zahlenquelle, die Urbaniok ignoriert. Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst die Nationalitäten von Tatverdächtigen. Das sagt aber nichts über deren Wohnort oder Aufenthaltsstatus aus. Deswegen rechnen Kriminologen meist mit den etwas niedrigeren Zahlen der tatsächlich in Deutschland gemeldeten Ausländer.

Urbaniok macht das nicht. Er benutzt stets die höheren Zahlen. Im Buch schreibt er, „die hier lebenden Algerier“ hätten bei gefährlichen Körperverletzungen eine „Überrepräsentation von +3443%“. Im Podcast sagt er, „da explodieren die Zahlen“. Zum Teil lässt sich das aus den Lücken der Statistik erklären.

Denn mehr als die Hälfte der tatverdächtigen Algerier hatte 2023 keinen festen Wohnsitz in Deutschland. Bei gefährlichen Körperverletzungen sind es immerhin 15 Prozent, wie das Bundeskriminalamt auf Anfrage von Correctiv bestätigt. Urbaniok rechnet diese 15 Prozent zwar bei den Straftaten und Tatverdächtigen mit – nicht aber bei ihrem Anteil an der Bevölkerung (weil sie ja keinen Wohnsitz haben). Damit erscheint ihr „Belastungszahl“ deutlich höher als sie tatsächlich ist.

Wegen dieser Verzerrung hat das Bundeskriminalamt bis vor einem Jahr auch nicht die Zahlen relativ zur Bevölkerung veröffentlicht. Weil sie immer wieder zu Missverständnissen und Fehlern führen. Urbaniok versucht, dieses Vorgehen als Tabu zu verkaufen. Dabei war es in Wirklichkeit eine Vorsichtsmaßnahme. Damit genau solche Fehler nicht passieren, wie Urbaniok sie hier macht. Als das BKA vor einem Jahr seine Praxis geändert hat, kam es prompt zu Missverständnissen und das LKA Brandenburg musste seine Statistik zurückziehen.

Basiswissen zur Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)

Die Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) bildet das „Hellfeld“ der Straftaten ab, also einfach gesprochen, alles was angezeigt wird und wo die Polizei aktiv wird. Sie ist eine Anzeigenstatistik, das heißt, sie sagt nichts über Anklagen oder Verurteilungen aus. Ausländische Tatverdächtige kommen in der Kriminalstatistik überproportional oft vor.

Experten merken dazu an, dass es mehrere strukturelle Gründe gibt, warum ausländische Tatverdächtige hier häufiger vorkommen. Zum einen werden unter den Tatverdächtigen auch die erfasst, die gar nicht in Deutschland wohnen. Zum anderen geraten Ausländer schneller in die Statistik, weil sie eher angezeigt werden als Deutsche. Möglich ist auch, dass Ausländer schneller in die Statistik kommen, weil sie öfter polizeilich kontrolliert werden („racial profiling“). Darüber hinaus spielen „kriminogene Faktoren“ wie Armut oder Erziehung eine Rolle. Quelle

Zahlen-Spiele / Beispiel Marokko

Im Podcast sagt Urbaniok, er sei gewissermaßen „der Zauberer, der die Tricks der anderen Zauberer verrät“ und meint damit die Einordnung von Kriminalstatistiken durch Kriminologen. Aber was sind seine eigenen Zaubertricks?

Da ist zum einen die Umwandlung von absoluten Zahlen in Prozente. Statt zu sagen, Algerier seien „35-mal krimineller“, sind es „3500 Prozent“, Marokkaner sind nicht „30-mal auffälliger“, sondern „3000 Prozent“. Das klingt einfach mehr. Aber das ist eine Stilfrage.

Anders ist es bei seinen Hochrechnungen. Viele Nationalitäten, von denen Urbaniok spricht, sind in Deutschland zahlenmäßig kleine Gruppen. Um sie mit anderen zu vergleichen, rechnet Urbaniok ihre Zahlen hoch. Am Beispiel: Obwohl es 1.100 tatverdächtigen Algerier im Jahr 2023 waren, muss Urbaniok statistisch so tun als wären es viermal so viele, also 4.400. Denn es leben nicht 100.000 Algerier in Deutschland, sondern nur 25.000, also ein Viertel davon. Sein Vorgehen ist statistisch erklärbar. Wenn er dann aber im Podcast sagt, „da gibt es Bevölkerungsgruppen die 10-mal, 15-mal mehr Opfer verursachen“, dann ist das falsch. Denn das sind relative Zahlen, nicht absolute.

