Fußballdoping

Frank de Boer und das Nandrolon

Vorsätzliches Doping nicht nachgewiesen, aber kein Freispruch

von Daniel Drepper

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Ajax-Trainer Frank de Boer hat in einem TV-Interview erneut Stellung zu den möglichen Ursachen seiner positiven Dopingprobe aus dem Jahre 2001 bezogen. Vitaminpillen des niederländischen Fußballverbandes KNVB habe er nach den Vorfall nie mehr angerührt. Diese hatten jedoch keine Schuld am den erhöhten Nandrolon-Wert des damaligen Barcelona-Spielers.

Frank de Boer wird oft als der „holländische Guardiola“ bezeichnet und in der Tat bestehen viele Parallelen zwischen dem 112-fachen niederländischen Nationalspieler und dem zukünftigen Bayern-Trainer, nicht nur viele (auch gemeinsame) Jahre im Trikot des FC Barcelona. Beide gewannen als Spieler Europapokale, trainierten unter Louis van Gaal und verehren die Cruijff’sche Fußballphilosophie. Auf Anhieb sammelten die Musterschüler mit ihrer von 4-3-3 und Jugendwahn geprägten Handschrift Titel bei ihrer ersten Station als Chefcoach, doch in beiden Lebensläufen stößt derselbe schwarze Fleck auf: Wie bei zahlreichen Stars zu der Zeit wurden sowohl Pep Guardiola, als auch Frank de Boer positiv auf Nandrolon getestet

2001 wurde nach dem UEFA-Cup-Viertelfinal-Hinspiel gegen Celta de Vigo ein mehr als vierfach erhöhter Nandrolon-Wert im Urin des Holländers festgestellt (8,6 Nanogramm pro Milliliter. Der zulässige Höchstwert bei Männern liegt bei 2,0). Da auch bei Oranje-Kollege Edgar Davids leicht erhöhte Werte (2,7) des anabolen Steroids nachgewiesen wurden, gerieten Vitaminpräparate, die im Rahmen der niederländischen Nationalmannschaft verabreicht wurden, unter Verdacht. Denn beide Akteure spielten zu dem Zeitpunkt bei unterschiedlichen Vereinen: „Elftal“-Kapitän De Boer in Barcelona, Vize Davids bei Juventus. Später wurde auch Jaap Stam (5,5) positiv auf Nandrolon getestet. FCB-Kollege Phillip Cocu nahm übrigens die Brausetabletten-Variante der Vitaminpräparate ein, da er die gewöhnlichen Pillen nicht gut schlucken konnte. Seine Urinproben blieben genau so unauffällig wie die von Patrick Kluivert, der ebenfalls bei den Katalanen unter Vertrag stand.

Vorsätzliches Doping nicht nachgewiesen, aber kein Freispruch
Nach dem positiven Befund (auch die B-Probe wies einen erhöhten Nandrolon-Spiegel auf) sprach die UEFA eine einjährige Sperre gegen de Boer aus, allerdings nur für internationale Spiele. Auch die FIFA zog nach. De Boer bestritt die Vorwürfe nachdrücklich und ging in Berufung.

Der Weltpokalsieger von 1995 gab ein Vermögen aus, um seine Unschuld zu beweisen. Sobald ein Verband einen positiven Dopingtest vorlegen kann, liegt die Beweislast nämlich wieder beim Spieler: Als Sportler ist man für seinen Körper verantwortlich und muss belegen, nicht vorsätzlich gedopt zu haben. De Boer (329 Spiele für Ajax) zog Experten und Anwälte zu Rate, reiste bis nach Übersee. Zwischenzeitlich wurde spekuliert, ob eine Salbe, mit der er seine Tochter eingerieben hatte, den Nandrolon-Anstieg verursachte, was jedoch Davids’ Werte in Turin nicht erklärt.

De Boers Nandrolon-Werte überstiegen zwar die Norm, doch es ist umstritten, ob bei einer Dosis in dieser Höhe überhaupt von Doping die Rede sein kann. Zum Vergleich: Bei Linford Christie wurden 200 Nanogramm pro Mililiter gemessen — ein hundertfach erhöhter Wert. Der Nijmeger Professor van Rossum ist zudem der Meinung, dass bei bewusstem Doping über einen langen Zeitraum erhöhte Nandrolon-Werte festgestellt werden müssten. Bei Edgar Davids wurde erst nach der 14. Dopingprobe der Saison eine Abweichung festgestellt.

