Die „goldene Mauer“ von Addis Abeba: Misswirtschaft an deutscher Botschaftsschule
An der Schule der deutschen Botschaft in Äthiopien stieß ein Vater auf mutmaßlich verschwundene Gelder und unerklärlich hohe Baukosten. Seine Hinweise hatten Konsequenzen – seine Kinder können nicht mehr auf die Schule gehen.
Deutsche Auslandsschulen seien eine Visitenkarte Deutschlands, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einmal über die deutschen Auslandsschulen gesagt. „Sie teilen etwas mit über das moderne Deutschland, sicherlich auch über Werte, wie wir sie leben und pflegen.“
An den deutschen Auslandsschulen, zum Beispiel in Brüssel, Sydney und Kairo, findet der Unterricht überwiegend auf Deutsch statt und ihre Abschlüsse sind in Deutschland anerkannt. Doch folgt man der Geschichte von Fritz von Allmen, dann finden sich auf dieser Visitenkarte mitunter auch Vetternwirtschaft, verschwundene Gelder und ein schlechter Umgang mit Kritikern.
Der Geschäftsmann entspricht mit seiner Familie eigentlich genau dem Profil, das deutsche Auslandsschulen als Brückenbauer zwischen Kulturen anziehen wollen. Der Sohn eines Schweizers und einer äthiopischen Mutter besuchte einst selbst die deutsche Botschaftsschule in Addis Abeba. Seine Kinder jedoch gehen seit einigen Monaten in der Schweiz zur Schule, weil sie eben diese Schule nicht mehr besuchen dürfen. Von Allmen glaubt, weil seine Hinweise auf Misswirtschaft nicht mehr erwünscht waren. Der Fall wirft die Frage auf, wer die knapp 140 Auslandsschulen eigentlich beaufsichtigt – denn in diesem Fall zeigen alle Beteiligten auf jemand anders. Niemand scheint verantwortlich zu sein.
Auffällig hohe Kosten von Bauprojekten
Von 2015 bis zu seinem Rücktritt im Frühjahr 2020 war von Allmen zunächst Mitglied, dann Vorsitzender des Trägervereins der Botschaftsschule. Als Leiter eines Familienunternehmens wollte er vor allem seine wirtschaftliche Expertise einbringen. Und stieß schnell auf Bauprojekte, deren Kosten sehr hoch schienen. Besonders stutzig machte ihn eine von der Bundesregierung finanzierte Mauer, die die Schule vor Fluten schützen sollte.
Laut einer Projektvorlage soll sie 3,1 Millionen Euro gekostet haben. Von Allmen erinnert sich an Sitzungen, in denen die Schulverwaltung von 4,5 Millionen Euro gesprochen habe. Das sei ein Vielfaches dessen, was in Äthiopien an Baukosten für ein solches Projekt üblich ist. Die „goldene Mauer“ werde sie deswegen genannt.
„Es war ein Schock, weil die Kosten in keinem Verhältnis zu der ausgeführten Arbeit standen und zudem fast komplett vom deutschen Steuerzahler getragen wurden“, erinnert sich von Allmen. „Dieses Warnsignal war der Grund, dass ich zukünftige Entscheidungen, insbesondere mit finanziellen Auswirkungen auf die Schule, hinterfragte.“
Der Unternehmer stellte fest, dass die Schule Bauaufträge seiner Auffassung nach nicht ausreichend ausschrieb und besonders die Kosten für die Bauaufsicht sehr hoch lagen. Von Allmen regte erst einmal eine Prüfung der Bücher durch einen unabhängigen Buchprüfer an.
Deutsche Botschaftsschule erhält schlechtes Zeugnis von Wirtschaftsprüfern
Und die Berichte der Wirtschaftsprüfer für die Schuljahre 2016/17 und 2017/18, in die CORRECTIV Einblick hatte, stellten der Schule ein ziemlich miserables Zeugnis aus. Im Rahmen eines Bauprojekts flossen gut 130.000 Euro ohne Verwendungsnachweis. Insgesamt waren etwa 300.000 Euro, die die Schule in ihrer Bilanz auswies, gar nicht auffindbar. Das habe mit Abweichungen bei Wechselkursen zu tun, wurde den Buchprüfern damals beschieden. Auf Anfrage wiederholt die Schule lediglich diese Erklärung.
Überhaupt weist die Schule jegliche Verantwortung von sich. Bauvorhaben seien sehr wohl ausgeschrieben gewesen, sagt die Schule, und verweist auf Anzeigen in lokalen Zeitungen. Für den Bau der Mauer sei das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung zuständig gewesen. Über den Verbleib der von den Buchprüfern unauffindbaren Geldern sei der damalige Verwaltungsleiter der Schule um Aufklärung gebeten worden. Der habe die aber nicht geliefert.
Die Schulaufsicht über die deutschen Auslandsschulen führt die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, die Fragen von CORRECTIV unbeantwortet ließ. Die Behörde liegt im Verantwortungsbereich des Auswärtigen Amts.
Botschafterin verlangte Aufklärung
Das Ministerium sieht bei sich jedoch auch keine Verantwortung für das Handeln der Schule. So trage der Vorstand des Schulvereins die volle wirtschaftliche Verantwortung. Die Botschaft in Addis Abeba sitze den Vorstandssitzungen lediglich beratend bei. Anhaltspunkte für die missbräuchliche Verwendung von Steuergeldern lägen nicht vor. Für die „goldene Mauer“ sei das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung zuständig. Die Behörde begründet die Baukosten, die sie mit etwa 4 Millionen Euro beziffert, mit dem schwierigen Untergrund des Geländes. So habe sich während des Baus unter anderem herausgestellt, dass der Baugrund nicht ausreichend standfest war, wodurch zusätzlicher Beton vonnöten war.