Algerier werden in Urbanioks Buch besonders oft erwähnt – sie machen aber nur 0,5 Prozent aller Tatverdächtigen aus. Sollten Politik und Polizei sich viel mehr auf diese Gruppe konzentrieren, weil sie laut Urbaniok zu „3.500 % krimineller“ sind? Bei Marokkanern sind es übrigens 0,6 Prozent. Bei Gambiern sogar nur 0,15 Prozent aller Tatverdächtigen – und dementsprechend weniger Opfer. Das wäre ein wichtiger Kontext, den Urbaniok aber in seinem Buch weglässt.

Man kann den Eindruck bekommen, es ging Urbaniok nicht darum, wirkliche Probleme im Kriminalitätsgeschehen zu benennen. Stattdessen will er mit verschiedenen Mitteln bestimmte Gruppen zahlenmäßig hervorheben – nämlich die aus muslimisch geprägten bzw. afrikanischen Ländern.

Muslimische Länder im Fokus

Zum Beispiel erwähnt er bestimmte Nationalitäten kaum, obwohl sie laut seiner Methode eigentlich „besonders kriminell“ sind. Georgien und Moldau werden in Urbanioks Buch zum Beispiel nicht näher besprochen. Obwohl sie, nach Urbanioks eigenen Zahlen, bei Raub deutlich vor Syrien und Afghanistan liegen, die häufig erwähnt werden. Bei Körperverletzungen liegt Georgien hier vorn, bei Straftaten gegen das Leben Moldau. Trotzdem findet man zu ihren „kulturellen Prägungen“ nichts. Liegt das daran, dass beide Länder christlich geprägt sind? Urbanioks Erklärung der kulturellen Prägungen von Tätern greift hier offensichtlich nicht.

Auf die Frage nach den Gründen bei Georgien und Moldau, sagt Urbaniok, er könne „nicht für jedes einzelne Land“ sagen, was die kulturellen Gründe seien. Es gebe in seinem Buch einen „gewissen Schwerpunkt auf afrikanischen, arabischen und Ländern der Balkanregion“ und „weniger auf osteuropäische christlich geprägte Länder“. In seinem Buch bringt er fast ausschließlich Beispiele von muslimisch geprägten Ländern. Seine Zahlen sind also oft verzerrend und selektiv eingeordnet. Bedeutet das jetzt, dass Urbaniok mit allen seinen Ergebnissen übertreibt? Nein.

Was stimmt an Urbanioks Aussagen?

Migranten aus einigen nordafrikanischen Ländern sind statistisch gesehen „krimineller“ als der Rest der Bevölkerung. Das ist kein Tabu. Darüber diskutieren Kriminologen schon seit Jahren. Junge Männer, die jüngster Zeit aus Nordafrika nach Europa gekommen sind, gehören zu den momentan am stärksten auffallenden Gruppen, sagt der Kriminologe Christian Walburg von der Universität Münster gegenüber Correctiv. Da habe Urbaniok recht.

Diese Gruppe käme häufig aus schwierigen Verhältnissen und mit geringer Bleibeperspektive aus Nordafrika nach Europa. Das sei aber schon seit Langem bekannt und kein Tabu. Es gebe viel Forschung zum Thema. „Und spätestens seit der Kölner Silvesternacht gab es darüber auch eine breite Debatte in der Gesellschaft“, so Walburg.

Armut und soziale Unterschiede als Ursache

Das ist die größte Schwäche von Urbanioks Buch: Dass er keine anderen Erklärungen für die Zahlen akzeptiert als seine eigenen. Im Podcast sagt er: „Es ist ja eigentlich egal, was die Gründe sind. Sondern wenn wir hören, da gibt es Bevölkerungsgruppen die 10-mal, 15-mal mehr Opfer verursachen, dann ist das inakzeptabel.“

Auch wenn die Zahlen, in dieser Verkürzung, falsch sind, geht es weiter: „Sie müssen sich fragen, warum ist das so? Und jetzt gehen Sie alle Faktoren, die bekannt sind, gehen Sie durch und sagen, es sind nicht die Jungen, es ist nicht das Alter, es sind nicht die sozialen Faktoren.“ Das sei „alles falsch“. Es sei ihre Kultur.