Spanische Wissenschaftler spekulierten, ob Cholesterin in Verbindung mit den Multivitamin-Präparaten steroide Hormone erzeugen könnten. Über die Jahre herrschte ein allgemeines Hin und Her bezüglich der Interpretation von Nandrolon-Messwerten.

Wie auch Christoph Daum hat Frank de Boer am Ende seiner Ochsentour eine Haarprobe selbst in Auftrag gegeben, die letztendlich eine vorsätzliche und strukturelle Dopingeinnahme nicht nachweisen konnte. Wegen der unabsichtlichen Einnahme des verbotenen Mittels durch „kontaminierte“ Nahrungsergänzungsmitteln wurde de Boer zwar nicht freigesprochen, seine Sperre von der UEFA aber auf elf Wochen reduziert.

Derksen trifft de Boer
Im Rahmen seiner TV-Interviewreihe „Derksen &…“ hat Voetbal-International-Chefredakteur Johan Derksen Frank de Boer erneut auf den Zahn gefühlt. Am Montagabend wurde das Gespräch mit dem angesehenen Journalisten ausgestrahlt. Das sagt de Boer heute über die Vorfälle aus dem Jahr 2001:

Johan Derksen: Du müsstest eigentlich über das EPO-Gerde um Lance Armstrong schmunzeln können, weil du deiner Zeit weit voraus warst. Nach einer Partie gegen Celta de Vigo wurden verbotene Substanzen in dir festgestellt. Du hattest Nandrolon in deinem Blut. Du hast Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um deine Unschuld zu beweisen, weil du in erster Instanz ein Jahr Sperre aufgebrummt bekamst

Frank de Boer: Ja, letztendlich ein Jahr. Womit ich wahrscheinlich auch die Weltmeisterschaft verpasst hätte. Deshalb… — wobei der Zeitpunkt eigentlich immer ungünstiger ist. Aber auch wenn, es nur drei Tage gewesen wären…

Derksen: Es ging ums Prinzip.

De Boer: Mir ging es ums Prinzip.

Derksen: Hattest du irgendeine Ahnung, wo es herkam? Weil es war nun mal in dir drin.

De Boer: Nein. Das einzige, was wir uns erklären konnten waren Vitaminpräparate, die wir vom KNVB bekommen haben – gerade die galten als sicher. Das wollten wir, das wollte der KNVB. Der Arzt hat explizit unterstrichen, diese Mittel würden auch die Volleyballspieler der niederländischen Nationalmannschaft verwenden. Diese seien sicher. Sie seien damals sehr häufig, ich glaube im Rahmen der olympischen Spiele, kontrolliert worden. Also haben wir diese Präparate genommen. Ich sage nicht, diese Mittel sind es letztendlich gewesen, denn sie können beispielsweise auch in Rindfleisch stecken.

Derksen: Das sagen die Radfahrer auch immer.

De Boer: Da Jaap Stam und Edgar Davids auch erwischt wurden, beziehungsweise bei Ihnen auch zu hohe Werte festgestellt wurden, denke ich, dass sie daher stammen. Ich weiß es nicht.

Derksen: Es muss beim KNVB passiert sein, denn Zufälle gibt es nicht. Stam, Davids und du spielten bei drei verschiedenen Vereinen.

De Boer: Ja.

Derksen: Und ihr alle drei hattet Nandrolon im Blut. Deshalb muss es in Zeist ( KNVB-Zentrale) passiert sein.

De Boer: Deshalb sage ich ja: Das könnte so gewesen sein. Ich habe lediglich A-bis-Zink- und Vitamin-C-Pillen– so groß (zeigt Größe mit dem Finger an) –, die man ganz gewöhnlich in der Apotheke erhalten kann.

