Das Verräter-Gesetz
Das Café 104 liegt mitten in der Stadt, zwischen Hohenzollernplatz und Hauptbahnhof. Dort wird Menschen geholfen, die in aufenthaltsrechtlicher Illegalität. Hier treffen sich Menschen, die gar nicht hier sein dürften. Nicht in München, nicht in Deutschland.
Vor dem Gesetz gelten die Besucher des Café 104 als illegal, weil sie keinen Aufenthaltstitel haben. Hier werden sie begrüßt von vier Frauen und einem Mann, die ihnen Rechte verschaffen, die diesen papierlosen Menschen vorenthalten werden. Medizinische Versorgung zum Beispiel oder rechtliche Beratung.
Das Café 104 ist ein Projekt des Bayerischen Flüchtlingsrates und arbeitet seit der Gründung 1998 unabhängig. Es wird mittlerweile durch Gelder aus einem Fonds zur gesundheitlichen Notversorgung von Menschen ohne Versicherung von der Stadt München unterstützt, wovon die Miete für die Einrichtung bezahlt wird. Benedict Wermter sprach mit Birgit Poppert, einer Gründerin, über Gesetze, das Münchener Modell und die Arbeit mit Behörden und anderen Hilfseinrichtungen.
Frau Poppert, Menschen, die ohne Papiere in Deutschland leben, sind für die Behörden letztlich unsichtbar. Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, muss diese Menschen bei der Ausländerbehörde anzeigen. Das schreibt das Gesetz vor. Was will der Gesetzgeber mit dieser Übermittlungspflicht erreichen?
Birgit Poppert: Das ist der sogenannte Denunziantenparagraf. Man hatte sich davon versprochen, Illegalisierte leichter aufgreifen zu können. Andererseits wollte man auch erfahren, welche Personen sich aus welchen Gründen illegal in Deutschland aufhalten. Die Ausländerbehörden geben jedoch fast unisono an, dass sie kaum Meldungen erhalten. Das liegt auch daran, dass Unsichtbare diesen Paragrafen sehr wohl kennen und sich hüten, in diese Falle zu tappen. Das bedeutet wiederum, dass sie sich unter anderem viel zu spät in ärztliche Behandlung begeben und dass sie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt ausgebeutet werden, weil sie mit der Angst leben, entdeckt und abgeschoben zu werden. Dieses Gesetz muss bis auf sicherheitsrelevante Kriterien abgeschafft werden.
Warum wird es nicht abgeschafft?
Wir sehen die Herausnahme der Bildungsstätten aus dem Paragrafen als ersten Schritt in die richtige Richtung an. Ebenso eine allgemeine Verwaltungsvorschrift, wonach im Notfall ins Krankenhaus eingelieferte illegalisierte Patientinnen und Patienten nicht der Ausländerbehörde gemeldet werden müssen. Wir kennen aber kein schlüssiges Argument, warum hier sonst nichts geändert werden kann. Im übrigen Europa gibt es einen solchen Paragrafen ebenso wenig wie die Tatsache, dass Illegalität eine Straftat darstellt. In den meisten anderen EU-Ländern ist aufenthaltsrechtliche Illegalität eine Ordnungswidrigkeit wie etwa Falschparken. Während man in Frankreich Illegalisierte lediglich zur Ausreise auffordert, wenn sie aufgegriffen werden, inhaftiert man in Deutschland diese Menschen, berechnet eine Geldstrafe nach Tagessätzen für die Dauer des illegalen Aufenthalts und schiebt sie ab.
Sie wollen Menschen helfen, die nicht hier sein dürften. Die Behörden wollen das Recht durchsetzen. Letztlich arbeiten Sie gegeneinander. Wie ist es für Sie, Mitarbeitern von Ausländerbehörden beruflich zu begegnen?
Denen kann man keinen Vorwurf machen. Sie richten sich ja nach den Vorschriften. In München erleben wir ein großes Entgegenkommen der Behörden, es herrscht ein sachlich guter Ton: Die Behörden arbeiten weder gegeneinander, noch gegen uns. Die Münchener Ausländerbehörde hat uns sogar unterstützt, als es um die Unterbringung von illegalisierten Schwangeren ging. Da hatte uns die bayerische Regierung Schwierigkeiten gemacht und wir bekamen Deckung von der Ausländerbehörde. Die Ausländerbehörde selbst ist interessiert an praktikablen Lösungen und wir begegnen uns auf Augenhöhe.
Ihre Einrichtung, das Café 104, wird von der Stadt München bei der Bezahlung der Miete unterstützt. Es ist selten, dass Städte oder Kommunen ein solches Projekt unterstützen. Wie haben Sie das erreicht?
