Gewalt im Sport

Kinderschutz im Fußball: Übergriffe in Vereinsduschen keine Einzelfälle

Mehrere aktive und ehemalige Fußballspieler und -spielerinnen schildern Grenzüberschreitungen und Gewalt in Vereinsduschen. Ihre Berichte machen klar: Ohne klare Regeln bleiben Duschen und Umkleiden Risikoräume – besonders für minderjährige Sportler.

von Finn Schöneck , Miriam Lenz

gewalt-im-jugendfussball-header
Ehemalige Jugendspieler und -spielerinnen berichteten CORRECTIV und 11FREUNDE in einer Umfrage von Grenzverletzungen und Gewalterfahrungen in den Duschen und Kabinen ihrer Vereine. Illustration: Mohamed Anwar

Versteckte Kameras in Duschen, heimliche Handyaufnahmen von Spielerinnen und Spielern – immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Fußballtrainer wegen solcher Vergehen verurteilt: Etwa 2019 in Göttingen und Anfang dieses Jahres im niedersächsischen Walsrode. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Jugendtrainer des Zweitligisten 1. FC Magdeburg, weil er minderjährige Spieler in der Dusche und Kabine gefilmt haben soll.

Recherchen von CORRECTIV zeigen, dass Jugendspieler darüber hinaus in Duschen und Umkleidekabinen von Fußballvereinen offenbar häufig übergriffiges und grenzverletzendes Verhalten erleben. An einer gemeinsamen Umfrage von CORRECTIV und 11FREUNDE zu Gewalterfahrungen im Jugendfußball nahmen bisher insgesamt knapp 490 Menschen teil. Knapp 40 Betroffene berichteten von Grenzverletzungen und Gewalterfahrungen in Duschen und Umkleiden von Fußballvereinen. Es geht um Bodyshaming, den Zwang, mit dem Trainer duschen zu müssen, teilweise nackt, und auch um sexualisierte Übergriffe.

Mit 10 der 39 ehemaligen und aktiven Jugendspieler und -spielerinnen führte CORRECTIV vertiefende Interviews. Außerdem sichtete CORRECTIV Chatnachrichten und wertete Gerichtsurteile und Kinderschutzkonzepte aus. Die ersten Übergriffe stammen aus den 1970ern, überwiegend berichten betroffene Personen von Fällen aus den 2010er-Jahren bis in das Jahr 2020 – über Jahrzehnte wurden also Jugendlichen nicht genug Schutz geboten.

Trainer zwingen Spieler zum Duschen

Einer der ehemaligen Jugendspieler ist Julius. 2019 spielte er in der B-Jugendmannschaft eines Vereins aus Mecklenburg-Vorpommern, also im Team für die 15- und 16-Jährigen. Sein Trainer habe es für Julius und seine Mitspieler verpflichtend gemacht, nach den Spielen und Trainings zu duschen. Wer dagegen verstoßen habe, sei zur Zahlung eines Strafgeldes in die Mannschaftskasse verpflichtet worden.

Julius ist mit seinen Erfahrungen nicht allein: Von den 39 ehemaligen Jugendspielern erwähnten elf, dass sie zum Duschen gezwungen wurden, oft nackt:

„Wir mussten immer duschen und es wurde darauf geachtet, dass eine Ausrede, wie Periode, nur einmal im Monat galt.“ (ehemalige Jugendspielerin, Nordrhein-Westfalen)

„Unser Trainer hat uns gezwungen, immer nach dem Training vor Ort nackt zu duschen. Ich habe mich unwohl gefühlt. Manchmal hätte ich lieber zu Hause geduscht, oder nicht nackt.“ (ehemaliger Jugendspieler, Schleswig-Holstein)

„Beim Wechsel in eine neue Mannschaft mit ca. zwölf bis 13 Jahren wurde uns vom Trainer vorgegeben, dass alle nach dem Training und nach Spielen gemeinsam duschen müssen, sonst dürfte man kein Teil der Mannschaft sein.“ (ehemaliger Jugendspieler, Nordrhein-Westfalen)

Konfrontiert mit diesen Erlebnissen der aktiven und ehemaligen Jugendspieler teilt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf Anfrage von CORRECTIV mit: „Das Duschen nach dem Training oder Spiel ist eine persönliche Entscheidung und darf nicht verpflichtend von Trainern eingefordert oder bei Nichtbefolgung sanktioniert werden.“

Trainer sollten nicht mit Kindern duschen

Elf aktive und ehemalige Jugendspieler berichteten CORRECTIV in der Umfrage und in Interviews zudem, dass sie als Kinder und Jugendliche mit ihren Trainern duschen mussten. Sie alle fühlten sich dabei unwohl:

„Es war merkwürdig, dass er öfter mit uns geduscht hat, obwohl er eine eigene Kabine mit Dusche hatte.“ (ehemaliger Jugendspieler, Bayern)

„Der Trainer hat uns – besonders mir – immer beim Umziehen und Duschen zugesehen. Angeblich weil die Eltern verlangt haben, dass er kontrollieren soll, ob wir nach dem Sport Duschen.“ (ehemaliger Jugendspieler, Nordrhein-Westfalen)

