„Jugend Rettet“ weist Vorwürfe italienischer Ermittler zurück
Italienische Staatsanwälte gehen dem Verdacht nach, dass die deutsche NGO „Jugend Rettet“ bei Hilfseinsätzen auf dem Mittelmeer Kontakte zu Schleppern hatte. Die NGO weist die Vorwürfe jetzt zurück.
Der Vorwurf, dass internationale Hilfsorganisationen Kontakte mit Schleppern aus Nordafrika unterhalten, steht schon seit einiger Zeit im Raum. Staatsanwälte in der sizilianischen Hafenstadt Trapani haben den Vorwurf im Fall der 2015 in Berlin gegründeten deutschen NGO „Jugend Rettet“ konkretisiert.
Es gibt kaum unabhängige Informationen über die Geschehnisse rund um die internationalen Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer. Folgt man der Darstellung der Staatsanwaltschaft, so hatte das Rettungsschiff der NGO, die „Iuventa“, vor der libyschen Küste Kontakte zu Schleppern. In einem Fall habe das dazu geführt, dass Schlepper eines ihrer Boote noch einmal einsetzen konnten.
Die Staatsanwälte ermitteln wegen des Verdachts der Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Bei ihren Ermittlungen, die gegen Unbekannt geführt werden, berufen sie sich auf Zeugenaussagen, verdeckte Ermittler und abgehörte Telefonate. Anfang August beschlagnahmten sie die „Iuventa“. „Jugend Rettet“ hatte sich auf Anfragen von CORRECTIV zunächst nicht detailliert geäußert. Die Organisation weist die Vorwürfe der Ermittler jetzt entschieden zurück.
Nur „rudimentäre Kommunikation“
Bereits seit einiger Zeit gebe es in Deutschland und Italien derartige Spekulationen und Anschuldigungen von Politikern, schrieb die Hilfsorganisation in einer Stellungnahme. „Für diese Behauptungen wurden nie Beweise vorgelegt und sie sind schlicht und einfach unwahr.“
Ein Foto aus den Justizunterlagen, die CORRECTIV ausgewertet hat, soll zeigen, wie ein Beiboot der „Iuventa“ am 18. Juni diesen Jahres leere Holzboote zusammenbindet. Laut den Ermittlern soll eines der Boote später noch einmal für den Transport von Migranten eingesetzt worden sein.
Mit sogenannten „Motoren-Fischern“ gebe es keine Absprachen, sagte die NGO. Es gebe lediglich rudimentäre Kommunikation. „Motoren-Fischer“ sollen Personen sein, die Motoren von den Migrantenschiffen abmontieren, damit die Schlepper sie anschließend wiederverwenden können. Die Besatzung der „Iuventa“ versuche in solchen Fällen, diese Leute davon abzuhalten, die Rettung zu stören, so die NGO. Zu ihrer eigenen Sicherheit vermieden die Retter aber Konfrontationen mit diesen möglicherweise bewaffneten Personen.
Weiter heißt es: „Jugend Rettet verurteilt den Handel mit Menschenleben und das Geschäft der Schlepper. Eine Kooperation mit Menschenhändlern ist für uns von vornherein ausgeschlossen.“
Eine Rettung kommt dazwischen
„Jugend Rettet“ sagte weiter, die Retter hätten die Boote nicht wie von der Staatsanwaltschaft behauptet den mutmaßlichen Schleppern überlassen, sondern sie mit einigen hundert Metern Sicherheitsabstand zerstören wollen. Dabei sei den Rettern aber ein weiterer Seenotfall dazwischen gekommen. Diese Rettungsaktion hätten mutmaßliche Schlepper dann genutzt, um die Boote zu stehlen. Ohnehin habe keines der Crewmitglieder auf der Mission Arabisch gesprochen, was meistens die Sprache der „Motoren-Fischer“ sei.
Auf einem weiteren Foto, das die Staatsanwaltschaft als Beweismittel für eine angebliche Nähe zwischen NGO und Schleppern vorlegt, ist zu sehen, wie NGO-Mitarbeiter einen Abschiedsgruß zeigen. Laut Staatsanwaltschaft galt dieser Gruß den Schleppern. „Jugend Rettet“ sagt, dieser Abschiedsgruß nicht an die Schlepper, sondern an die Migranten.
Zudem sehen sich die Helfer dem Vorwurf gegenüber, nicht mit der italienischen Küstenwache zu kooperieren. Die „Iuventa“ habe sich demnach im Mai 2017 geweigert, in den Hafen von Lampedusa einzulaufen. Stattdessen sei es zu einem möglicher Weise abgesprochenen Treffen mit dem etwas mysteriösen Schiff „Shada“ gekommen.
Beides streitet „Jugend Rettet“ ab. Der Kapitän des Schiffs habe allen Aufforderungen der italienischen Seenotleitstelle Folge geleistet. Mit dem Schiff „Shada“, das in der Vergangenheit in den Schmuggel von Waffen und Tabak auf dem Mittelmeer verwickelt war, hätten sich die Retter weder treffen wollen, noch sei ihnen das Schiff vor der Berichterstattung in den Medien bekannt gewesen.
Gezielte Kriminalisierung der Retter?
„Wir arbeiten im Augenblick unter Hochdruck an der Aufarbeitung der Ereignisse“, schreibt „Jugend Rettet“. Aus rechtlichen Gründen will sich die Organisation nicht zu allen Vorwürfen detailliert äußern. „Allerdings können wir festhalten, dass sämtliche Punkte, die uns vorgeworfen werden, aus ihrem Kontext gerissen wurden und sich in der dargestellten Form nicht ereignet haben.“
„Jugend Rettet“ argumentiert, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen den Ruf der internationalen Retter beschädigen und sie kriminalisieren sollen. Das seien „Puzzlestücke in der aktuellen europäischen Politik, welche nicht auf Hilfe für Geflüchtete setzt, sondern versucht, das Erreichen Europas für Flüchtende unmöglich zu machen und parallel ihr Recht auf das Stellen eines Asylantrags auszuhebeln“.
2013 ertranken vor Lampedusa mehr als 360 Flüchtlinge. Daraufhin rief Italien den Marineeinsatz „Mare Nostrum“ ins Leben. 150.000 Flüchtlinge wurden in einem Jahr aus dem Meer gerettet. Der Einsatz wurde später ersetzt durch die Operation Triton der EU-Grenzbehörde Frontex und die EU-Militäroperation Sophia. Beide haben aber eher das Ziel, Schleusern das Handwerk zu legen. Die EU fuhr ihre humanitäre Hilfe im Mittelmeer zurück und rief damit erst die privaten Retter auf den Plan. Laut Frontex werden inzwischen 40 Prozent der Flüchtlinge von NGO-Schiffen gerettet.