Seit 2009 zahlt die Stadt München die Miete für die gemeinsame Praxis von Cafe 104 und den Ärzten der Welt. Wir waren zuvor beide beim Bayerischen Flüchtlingsrat untergebracht. Dort wurde es zu eng, weshalb die Ärzte der Welt umziehen wollten. Wir konnten finanziell zunächst nicht mithalten, da wir aus sporadisch eingehenden Spenden keine Miete finanzieren können. Ich habe dann der Stadt das Modell vorgeschlagen. Da die Stadt Wert darauf legte, dass wir mit den Ärzten der Welt zusammen bleiben, übernahm sie die Miete. Das macht die Stadt nicht ohne Eigennutz: Übergänge in die Legalität bedeuten meistens gesichertes Einkommen und damit Steuereinnahmen, und wir nehmen der Ausländerbehörde viel integrative und organisatorische Arbeit ab: Wenn wir etwa mit den Unsichtbaren mit allen erforderlichen Papieren beim ersten Gespräch mit der Behörde erscheinen oder auch Dolmetscher stellen.
Sehen Sie Möglichkeiten, das Münchener Modell auch in anderen Regionen Deutschlands zu etablieren? Oder: Wie können Unterstützer von illegalisierten Menschen bessere strukturelle Bedingungen in ihrer Umgebung erreichen?
Da gibt es kein Patentrezept. Die strukturellen Bedingungen hängen stark von den behördeninternen Verwaltungen der einzelnen Bundesländer ab. Wir haben schon Probleme, unser Modell über die Stadtgrenzen hinaus in Bayern zu etablieren. Auch haben die vielen Organisationen in der Zielsetzung unterschiedliche Meinungen: Wir setzen uns vehement gegen den Denunziantenparagrafen ein. Die Medinetze dagegen kommen aus der anderen Richtung und befürworten den anonymen Krankenschein, der eine anonyme Behandlung ermöglichen soll. Andere Städte machen andere Fortschritte. Man kann sich überall etwas abgucken. In Hamburg hat man beispielsweise erreicht, dass die Stadt ein bestimmtes Kontingent von Kitaplätzen für illegalisierte Kinder finanziert.
Wie ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, die den Unsichtbaren helfen wollen? Gibt es da Konkurrenz oder gar Spannungen? Manche wollen – anders als Sie – kein Geld von der öffentlichen Hand annehmen.
Dafür haben wir Verständnis. In München haben wir das Glück, dass uns die Stadt in überhaupt keiner Weise in die Arbeit hereinredet. Wir erledigen städtische und staatliche Pflichten – außerdem dürfte die Stadt eigentlich keine Institutionen unterstützen, die Straftätern Lebenshilfe gibt. Deswegen nehmen wir die Großzügigkeit der Stadt dankbar an. Wir haben dabei kein Missionsbedürfnis, möchten aber politisch etwas erreichen. Welchen Weg andere wählen, schauen wir uns an.
Wir wollen Menschen, die ohne gesicherten Aufenthaltsstatus oder ohne Aufenthaltspapiere hier leben, bei der Bewältigung ihres Lebens helfen. Zum Beispiel durch gesundheitliche Versorgung, beim Zugang zu Bildungseinrichtungen oder im Umgang mit Behörden. Gleichzeitig ist es uns wichtig, mit politischer Arbeit etwas an der Rechtlosigkeit dieser Klientel zu verändern. Daher machen wir auch Öffentlichkeitsarbeit und sind in diversen städtischen Gremien vertreten: Wir nehmen Teil an Gesprächsrunden oder Arbeitskreisen in Politik und Verwaltung zu Flüchtlingsfragen und Themen, die Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus betreffen. Und wir sind mit den überregionalen Organisationen sehr gut vernetzt.
In München gibt es noch die Malteser, die acht Jahre nach uns auch eine Anlaufstelle aufgebaut haben. Sie haben sich ähnliche Ziele gesteckt und legen wie Ärzte der Welt den Akzent auf die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung. Die Malteser aber sind mir – das gebe ich ehrlich zu – zu unpolitisch.
Wie meinen Sie das, zu unpolitisch?
Sie wollen in München rein katholische Medizin mit Einverständnis des Regierungspräsidenten machen und verfolgen keine politischen Forderungen. Sie wollen den „Brüdern und Schwestern im Schatten“ gegenüber barmherzig sein und sagen, Politik sei nicht ihr Thema. Das lehnen wir ab. Wir wollen Menschen helfen, ihre Rechte durchzusetzen. In einem Rechtsstaat soll es keine Rechtlosigkeit geben. Wir sind nicht militant, haben aber klare politische Ziele.
Redaktion: Florian Bickmeyer
Gestaltung: Thorsten Franke, Simon Jockers, Ivo Mayr