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Iranischer Oppositioneller: Sturz des Regimes muss von innen kommen

Die Lage im Iran spitzt sich zu. Kurz vor einer großen Demonstration in Berlin trifft CORRECTIV einen iranischen Oppositionspolitiker. Er sagt: Die USA sollten sich nicht in den Konflikt einmischen – weil das die Pläne der Exil-Politiker durchkreuzen könnte.

von Justus von Daniels , Alexej Hock

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Der iranische Oppositionspolitiker und Regimegegner Kamran Dalir: So schwach war das Mullah-Regime im Iran noch nie. (Collage: Mohamed Anwar / CORRECTIV)

Im Iran eskaliert die Lage: Im Krieg mit Israel werden immer mehr zivile Infrastrukturen wie Krankenhäuser zum Ziel der gegnerischen Raketen. Politisch tobt ein Machtkampf um eine mögliche Nachfolge des greisen Revolutionsführers Ajatollah Ali Chamenei. Und immer noch trotzt die Widerstandsbewegung dem Regime: Frauen, junge Menschen, ethnische Minderheiten auf den Straßen – sie alle fordern seit Monaten mehr Freiheit, trotz brutaler Repression. 

Die USA fordern den Iran jetzt auf, im Krieg gegen Israel zu kapitulieren – Beobachter tippen mittlerweile darauf, dass das US-Militär sich einmischen könnte. Wie zu erwarten, wies Chamenei den Vorstoß zurück und sendete aus seinem Versteck Drohungen

Widerspruch gegen eine Einmischung der USA kommt jetzt auch von der Opposition. CORRECTIV traf den iranischen Politiker und Regimekritiker Kamran Dalir vom National Council of Resistance of Iran (NCRI) kurz vor einer geplanten Demonstration der Widerstandsbewegung in Berlin zum Gespräch. Auch seine Bewegung steht seit Jahren in der Kritik. 

Dalir ist im Außenpolitik-Komitee des NCRI. Er versichert: Seine Bewegung hat einen konkreten Plan. Seine Organisation beansprucht eine Führungsrolle bei einem Übergang nach einem möglichen Sturz des Regimes. Eine Einmischung der USA könne der Sache der Bewegung schaden.

CORRECTIV: Gerade ist das Regime im Iran so schwach wie nie. Wie könnte es zu einem Regime-Sturz kommen?

Kamran Dalir: Der iranische Widerstand ist im Iran sehr gut organisiert. Tausende von Widerstandseinheiten sind über das ganze Land verteilt. (…) Diese Menschen bringen Transparente an, schreiben Graffiti, verteilen Flugblätter, informieren die Öffentlichkeit darüber, wie man Widerstand leistet, wie man sich gegen das Regime erhebt. Sie haben Pläne. Sie warten auf einen Funken, etwas, das einen großen Aufstand auslöst.

Hinsichtlich einer weiteren militärischen Eskalation verweist Dalir im Gespräch auf seine Chefin Maryam Rajavi, die Präsidentin des NCRI, die kürzlich im Europa-Parlament eine Rede hielt. Sie poche auf den Sturz des Regimes durch das iranische Volk und seinen eigenen Widerstand. 

CORRECTIV: Gefährden die Angriffe Israels und ein mögliches Eingreifen der USA einen Regimewechsel nach Ihren Vorstellungen?

Kamran Dalir: Krieg bringt uns nicht dorthin, wo wir hinwollen. Die einzige Lösung wäre der Sturz des Regimes mit Hilfe des iranischen Volkes und des Widerstands. Jeder andere Weg führt nicht zu einer Lösung, mit der alle zufrieden sind. Das iranische Volk will Freiheit und Demokratie. Es will Pluralismus, Säkularismus und Glechbereichtigung der Geschlechter. 

Das iranische Regime steht unter wachsendem Druck. Nach dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi tobt ein Machtkampf hinter den Kulissen, während der alternde Revolutionsführer Ali Chamenei zunehmend angeschlagen wirkt. Die Revolutionsgarden (IRGC) dominieren nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern führen auch regional Kriege – zuletzt unter massivem Beschuss durch israelische Luftangriffe. Gleichzeitig sinkt die Legitimität des Regimes im Inneren: Wahlen gelten als kontrolliert, die Beteiligung ist niedrig, die Gesellschaft tief frustriert.

