Tag 5: Sauerland – eine Brandattacke, die ins Leere lief
Für denjenigen, der zu Aktionismus neigt, hält die deutsche Sprache eine Redewendung bereit: „Der fackelt nicht lange.“ Diese Wendung hat für mich in den letzten Monaten einen faden Beigeschmack gewonnen, weil ich immer häufiger von Menschen las, die das allzu wörtlich nahmen. Das BKA zählte 2015 mehr als 1000 Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, das sind drei pro Tag. Was solche Anschläge bewirken, will ich wissen. Dazu fahre ich ins Sauerland. Ich bin mit dem Bürgermeister von Kirchhundem verabredet. In seiner Gemeinde hatte es schon vier Attacken auf dieselbe Unterkunft gegeben, bevor auch nur ein Geflüchteter seinen Fuß über die Türschwelle gesetzt hat.
Als ich mit Andreas Reinéry den Fuß über die Türschwelle setze, steigt mir sofort der Geruch von verkohltem Holz in die Nase. In der Treppe klafft ein großes, schwarzes Loch, einige Stufen sind verkohlt, andere fehlen ganz. Eine Leiter überbrückt die Lücke, aus dem Obergeschoss plärrt das Radio eines Handwerkers. Wenn man an der Treppe vorbei und nach links ins Zimmer geht, sieht man die Scherben des Fensters, durch das die Brandstifter im Februar eingestiegen sind.
Seit die Gemeinde vor einem Jahr beschloss, das leerstehende Haus am Ortsrand für Geflüchtete herzurichten, hatten Unbekannte es zweimal unter Wasser gesetzt, ein andermal war ein Feuer auf der Treppe von selbst ausgegangen. Wer will mit so viel krimineller Energie verhindern, dass Flüchtlinge im Fachwerkhaus in Rinsecke einziehen?
Das ist auch im April noch nicht klar. Vielleicht, sagt Reinéry, gebe es ganz andere Gründe: „Die Eigentümer sind nicht von hier. Sie sind vermögend und gleichzeitig nicht als Rinsecker assimiliert. Das verursacht Neid.“ Die Frage, ob seiner kleinen Gemeinde nach einer derartigen Anschlagsserie ein fremdenfeindliches Stigma anhafte, verneint er vehement. „Sonst hätte es Hinweise auf die fremdenfeindliche Substanz gegeben, ein Flugblatt oder eine Schmiererei.“ Die kahlen Wände des Raums werfen den Hall seiner Stimme zurück, die Tapete liegt zusammen geknüllt auf dem Boden. Wieder einmal sind Arbeiter dabei, das Haus wieder bezugsfähig zu machen. In anderen Räumen sind die Wände noch verrußt, die Spinnennetze in den Wandecken schwarz eingefärbt.
Andreas Reinéry ist gerade erst aus dem Urlaub zurückgekommen und sofort wieder im Arbeitsmodus, redet mit der Presse und den Arbeitern im Haus. Reinéry ist ein sportlicher Typ, lässiges Sakko, Lederschuhe, kurz geschorenes Haar. Sein Gesicht hat in Ecuador etwas Farbe abbekommen, wenn man genauer hinsieht, erkennt man noch die helleren Konturen seiner Sonnenbrille um die Augen. Der 51-Jährige ist seit knapp zwei Jahren Bürgermeister von Kirchhundem, seitdem wechselt der siebenfache Vater zwischen den beiden Wohnsitzen in Morsbach und Kirchhundem hin und her.
In seiner Amtszeit kam die Flüchtlingskrise auf. Er sagt, er habe die Neuankömmlinge in der Gemeinde immer als Chance kommuniziert. Die 37 Ortsteile der Gemeinde spüren bereits heute den demografischen Wandel, in den vergangenen acht Jahren sind rund 1000 Bewohner abgewandert. Zu den 12.000 Alteingesessenen sind im vergangenen Jahr etwa 250 Geflüchtete gekommen. „Je peripherer die Lage, umso schwieriger ist es, Integration zu gestalten“, erklärt Reinéry. In manchen Orten hält pro Tag nur ein Bus, umso wichtiger sei die Anbindung an die Menschen in den Dörfern, etwa in Vereinen.
Reinéry ist optimistisch, rechnet sogar vor, wie Deutschland weit mehr Asylbewerber über die Runden bringen könnte. Einmal hat er eine anonyme Mail bekommen: „‚Ey du Flüchtlingsbürgermeister, hau ab!“, schrieb jemand. „Aber das war nichts Substanzielles“, sagt Reinéry. Im Gegenteil, sagt er, hätten die Kirchhundemer sich in einer Mahnwache von den Anschlägen auf das Haus in Rinsecke distanziert.
Wenig später sitze ich wieder am Steuer, ich will heute noch nach Berlin. Bevor ich endlich auf die lang ersehnte Autobahn auffahre, zieht sich das Sauerland in die Länge. Schöne Landstraßenkilometer, nette Dörfer, denke ich mir – bis ich mir vorstelle, nach einer langen, lebensgefährlichen Flucht aus Damaskus oder Homs ausgerechnet hier zu landen. Bei so vielen sanften Hügeln und Luftkurorten mit pittoresken Fachwerkhäusern kann dir ganz schön die Decke auf den Kopf fallen.