Neun Mal Blutdoping in der Bundesliga?
Eine fünf Jahre alte Untersuchung scheint die gesamte Anti-Doping-Argumentation des deutschen Fußballs über den Haufen zu werfen: hohe Blutwerte aus der Saison 2008/2009 könnten auf Blutdoping hindeuten. Der DFB argumentiert, die Werte seien durch normale Abweichungen zu erklären. Doch solange sich die Dopingkontrollen im Fussball nicht verbessern, kann Doping nicht ausgeschlossen werden.
Die verdächtigen Blutwerte tauchen in einer Studie von Tim Meyer, dem Teamarzt der deutschen Fußballnationalmannschaft, aus dem Jahr 2011 auf. Diese wissenschaftliche Untersuchung wurde bislang nur in medizinischen Datenbanken veröffentlicht und kann von der breiten Öffentlichkeit nicht sofort eingesehen werden. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat zu den Studienergebnissen bislang keine Nachforschungen angestellt und öffentlich weiter argumentiert, Blutdoping sei im deutschen Fußball kein Thema. Das darf nun zumindest angezweifelt werden.
Denn die Werte sind außergewöhnlich hoch: Hämoglobin bis zu 18,5 Gramm pro Deziliter, Hämatokrit bis zu 54,9 Prozent. In vielen Ausdauersportarten gibt es Grenzwerte für diese Blutparameter, oft liegen diese bei 17 Gramm für Hämoglobin und 50 Prozent für Hämatokrit. Bei den Weltverbänden im Radsport, Triathlon und der Leichtathletik führt ein Wert darüber zu Konsequenzen wie weiteren Untersuchungen oder Schutzsperren.
DFB-Teamarzt Meyer und sein Co-Autor Steffen Meister haben in der Saison 2008/2009 die Blutwerte von 532 Spielern im deutschen Profifußball untersucht. Viermal haben die Wissenschaftler Proben genommen: vor Saisonstart, im Herbst, im Winter und im Frühjahr. Die Werte von 467 Profifußballern sind in die Studie eingegangen. SPIEGEL ONLINE und CORRECTIV liegen die Zusammenfassung der Untersuchung und Steffen Meisters Dissertation zum Thema vor. Die Werte sind vollständig anonymisiert, auf Nachfrage wollten weder der DFB noch die beteiligten Vereine nähere Angaben machen.
Meyer und Meister untersuchten die Veränderung von Blutwerten bei Trainings- und Wettkampfbelastungen, um nach eigenen Angaben „fußballspezifische Normwerte“ ableiten zu können. Bei der Untersuchung stellten sich zahlreiche Spieler aus 17 Vereinen der beiden höchsten deutschen Ligen zur Verfügung, dazu ein Verein aus der damals neu gegründeten 3. Liga.
Spieler gaben vier Proben über die Saison ab
Die Vereine nahmen freiwillig an der Studie teil, und auch die einzelnen Spieler konnten sich gegen eine Teilnahme entscheiden. Dazu war den Spielern klar, wann die Werte genommen werden, und sie gaben maximal vier Proben in der ganzen Saison. Theoretisch hätte sich jeder Spieler nach eigenem Ermessen aus der Studie zurückziehen können. Dennoch wurden bei sechs Profis vor dem Saisonauftakt und zwei Spielern im Herbst der Saison „Hämatokritwerte von über 50 Prozent“ gemessen. Zudem seien „Hämoglobinerhöhungen von über 17 Gramm pro Deziliter“ bei insgesamt neun Proben festgestellt worden.
Steffen Meister zitiert in seiner Dissertation selbst verschiedene „fußballspezifische Referenzbereiche“, deren maximale Grenze im Hämatokrit bei 50 Prozent liege. Dopingforscher Perikles Simon sagt, Werte im Hämoglobin über 18 und im Hämatokrit über 52 seien „sehr, sehr hoch“. Demnach seien solche Werte „klinisch relevant und weiter kontrollbedürftig, oder es würde Doping bei einem im Kern gesunden Profi zumindest nahelegen“.
Nach unserer Anfrage an zahlreiche aktuelle und ehemalige Bundesliga-Vereine verschickte DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig am Donnerstag eine Mail an alle Clubs. Darin zitiert er eine Einordnung von Tim Meyer, in der der DFB-Teamarzt versichert, dass es bei der Untersuchung keinesfalls um die Frage gegangen sei, ob Dopingauffälligkeiten bestanden hätten. Deshalb seien bestimmte — für Doping relevante — Parameter wie die Retikulozytenkonzentration nicht erfasst worden.
„Im Nachhinein lässt sich nichts mehr bestimmen, und das wäre auch durch die Zustimmung der Spieler nicht abgedeckt“, wird Meyer in der Erkärung zitiert, die sich wie eine vorgefertigte Antwort für die Clubs auf unangenehme Fragen liest.
Dopingexperte Sörgel kritisiert DFB
Meyer argumentiert in diesem Schreiben, dass die Anzahl der gefundenen Werte normale Abweichungen seien und sich kein Hinweis auf Epo-Doping finden würde. Das ist grundsätzlich richtig: Aus hohen Werten lässt sich nicht automatisch Doping ableiten. Dopingexperte Fritz Sörgel hält das Vorgehen des DFB trotzdem für fragwürdig. „Bei solchen abweichenden Werten ist der Sportler zusammen mit dem Teamarzt in der Beweispflicht, dass das eine genetische Abnormalität und kein Doping ist“, sagt Sörgel. „Warum sollte der Fußball hier eine Ausnahme sein? Bei solchen Werten gibt es in anderen Sportarten nicht mehr viel zu diskutieren.“
Sogar DFB-Arzt Meyer selbst schreibt in seiner Studie von 2011, dass die Werte auf den Gebrauch von Epo oder Blutdoping hinweisen können. Trotzdem ist den Werten bis heute niemand nachgegangen, sie wurden weder öffentlich gemacht noch an die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) zur Registrierung weitergegeben. Die Nada äußerte sich am Donnerstag noch nicht auf eine Anfrage.
Der DFB spielt das Thema Doping im Fußball seit Jahren herunter. Immer wieder argumentieren Verantwortliche, Fußball sei kein Ausdauersport, es gäbe keine Hinweise auf Epo- oder Blutdoping. Auch Meyer sagte SPIEGEL ONLINE zuletzt: „Die Urinproben sind nach wie vor die Basis der Dopingkontrollen. Das gilt im Fußball wahrscheinlich noch mehr als in manchen Ausdauersportarten.“
Diese Argumentation steht nun in einem anderen Licht. Dopingexperte und Sportmediziner Simon hält die gemessenen Werte für bemerkenswert: „Ich habe höhere Werte schon mal bei Personen gesehen, die nicht gedopt waren, aber sich dafür vier Wochen in der Höhe aufgehalten haben oder erkrankt gewesen sind.“
Diese Recherche entstand in einer Kooperation mit SPIEGEL ONLINE.