Tag 15: Gegen Pegida
Montagabends gehört Dresden Pegida. Manchmal, erzählt Uwe Vetterick, komme der Demonstrationszug direkt am Redaktionsgebäude der Sächsischen Zeitung vorbei, laute „Lügenpresse“-Sprechchöre inklusive. „Das ist nicht schön – aber das ist nicht Dresden“, sagt Vetterick. Der 47-Jährige ist seit 2007 Chefredakteur der Sächsischen Zeitung.
An einem der ersten Pegida-Montage, Ende 2014, saß Vetterick mit einigen Kollegen in seinem Büro und diskutierte, wie man mit diesem neuen Phänomen umgehen soll. Sie seien sich schnell einig gewesen: „Das Beste für die Dresdner ist: Pegida verschwindet.“
So wurde eine Strategie geboren, die bis heute gilt. Vetterick formuliert die drei Säulen:
1. Konfrontation gegenüber den Machern von Pegida – Die Sächsische Zeitung hat etwa die Berichterstattung über Lutz Bachmann mit ins Rollen gebracht und investigativ über die Anfänge von Pegida ermittelt.
2. Differenzierter Umgang mit den Mitläufern – Zumindest zu Beginn war Pegida ein Sammelbecken für die Unzufriedenen, von denen nicht jeder das Weltbild der Initiatoren mittrug. Deshalb betrachtete die SZ die Demonstranten anfangs als Mitläufer im Wortsinne. „Das hat sich gewandelt, weil Pegida härter geworden ist“, sagt Vetterick.
3. Wohlwollendes Begleiten derer, die dagegenhalten – Die Sächsische Zeitung will in ihrer Berichterstattung verdeutlichen, dass es eine große gesellschaftliche Opposition zu Pegida gibt. „Wir hatten zum Beispiel eine ganze Titelseite über Sachsen, die Flüchtlingen helfen“, sagt Vetterick.
Aber warum ist der Widerstand gegen Pegida in Dresden überhaupt so leise, dass die Sächsische Zeitung ihn sichtbar machen muss? „Ich glaube, das hat etwas mit dem Geist in dieser Stadt zu tun“, erklärt Vetterick. „Dresden war immer eine Residenzstadt, die vom Hof gelebt hat. Die Leute, die hier gelebt haben, waren immer sehr kluge, begabte Menschen, die sich aber immer darauf verlassen haben, dass der Hof alles geregelt hat.“ Dass Dresden so wenig gegen Pegida demonstriert, nennt Uwe Vetterick einen „Ausfall des Bildungsbürgertums“.
Der Umgang mit den Medien war schon in den Anfängen einer der großen Coups von Pegida: Man verweigert das direkte Gespräch mit der Begründung, die Antworten würden verdreht. Gleichzeitig beklagt man, in den Medien totgeschwiegen zu werden. Der Systempresse, die von oben gelenkt wird – zumindest aus Pegida-Sicht.
„Ich bin wahrscheinlich einer der freiesten Chefredakteure Deutschlands“, sagt Uwe Vetterick. „Es gibt ein sehr angenehmes Miteinander zwischen Verlegern, Eigentümern und Redaktion, weil allen klar ist: Hier gibt es Leute, die unser Geschäftsmodell, unseren publizistischen Ansatz in Frage stellen.“
Die Sächsische Zeitung hat reagiert, die Leserbriefseite auch für Statements geöffnet, die für Vetterick „teilweise an der Grenze des Erträglichen“ lagen. Neben neuen Formaten soll auch ein Leserbeirat mehr Interaktion bringen, am Tag der offenen Tür soll ein Einblick in die redaktionelle Arbeit ermöglicht werden. Uwe Vetterick will damit „positive Echoräume schaffen.“
Vier Stunden später startet der Pegida-Zug. Manche Demonstranten halten Schilder hoch: „Deislamisierung Europas Jetzt!“ oder „Politikerabschaum = Volksverräter“ steht darauf. Andere halten Fahnen: Schwarz-rot-gold, gold-rot-schwarz, Russland, Israel (!), Sachsen, Reichskriegsflagge. Besonders oft fällt mir eine Flagge auf, auf der ein schwarz-goldenes skandinavisches Kreuz die rote Grundfläche teilt: Die Wirmer-Flagge, einst CDU-Parteifahne, heute Symbol von Rechtsextremen.
An ein Gespräch brauche ich, der Journalist, gar nicht erst zu denken: Der erste, in dessen Nähe ich auch nur komme, schimpft auf die Lügenpresse, und wie ich ihn im vergangenen Jahr in einem Interview vor der Frauenkirche falsch zitiert hätte. Ich war als 13-Jähriger zuletzt in Dresden, aber in diesem Moment gehöre ich wohl einfach einer grauen Masse an. Die Antwort auf die Frage, wovor Pegida Angst hat, muss ich mir heute selbst geben.
Tröstlich hallt in meinem Kopf ein Satz von Uwe Vetterick nach: „Man darf sich von dieser lautstarken, aggressiven Minderheit nicht verrückt machen lassen. Man darf sie nicht ausblenden, aber ihnen auch keine Rolle zubilligen, die sie realistisch gar nicht haben.“