Für Niklas Alof ist das eine klare Grenzüberschreitung. Er ist Leiter des Bereichs Kinderrechte und Sport beim Verein Kindernothilfe und entwickelte die Kinderschutzkonzepte mehrerer Bundesligisten mit – darunter der SV Werder Bremen, FC Bayern München und SC Freiburg. Ab sechs Jahren solle der Kabinen- und Duschbereich, soweit es die Aufsichtspflicht erlaubt, den Spielern allein überlassen werden, „um die Intimsphäre der Spieler zu achten“, sagt Alof. Sollten Erwachsene doch die Kabine betreten, dann sollten sie das vorher durch Klopfen oder Rufen ankündigen.

Auch der DFB empfiehlt in Handreichungen zum Kinderschutz, dass Trainer und erwachsene Betreuungspersonen nicht gemeinsam mit minderjährigen Spielern duschen. Zur Einhaltung dieser Verhaltensregel sollten Vereine ihre Trainer zudem mit einer schriftlichen Erklärung verpflichten, teilt der Verband auf Anfrage von CORRECTIV mit.

CORRECTIV hat Kinderschutzkonzepte für die Nachwuchsleistungszentren der meisten deutschen Erstligavereine ausgewertet. Die meisten verbieten, dass Trainer oder Betreuer mit minderjährigen Spielern duschen.

Jugendspieler berichten von Übergriffen in der Dusche

Julius aus Mecklenburg-Vorpommern erinnert sich an einen weiteren Vorfall. Er sei nach dem Training nur mit einem Handtuch aus der Dusche gekommen. Sein Trainer habe ihm vor anwesenden Mitspielern auf den entblößten Po gehauen. „Das war mir sehr unangenehm“, sagt Julius.

Dieser Vorfall sei Teil einer Mobbingdynamik in seiner Mannschaft gewesen, an der sich der Trainer beteiligt habe. Das alles hat Julius den Spaß am Fußball genommen: „Früher war ich immer beim Training, aber durch diese Erfahrungen ging ich immer seltener hin.“

Drei Jugendspieler aus anderen Vereinen berichteten CORRECTIV von Übergriffen durch Trainer, die unter der Dusche im Verein stattgefunden haben sollen. In einem anderen Fall erinnert sich ein Jugendlicher, was er mit 12 oder 13 Jahre in seinem hessischen Verein beobachtet habe: „Beim Duschen in der Kabine war der Trainer dabei und hatte suspekt sein Handy auf uns gerichtet, als wir aus der Dusche kamen (wir waren nackt)“. Diese Beschreibung lässt sich nicht verifizieren, da der Hinweisgeber nicht erreichbar war und der Vereinsname CORRECTIV nicht bekannt ist.

Kleine Grenzverletzungen können zu großen führen

Fußballtrainer haben über Kinder und Jugendliche eine große Macht. „Der Trainer kann darüber entscheiden, ob das Kind das tun kann, was es am meisten mag, nämlich auf dem Platz stehen und Kicken“, sagt Kinderschutzexperte Alof. Diese Macht könnten Täter, die als Trainer tätig sind, nutzen, um Grenzen zu verschieben und übergriffiges Verhalten zu normalisieren.

„Kleinere Grenzverletzungen können potenziell zu größeren Grenzverletzungen oder zu Übergriffen führen“, sagt Alof. Deshalb müssten bereits diese verhindert werden. Beim Duschen in Fußballvereinen könne das durch einfache Regeln gewährleistet werden.

Informationsangebote für Fußballvereine zum Kinderschutz

Sie engagieren sich ehrenamtlich in einem Fußballverein oder sind Elternteil eines Jugendspielers oder einer Jugendspielerin und wollen mehr darüber erfahren, wie Kinderschutz in Vereinen umgesetzt werden kann?

Der DFB, die Landessportbünde und die Sportjugend in den einzelnen Bundesländern stellen Informationen, Materialien und Schulungsangebote zur Verfügung.

Hier finden Sie einige Anlaufstellen:

Informationen zum Kinder- und Jugendschutz des DFB

Informationen zum Kinderschutz und zur Gewaltprävention vom Landessportbund Berlin

Informationen zum Kinderschutz vom Landessportbund Nordrhein-Westfalen

Informationen der Sportjugend Hessen zum Kindeswohl

Aktuell laufende Verfahren und kürzliche Verurteilungen zeigen, dass es bei Fußballvereinen immer wieder zu sexualisierter Gewalt durch Trainer kommt. Am Landgericht Potsdam wurde im vergangenen Jahr ein Trainer zu vier Jahren Haft wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs verurteilt. Ein 46-jähriger Fußballtrainer wurde am Landgericht Duisburg ebenfalls 2024 zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er drei Jungen sexuell missbrauchte, die er vom Fußball kannte. Am Landgericht Frankfurt läuft derzeit ein Prozess gegen einen ehemaligen Trainer, in dem der Angeklagte gestand, fünf Jungen zwischen 2019 und 2024 missbraucht zu haben.