PK-Einblendung de Boer, 5. September 2001

De Boer: Ich möchte mitteilen, dass ich nach dem UEFA-Cup-Spiel gegen Celta eine Dopingkontrolle hatte. Dort schien ich positiv getestet worden zu sein. Aber ich habe ein reines Gewissen. Ich habe noch nie etwas eingenommen.

Frage: Hast du mit Davids gesprochen?

 

De Boer: Ja, klar.

 

Frage: Hat er dir noch einen guten Rat gegeben?
De Boer: Wir haben über Juventus und Barcelona gesprochen. Und auch über die niederländische Nationalmannschaft. Aber wir sind beide Spieler, die keine komischen Substanzen einnehmen. Ich habe selbst noch nie eine Zigarette angefasst und er auch nicht. Deshalb ist es seltsam.

Derksen: Jetzt gehst du ruhig damit um, damals…

De Boer: Aber ich kann damit ruhig umgehen, weil ich meine Hand ins Feuer stecken kann! Das sagen die Radfahrer auch. Aber wenn du mich als Spieler gesehen hast, weißt du: Ich war nie muskulös, ich bin nicht super schnell. Warum sollte ich solche Dinge einnehmen?

Derksen: Vielleicht hättest du noch mehr davon nehmen müssen (lacht). Aber du hast ein Vermögen ausgegeben, um deine Unschuld zu beweisen. Du bist deshalb sogar nach Amerika gereist.

De Boer: Ja, bei Anwälten – überall sind wir gewesen. Letztendlich habe ich 750.000 bis 1.000.000 Gulden darein gepumpt und letztendlich ist man immer noch schuldig. Andererseits auch nicht schuldig, weil sie dir zweieinhalb Monate geben, ehe man wieder beim wichtigen WM-Qualifikationsspiel gegen Irland dabei sein darf. Aber sie konnten mich nicht freisprechen, da sie sonst jeden für unschuldig hätten erklären müssen. Es ist wie Holz in den Wald tragen.

Derksen: Du hinterlässt den Eindruck, ungerecht behandelt worden zu sein.

De Boer: Ja, weil eigentlich hast du nichts – zumindest von dem ich weiß. Ich habe noch nie etwas bewusst genommen, von dem ich weiß, darin steckt etwas, was mich stärker macht. Einfach nur Vitamine für die Abwehrkräfte, sonst nichts.

Derksen: Bist du danach vorsichtiger geworden, wenn dir Vitaminpillen angeboten wurden?

De Boer: Nun ja, die Pillen vom KNVB habe ich seitdem nicht mehr angerührt. Einfach zur Sicherheit. Ansonsten: Beim FC Barcelona hatte man auch Fruchtshakes, Milkshakes, die man nach dem Training nehmen konnte. Ansonsten: Nichts.

Formell wäre ein Freispruch für de Boer möglich gewesen, doch die UEFA wollte kein Präzedenz-Fass aufmachen. Wohl zu Recht, denn man muss festhalten, dass heute, über zehn Jahre nach dem Vorfall, die Ursache für die erhöhten Nandrolon-Werte im Urin der holländischen Nationalspieler ungeklärt bleibt. Obwohl die Indizien zunächst unsaubere KNVB-Pillen vermuten ließen, konnte in Untersuchungen kein Nandrolon in den Platina-Multivitamin-Präparaten der erfahrenen Firma Ortho Company nachgewiesen werden. Einer Klage der Fußballprofis gegen den niederländischen Verband war somit der Wind aus den Segeln genommen. Stärker noch: Der Hersteller ging rechtlich gegen Frank de Boer vor und verlangte, im Zusammenhang mit der Dopingaffäre öffentlich nicht mehr namentlich in Verbindung gebracht zu werden.

Wie kommen die abweichenden Werte also zustande?
Sportlich gesehen hat Frank de Boer keinen Schaden aus der Affäre gezogen, denn seine verkürzte Sperre fiel in die Sommerpause. Der Dopingfall hat neben Prozessunkosten in siebenstelliger Höhe (verpasste Prämien nicht eingerechnet) Kratzer im Lack bei einem der besten Verteidiger seiner Zeit hinterlassen. Frank de Boer konnte eine lange Sperre zwar abwehren, aber bis heute nie vollends aufklären, was 2001 wirklich vorgefallen ist.