EU-Staaten sind auf neuen CO2-Preis nicht vorbereitet
EU-weit wird ab 2027 ein CO2-Preis fürs Heizen und Tanken fällig. Doch mehrere Staaten stellen den schnellen Ausstieg aus der fossilen Energie inzwischen infrage – was langfristig noch höhere Kosten bedeuten könnte. “Wir schlafwandeln in ein politisches Desaster“, warnt der sozialdemokratische Europaabgeordnete Thomas Pellerin-Carlin.
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Viele EU-Staaten bereiten sich nicht ausreichend auf den CO2-Preis vor, der ab 2027 EU-weit aufs Heizen und Tanken fällig wird. Das berichten sowohl Experten als auch EU-Abgeordnete der sozialdemokratischen und der grünen Fraktionen CORRECTIV.Europe. Um steigende Energiepreise durch das EU Emissions Trading System (ETS2) zu verhindern, wollen mehrere Staaten die neue Abgabe verzögern. „Ich befürchte, dass die Regierungen sich nicht ausreichend auf den Start von ETS2 vorbereiten“, sagt Conall Heussaff vom Brüsseler Wirtschafts-Thinktank Bruegel. Die EU-Kommission hat bereits im Sommer 2024 die erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland und 25 andere Mitgliedsstaaten eingeleitet, weil sie den Zeitplan nicht einhalten.
ETS2 ist Teil des Green Deals, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Um im Zeitplan zu bleiben, müssten die Mitgliedstaaten inzwischen daran arbeiten, ETS2 in nationales Recht zu überführen – und auch an ihrem Klimasozialplan. Mit ihm können sie ab 2026 EU-Gelder aus den CO2-Einnahmen abrufen und an ihre Einwohner weiterverteilen . Dadurch soll verhindert werden, dass die hohen Energiepreise die ärmeren Teile der Bevölkerung hart treffen.
Angst vor Energiekosten: Mehrere Staaten fordern Verzögerung von CO2-Preis
Ebenso wie Tschechien fordert Polen eine Verzögerung des Starts des ETS2. Polens Premierminister Donald Tusk forderte in seiner Rede zu Beginn der polnischen Ratspräsidentschaft Ende Januar 2025 sogar, alle Gesetze des Green Deals zu überprüfen. Er warnte vor einer schnellen Einführung des ETS2: „Wenn die Energiepreise weiter steigen, wird das katastrophale politische Auswirkungen haben.“ Man werde die Menschen verlieren, wenn sie den Eindruck hätten, die EU bedeute nur Belastungen für sie.
In Polen wird noch sehr häufig mit Kohle geheizt, was besonders viele Emissionen verursacht. Eine klimafreundliche Umstellung wird für Polen entsprechend teuer. Deshalb wäre Polen eines der Länder, die am meisten Mittel aus dem Klimasozialfonds bekommen würden. Die unsichere Wirtschaftslage angesichts des anhaltenden russischen Kriegs in der Ukraine und der Spannungen in den Handelsbeziehungen zwischen den USA und China würde Fortschritte in der EU-Klimapolitik erschweren, prognostizierte der Think Tank European Council on Foreign Relations bereits 2024.
„Wir schlafwandeln in ein politisches Desaster“
„Wir sehen gerade, dass von Seiten der konservativen und der rechten Fraktion im Europäischen Parlament, aber auch von Seiten von Mitgliedstaaten und der Wirtschaft versucht wird, Klimabemühungen abzusägen“, sagt Michael Bloss, Europaabgeordneter der Grünen. „Dabei wäre es sinnvoll, sich jetzt damit zu beschäftigen, Programme für die potentiellen Einnahmen aufzusetzen, damit bereits ab 1. Januar 2026 direkt Geld ausgezahlt werden kann. Sonst läuft man Gefahr, dass das ETS-2 ab 2027 zur sozialen Falle wird.“ Eine Recherche von CORRECTIV.Europe ergab, dass bereits 2023 europaweit 47 Millionen Menschen es sich nicht mehr leisten konnten, angemessen zu heizen.
Laut Thomas Pellerin-Carlin, Mitglied der Fraktion Progressive Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, ist der Green Deal zwar wirtschaftlich umsetzbar, doch drohe er politisch zu scheitern: „Wir müssen eine ernsthafte Diskussion führen, welche sozialen Maßnahmen nötig sind, um die Energiewende sozial gerecht zu gestalten. Sonst werden Bewegungen wie die Gelbwesten in Frankreich wieder aufkommen. Wir schlafwandeln in ein politisches Desaster.“
Pellerin-Carlin vergleicht die grüne Transformation des Energiesektors mit einer Wohnung, in der man lebt und dem Eigentümer immer brav die Miete überweist: „Europa ist Mieter, Wladimir Putin, Donald Trump und die Islamische Republik Iran sind die Vermieter. Um den Wechsel zu einem demokratischeren und klimafreundlicheren System zu vollziehen, müssen wir selbst zu Hausbesitzern werden“, sagt er CORRECTIV.Europe. „Dazu müssen wir in saubere Energie investieren, schon allein deshalb, weil wir in Europa kein Gas und Öl mehr haben. Dieser Prozess wird sich am Ende nicht nur für die Umwelt lohnen, sondern auch für die geopolitische Freiheit.“
Wettbewerbsfähigkeit von Europa könnte auf dem Spiel stehen
Bloss warnt: Wenn der ETS2 scheitert, würde auch ein großer Teil des Green Deal und des Klimaschutzes scheitern. Mit fatalen Folgen: „Wenn wir die Klimakrise nicht bald in den Griff bekommen, dann schwindet immer mehr die soziale Gerechtigkeit, die Produktivität und so auch die Wettbewerbsfähigkeit.“
Auch Peter Liese, Europaabgeordneter der christdemokratischen EVP-Fraktion, warnt davor, den CO2-Preis aufs Heizen und Tanken zu stoppen – obwohl seine Fraktion schon mehrfach Kritik an den Maßnahmen des Green Deals geübt hat. Laut Liese seien ohne diesen Marktmechanismus die Klimaziele nicht zu erreichen, sagte er in einem Interview mit euronews. „Alle anderen Instrumente auf nationaler Ebene wären schmerzhafter und teurer.“
Text und Recherche: Frida Thurm, Lilith Grull
Bildredaktion: Ivo Mayer
Redaktion: David Schraven
Faktencheck: Annika Joeres
Kommunikation: Esther Ecke