Die iranische Opposition ist gespalten. Zwar kommt es seit Monaten immer wieder zu landesweiten Streiks und Protesten – getragen von Arbeitern, Frauen und Studierenden –, doch eine einheitliche Führung fehlt. Exilgruppen wie der NCRI sind umstritten: Die Bewegung wird vom MEK dominiert, die wegen früherer Gewaltaktionen, rigider interner Strukturen und Nähe zu westlichen Hardlinern in der Kritik stand. Dennoch erhebt das NCRI für sich einen Führungsanspruch in einer möglichen Übergangsphase.

CORRECTIV: Wenn das Regime fallen sollte, was wären Ihre nächsten Schritte?

Karman Dalir: Die Widerstandseinheiten werden lokale Räte bilden. Sie werden alle Zentren der Unterdrückung durch das Regime einnehmen. Sie werden die politischen Gefangenen freilassen. Und wenn es ihnen gelingt, das Regime zu stürzen, wird der NCRI für die Dauer von sechs Monaten die Macht übernehmen.

CORRECTIV: Was sieht der Plan weiter vor?

Kamran Dalir: Der NCRI würde nur sechs Monate an der Macht bleiben. Die Hauptaufgabe wäre, eine verfassungsgebende und gesetzgebende Versammlung zu bilden. Auf Grundlage internationaler Standards und unter Aufsicht der Vereinten Nationen sollen direkte und verdeckte Abstimmungen abgehalten werden, so dass das iranische Volk zum ersten Mal seine Volksvertreter wählen kann. Die Versammlung hätte dann den Auftrag zu entscheiden, welche Regierung und Verfassung das iranische Volk möchte.

Der iranische Oppositionspolitiker Kamran Dalir am 20. Juni 2025 im Gespräch mit CORRECTIV in Berlin. (Foto: Alexej Hock / CORRECTIV)

Eine prominente Figur in der iranischen Exilopposition ist Reza Pahlavi, Sohn des letzten Schahs des Iran, der ​​1979 nach jahrzehntelanger autoritärer Herrschaft infolge der Islamischen Revolution gestürzt worden war. Pahlavi fordert aktuell einen landesweiten Aufstand gegen die islamische Republik und kündigt Übergangspläne für eine säkulare Demokratie nach dem Sturz an. Seine Unterstützung im Inland ist allerdings ungewiss – Kritiker wie Dalir halten ihn im Iran für zu wenig verankert.

CORRECTIV: Es gibt keine geeinte Opposition. Wenn das Regime jetzt fallen würde, was wäre ein realistisches Szenario, wie es weitergeht?

Kamran Dalir: Wenn wir von anderen Oppositionskräften sprechen, dann müssen wir genau hinschauen, ob diese bestimmte Kriterien erfüllen. Eine Opposition oder eine alternative Kraft muss eine Unterstützerbasis im Iran haben. Da geht es nicht um Gruppen, die hauptsächlich außerhalb des Iran aktiv sind. Die für sich in Anspruch nehmen, Opposition zu sein, aber in Wahrheit keine Unterstützung im Land genießen. Ein Beispiel ist der Sohn des Schah, der vorgibt, ein Oppositionsführer zu sein.

CORRECTIV: Nach Ihrer Einschätzung hat Reza Pahlavi keinen Rückhalt in der iranischen Gesellschaft?

Kamran Dalir: Wir haben den Punkt überschritten, an dem das iranische Volk sich wieder einer Diktatur der Pahlavis – oder einer ähnlichen Herrschaft von Nachkommen dieser Dynastie – zuwenden würde. Die Iraner wollen Freiheit und Demokratie.  

Dalirs Aussagen zeigen auch, wie wenig geeint die iranische Opposition derzeit ist. Zwischen Shah-treuen Gruppen, säkularen Demokraten, kurdischen Aktivisten und Exilbewegungen wie dem Nationalen Widerstandsrat (NCRI) fehlt eine gemeinsame Linie. Ob seine Bewegung bei einem möglichen Zerfall des Regimes genügend Rückendeckung der Bevölkerung erhält, bleibt ungewiss.