Mobbing im Fußball-Verein: Mitspieler als Peiniger

Die Umfrage von CORRECTIV und 11FREUNDE zeigt, dass viele Kinder und Jugendliche im Fußball auch Gewalt durch Mitspieler und Mitspielerinnen erleben. Rund 120 der knapp 490 Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Umfrage berichteten von sogenannter Peer Gewalt. Oft erlebten die Betroffenen Demütigungen und Übergriffe in Duschen und Kabinen:

„Ein Mitspieler hat es geliebt, unliebsame Mitspieler unter der Dusche zu drangsalieren. Dem Betroffenen, mich hat es auch mal erwischt, wurde immer wieder Shampoo in die Augen geschmiert und man wurde in die Ecke der Dusche geschubst.“ (ehemaliger Jugendspieler, Nordrhein-Westfalen)

„Es gab in der C-Jugend schlimmes Mobbing gegenüber manchen Spielern, z.b. wurden sie unter der Dusche angepinkelt oder sich über ihre Geschlechtsteile lustig gemacht.“ (ehemaliger Jugendspieler, Baden-Württemberg)

Niklas Alof von der Kindernothilfe fordert, dass Vereine Verhaltensregeln mit den Kindern und Jugendlichen entwickeln, an die sie sich halten müssen: „Wie wollen wir als Mannschaft oder als Team miteinander umgehen? In der Kabine, auf dem Platz, wo auch immer.“ Am besten sollten die Regeln schriftlich festgehalten werden – auch mit möglichen Sanktionen bei Verstößen – damit sich betroffene Spieler und Spielerinnen und auch Trainer und Trainerinnen darauf berufen können.

Fortschritte im Kinderschutz

In den vergangenen Jahren wurden einige Fortschritte beim Kinderschutz im Sport gemacht: Nordrhein-Westfalen verpflichtet mit dem 2022 beschlossenen Landeskinderschutzgesetz Vereine mit Jugendabteilungen zur Erstellung eines Kinderschutzkonzepts. Und in Berlin müssen Mitgliedsvereine des Landessportbunds seit diesem Jahr neben einem Schutzkonzept unter anderem auch geschulte Beauftragte für Kinderschutz benennen. Doch solche Vorgaben gibt es nicht in allen Bundesländern.

Der deutsche Fußball lebt vom Engagement Ehrenamtlicher – 2024 engagierten sich rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland ehrenamtlich im Fußball. Gerade kleine ehrenamtlich geführte Amateurvereine brauchen oft Unterstützung von außen, um Maßnahmen wie Kinderschutzkonzepte umzusetzen. Dann können sie sich an Einrichtungen wie die Kreis- oder Landessportbünde, die Sportjugend, den Kinderschutzbund oder auch die Kindernothilfe wenden.

Ehrenamtlich Engagierte stoßen dabei manchmal im Verein auf Widerstände, wenn sie Maßnahmen zum Kinderschutz umsetzen wollen, weil die Regeln als ungewohnt, unnötig oder kompliziert empfunden werden. „Kinderschutz sollte nicht als Einschränkung für Trainerinnen und Trainer gedacht werden“, sagt Alof. Die Maßnahmen trügen dazu bei, dass die Stimmung im Verein und in der Mannschaft besser sei und die Jugendspieler mehr Lust auf Fußball hätten. Einfach, weil sie sicher seien.

Um den Kinderschutz in Fußballvereinen voranzutreiben, sieht Alof auch die Eltern der Jugendspieler und Jugendspielerinnen in der Verantwortung: „Sie können die Trainer und Vorstände direkt auf das Thema aufmerksam machen. Dann kann der Verein die Chance nutzen, den Verein noch vor einem konkreten Vorfall, besser aufzustellen.“

Du hast im Jugendfußball auch Gewalt oder Situationen erlebt, in denen du dich unwohl gefühlt hast? Dann kannst du weiterhin an der gemeinsamen Umfrage von CORRECTIV und 11FREUNDE teilnehmen.

Hier kommst du zur Umfrage.

Hilfsangebote

Du hast Gewalt oder Missbrauch im Sport erlebt oder machst du dir Sorgen um jemand anderes? Oder du hast Angst, selbst zum Täter oder zur Täterin zu werden? An diese Beratungsstellen kannst du dich wenden:

Ansprechstelle Safe Sport: 0800 11 222 00 (montags, mittwochs und freitags von 10 Uhr bis 12 Uhr und donnerstags von 15 bis 17 Uhr)

Anlauf gegen Gewalt: ‭0800 90 90 444 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 13 Uhr, dienstags und donnerstags von 16 Uhr bis 20 Uhr)

Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 14 Uhr, dienstags und donnerstags von 15 Uhr bis 20 Uhr)

Kein Täter werden: Hilfestelle für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen

Recherche: Miriam Lenz, Finn Schöneck
Redaktion:
Martin Böhmer, Jonathan Sachse
Faktencheck: Martin Böhmer