Erhöhte Kriminalität sei laut Urbaniok eine „Gruppeneigenschaft“. Es gehe um „kulturräumliche Prägungen“ und er erwähnt die „Scharia“. Forscher seien eine „blinde Horde“, wenn sie das anders sehen. Spätestens hier wird Urbaniok unwissenschaftlich. Und spätestens hier hätte Ronzheimer ihn stoppen müssen, für ein Mindestmaß an journalistischer Ausgewogenheit.

„Cheerleader der Exegeten“

Es ist Konsens in der kriminologischen Forschung, dass niedrigere Bildungsabschlüsse, Arbeitslosigkeit, enge Wohnverhältnisse oder geringe Einkommen Kriminalität begünstigen, sogenannte „kriminogene Faktoren“. Und das „kulturspezifische Prägungen“ ein weiterer Aspekt der Erklärung sind. Doch Forscher, denen solche Differenzierungen wichtig sind, bezeichnet Urbaniok im Buch als „Cheerleader der Exegeten“.

Auf die Frage, ob es für eine „faktenbasierte“ Debatte hilfreich sei, einzelne Wissenschaftler zu beleidigen, antwortet Urbaniok: Es handele sich um „eine sehr pointierte Kritik“. Sein Buch basiere zwar auf „wissenschaftlichen Fakten“, sei aber vor allem als „Debatten-Buch“ gemeint.

Ein Beispiel, das viel kriminologisch erforscht wurde, sind die Algerier. Dass sie häufiger kriminell auffällig würden, liege nicht an ihrer „Kultur“, betonen Kriminologen, sondern an Armut, illegalem Aufenthaltsstatus und Arbeitsverboten. „Kriminalität ist kein Naturereignis“, sagt zum Beispiel der Schweizer Kriminologe Dirk Baier von der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gegenüber Correctiv.

Von der relativ kleinen Gruppe der Algerier in Deutschland lebten viele in prekären Lebenssituationen, so Baier. Für sie gebe es kaum Chancen auf einen Aufenthalt – weder als Geflüchtete noch als Arbeitsmigranten. „Häufig sind es junge Männer in Großstädten, denen klar ist, sie bleiben nicht in Deutschland. Viele leben hier ohne legale Aufenthaltstitel. Sie schlafen in Acht-Bett-Zimmern und haben kaum legale Arbeitsmöglichkeiten. Außerdem haben sie sich auf ihrer Reise oft verschuldet und haben viel riskiert um nach Deutschland zu kommen.“

Dass diese Gruppe häufiger straffällig werde, liege an genau diesen Lebensumständen, betont Baier. So ein Kontextwissen solle Straftaten nicht rechtfertigen. Sondern ein realistisches Bild liefern, damit Polizei und Behörden nachhaltig etwas dagegen tun können. Aber darum gehe es Urbaniok offenbar nicht. „Er ist kein Wissenschaftler auf diesem Gebiet“, betont Baier „und er hat zum Thema nicht in Peer-Review-Journalen publiziert. Er hat sich öffentliche Daten zusammengesucht, und sie so geordnet, dass er möglichst drastische Ergebnisse produzieren kann.“

Fazit

Urbaniok arbeitet sowohl im Podcast als auch in seinem Buch mit zugespitzten und häufig aus dem Kontext gerissenen Zahlen. Er hebt besonders kleinere Gruppen hervor, bei denen statistische Verzerrungen besonders stark ausfallen. Er konzentriert sich fast nur auf muslimische Länder und er lässt an wichtigen Stellen Kontext weg, wie etwa bei anderen Nationalitäten, die auch häufig straffällig werden.

Ronzheimer ging es mit der Einladung an Urbaniok in seinen Podcast offenbar mehr darum, ein Schein-Tabu zu brechen als um wissenschaftliche Fakten. Er spricht mit einem Psychiater, der als Erklärung eine vermeintliche „Kultur“ heranzieht und alle anderen, wissenschaftlich belegten, Gründe ablehnt. Und der ohne Belege behauptet, von Verlagen gecancelt zu werden.

Vieles davon hätte man wissen können, weil Wissenschaftler und Journalisten darauf öffentlich hingewiesen haben. Aber Ronzheimers Redaktion hat offenbar darauf verzichtet, weitere Experten zu fragen. Es ging eher um steile Thesen und Schein-Tabus. Urbaniok reiht sich ein in eine Reihe populistischer Autoren, die Wissenschaftler beschimpfen und behaupten, die „Stimmung“ im Land besser zu kennen. Für eine Migrationsdebatte, die sich wirklich auf Fakten bezieht, ist das eine Gefahr.