Illegale Pushbacks werden zur Routine
Über 7.900 traumatisierte Ankömmlinge in zwei Jahren: MSF dokumentiert systematische Pushbacks und fordert ein Ende der Gewalt gegen Schutzsuchende
Vermummte Küstenwächter, mutwillig beschädigte Boote, körperliche Angriffe – an den Grenzen von Griechenland nimmt die Gewalt gegen Migranten nach Einschätzung der Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) drastisch zu. Ein aktueller Bericht der griechischen MSF-Sektion mit dem Titel „In plain sight – The Human Cost of Migration Policies and Violent Practices at Greek Sea Borders“, der CORRECTIV vorab vorlag, dokumentiert ein brachiales Vorgehen gegen Geflüchtete und mehrfache Pushbacks, besonders auf den Ägäisinseln Samos und Lesbos.
MSF-Patientinnen und -Patienten berichten demnach von Pushbacks an Land und im Wasser. Viele beschreiben, wie sie auf See von Booten mit Personen mit „vermummten Gesichtern“ abgefangen worden seien. Die Motoren ihrer Boote seien entfernt oder zerstört worden. Sie selbst hätten die Angreifer entweder hilflos treiben lassen oder in türkische Gewässer geschleppt. Einige wurden auf ein größeres Schiff gezwungen, wo sie körperliche Gewalt erlebten, ihre Habseligkeiten seien konfisziert und zerstört worden, bevor sie auf ein Schlauchboot gesetzt und ausgesetzt wurden.
An Land berichteten Ankömmlinge, dass sie von Personen mit vermummten Gesichtern verfolgt und festgenommen wurden, oft körperlich und verbal angegriffen, bevor sie auf See gebracht und dort zurückgelassen wurden. MSF behandelte in den vergangenen zwei Jahren über 7.900 Menschen, die oft erschöpft und traumatisiert ankamen, darunter 1.520 Kinder. Viele berichteten von mehrfachen Pushbacks und entwürdigenden Durchsuchungen.
Nach einem Schiffsunglück im Juni 2023, bei dem etwa 500 Schutzsuchende starben, hat die internationale Kritik an der griechischen Grenzpolitik zugenommen. Trotzdem setzt sich die Gewalt fort. Der Bericht fordert dringende Maßnahmen, um auf die gravierenden menschenrechtlichen Folgen der EU- und griechischen Migrationspolitik zu reagieren. „Dazu gehört, dass die Straflosigkeit für diejenigen, die Gewalt gegen Schutzsuchende ausüben, in Übereinstimmung mit europäischem und internationalem Recht beendet wird.“, sagt Christos Christou, internationaler Präsident von Ärzte ohne Grenzen.
Pushbacks an der griechischen Grenze sind laut MSF Routine geworden. Trotz wiederholter Verurteilungen von Institutionen wie dem Europarat, dem UNHCR, dem griechischen Ombudsmann und EU-Institutionen, zeigt der Bericht, dass die Praxis weiter systematisch angewendet wird. Eine genaue Zahl der Pushbacks im östlichen Ägäis lässt sich laut MSF nicht ermitteln, da kein unabhängiger Überwachungsmechanismus existiert.
Allerdings gibt es Berichte über 540 Vorfälle von informellen Rückführungen in Griechenland seit 2020 und 50 Vorfälle zwischen April 2020 und Oktober 2022, die von der griechischen Nationalkommission für Menschenrechte dokumentiert wurden. In 50 Zeugenaussagen, die MSF auf Samos und Lesbos gesammelt hat, wurden insgesamt 183 Pushbacks gemeldet. Einige Menschen berichteten, zwischen 8 und 14 Mal zurückgepusht worden zu sein.
MSF pocht darauf, menschenrechtliche Standards an den Grenzen Europas wiederherzustellen und sicherzustellen, dass Menschen auf ihrer Flucht vor Konflikten und Verfolgung nicht weiter misshandelt werden.