Die deutsche Botschaft in Addis Abeba machte sich allerdings durchaus Sorgen um das Finanzgebaren der Schule. So bat die damalige deutsche Botschafterin in Addis Abeba die Schule im November 2018 um Aufklärung zu möglichen Mauscheleien zwischen der Schulverwaltung und einer Baufirma.
Der Vater und Geschäftsmann von Allmen schlug nach seinen ersten Erfahrungen im Schulvorstand jedenfalls Verbesserungen vor. Aufträge der Schule sollten ordentlich ausgeschrieben werden, die Kosten für Bauaufsicht gedeckelt und die Berufung von Führungspersonal durch den Schulverein zeitlich begrenzt sein, um Vetternwirtschaft zu vermeiden. Von Allmen erzählt, wie sich das Verhältnis zur Schulverwaltung anschließend verschlechterte.
Das besondere Konstrukt Auslandsschule
Deutsche Auslandsschulen sind ein besonderes Konstrukt, das sich nicht nur zwischen verschiedenen Kulturen, sondern auch Gesetzen bewegt. Sie betrachten sich als deutsche Einrichtung, müssen sich jedoch auch an die Gesetze des jeweiligen Gastlandes halten. Ihre Angelegenheiten sind mitunter in nur für sie abgeschlossenen, bilateralen Kulturabkommen geregelt.
Die Botschaftsschule in Addis Abeba hatte zuletzt offenbar Mühe, die vielen Untiefen zu navigieren, die mit dieser besonderen Stellung einhergehen. Ihre deutschen Mitarbeitenden werden teilweise in Euro bezahlt. Die Schule hat zudem Ausgaben für technische Ausstattung und Lehrmaterialien, die sie ebenfalls in Euro tätigen muss.
Das schien der Schule zunehmend Probleme zu bereiten, denn seit dem vergangenen Jahr sollte eine Kategorie von Schülern, die bislang in lokaler Währung zahlen durften, die Schulgebühren ebenfalls in Euro zahlen. In einem Brief vom Februar 2022 informierte der Schulvorstand darüber, dass das Defizit der Schule im Schuljahr 2021/22 750.000 Euro betragen habe und im folgenden Schuljahr mit einem Defizit von 500.000 Euro zu rechnen sei.
Botschafter: „den Schulfrieden wiederherstellen“
Die Botschaftsschule besuchen nicht nur die Kinder von Beschäftigten deutscher Einrichtungen wie die Botschaft oder der Entwicklungshilfeorganisation GIZ, sondern auch äthiopische Familien, die einen Bezug zu Deutschland oder zur deutschen Sprache haben – wie zum Beispiel die von Allmens. Doch äthiopische Familien dürfen wegen der sehr strengen Devisenregeln des Landes die lokale Währung nicht ohne weiteres in Euro umtauschen.
Der Streit um die Schulgebühren eskalierte, als sich einige Eltern direkt an äthiopische Behörden wandten. Durch den starken Verfall der äthiopischen Währung Birr, bedingt auch durch die schwere politische Krise des Landes, fiel es manchen Eltern schwer, die Schulgebühren in Euro zu zahlen.
Der deutsche Botschafter machte seine Haltung in einem Brief vom Juni 2021 deutlich: Lieber sollte die Schule zukünftig auf äthiopische Schüler verzichten, als dass die Schule ihren besonderen Status verliere. Der Botschafter gab der Schule Rückendeckung, Maßnahmen zu ergreifen, „den Schulfrieden wiederherzustellen“.
In diesem Sommer jedenfalls verließen zahlreiche Kinder die deutsche Botschaftsschule. Darunter auch die beiden Kinder von Fritz von Allmen. Als er sich schriftlich über die Gebührenumstellung beschwerte, erhielt er den Verweis.
Maulkorb für einen Kritiker
Er glaubt, dass der Verweis auch auf die Kritik zurückzuführen ist, die er in der Vergangenheit an der Verwaltung der Schule äußerte. Dafür spricht, dass die Schule ihm einen Maulkorb zur Bedingung für den Schulbesuch seiner Kinder anlegen wollte.
Als von Allmen sich bereits bereit erklärt hatte, die Schulgebühren in Euro zu bezahlen, sollte er noch unterzeichnen, dass er über Schulinterna nicht mehr mit Außenstehenden sprechen würde. Dann könnten seine Kinder auch weiter die Schule besuchen.
Die Schule wollte sich auf Anfrage zu den Gründen des Schulverweises aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern.
Fritz von Allmen ist wegen des Verweises jedenfalls umgezogen und leitet sein Familienunternehmen jetzt von der Schweiz aus. Er bedauert, dass die Zukunft der Botschaftsschule in Addis Abeba jetzt unklar ist. „Deutsche Schulen im Ausland sind Orte der Begegnung unterschiedlicher Kulturen und auch eine Verlängerung der deutschen Außenpolitik“, sagt er. „Dass die Schule ein Umfeld für finanzielle Misswirtschaft bot und Kontrollinstanzen immer wieder versagten, ist eine Schande.“
Aktualisierung vom 22.12.2022: Wir haben den Text nach Veröffentlichung noch mit Angaben des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung ergänzt.