Julian Hessenthaler: Der Mann hinter dem Video der Ibiza-Affäre

Ibiza-Affäre
Einer muss zahlen
Das Ibiza-Video führte zu einem der größten Polit-Skandale Europas. Mit Julian Hessenthaler saß ausgerechnet der Macher des Videos im Gefängnis. Jetzt ist er frei und äußert sich gegenüber CORRECTIV erstmals nach der Freilassung. Seine Geschichte und neue Dokumente dürften Österreich wieder beschäftigen.

17. April 2023

Der Macher des Ibiza-Videos Julian Hessenthaler spricht nach zweieinhalb Jahren Gefängnis exklusiv mit CORRECTIV über das Entstehen des Videos und über seine Haft in Österreich. Interne Dokumente zeigen zudem weitere Zweifel an dem Strafprozess gegen ihn.

Im ersten Interview nach seiner Freilassung äußert sich Julian Hessenthaler über die Entstehung des Ibiza-Videos und wirft der österreichischen Justiz vor, ihn zu Unrecht verurteilt zu haben. Er zieht nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR). Sein Anwalt legte dort Beschwerde ein.

„Von maßgebenden Beamten des österreichischen Innen- und Justizministeriums“ sowie des Bundeskriminalamts sei versucht worden, „vor und nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos“ Hessenthaler „durch eine strafrechtliche Verfolgung von Drogendelikten „mundtot“ zu machen“, heißt es in der Beschwerde, die CORRECTIV vorliegt.

Interne Dokumente aus dem Prozess, die CORRECTIV nun einsehen konnte, bestärken die Zweifel an dem Verfahren gegen Hessenthaler. Unter anderem geht aus einem Schreiben der Justizanstalt hervor, dass die Staatsanwaltschaft selbst die Anwaltspost mitlesen konnte. Sie sollte „erst nach erfolgter Zensur an den Insassen“ übergeben werden. 

Bekannt geworden war Hessenthaler als Urheber des sogenannten Ibiza-Videos, das 2019 einen der größten politischen Skandale Europas auslöste. Auf der Ferieninsel Ibiza hatte Hessenthaler ein Treffen von zwei FPÖ-Parteigrößen mit einer angeblichen Oligarchennichte organisiert und heimlich gefilmt. Der Film zeigte Heinz-Christian Strache, den damaligen Chef der rechtspopulistischen FPÖ und späteren Vizekanzler Österreichs, im Gespräch über mögliche Korruption.

Strache und sein Vertrauter Johann Gudenus, damals ebenfalls FPÖ-Politiker, besprachen Wege der illegalen Parteienfinanzierung und den Einsatz von Staatsaufträgen im Austausch für Wahlkampfunterstützung. Konkret: den Kauf der auflagenstarken Kronen Zeitung als potenzielles Werbeblatt für die Partei im Gegenzug für staatliche Aufträge. Die Veröffentlichung des Videos zwei Jahre nach der Aufnahme führte zur Regierungskrise unter dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz. 

Nun spricht Hessenthaler erstmals öffentlich nach seiner Freilassung in einem Video-Interview mit CORRECTIV über die folgenschwere Video-Aufnahme und nennt bisher unbekannte Details.

Ursprung der Ibiza-Affäre: Eine erste Undercover-Falle geht schief

Die Idee für das Ibiza-Video entstand bei einem Restaurantbesuch. Folgt man Hessenthalers Erinnerungen, saßen er und ein befreundeter Anwalt im Jahr 2016 in einem Wiener Gasthaus. Der Anwalt verknüpfte Hessenthaler mit dem Fall Strache: Der Jurist vertrat damals einen an Krebs erkrankten Bodyguard des FPÖ-Chefs Strache, den dieser entlassen hatte. Von dem Bodyguard bekam der Anwalt belastende Dokumente und Fotos und suchte nun nach mehr Material gegen Strache.

Hessenthaler ist Detektiv, Intelligence Analyst, sagt er. Mit seiner Firma führte er damals Rechercheoperationen für private Unternehmen und staatliche Behörden aus –  es ging um organisierte Kriminalität, um Zigarettenschmuggel. Er galt als talentierter Tippgeber. 

Die Idee des Anwalts: Der Detektiv Hessenthaler sollte Strache und seinem Umfeld eine Falle stellen, um den belastenden Dokumenten des Bodyguards mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Hessenthaler erinnert sich, gesagt zu haben: „Wenn du das ernst meinst, musst du halt Geld hinlegen.“ Und der Anwalt zahlt. Laut Hessenthaler investierte er für den ersten Coup rund 30.000 Euro. Der Anwalt bestätigt das grundsätzlich. Gegenüber CORRECTIV sagte er, dass er sich „nicht genau erinnern kann, ob es 30.000 oder 40.000 Euro waren.“

Die erste Falle war schnell gestellt: Hessenthaler hatte einen Zugang zu Johann Gudenus, dem damaligen Vizebürgermeister von Wien und engen Parteifreund von Strache. Eine angebliche russische Oligarchennichte war im Grandhotel bereit, Gudenus Grundstücke für einen überhöhten Preis abzukaufen. Alles war pompös inszeniert, allerdings hatte der Detektiv Hessenthaler in den versteckten Kameras die Speicherkarten vergessen.

Das Ibiza-Video soll in nur 48 Stunden umgesetzt worden sein

Der Anwalt und Hessenthaler wollen die Video-Falle wiederholen. „Wenn wir es einmal schaffen, schaffen wir es auch ein zweites Mal“, so Hessenthaler im Interview mit CORRECTIV. Der neue Drehort ist die Mittelmeerinsel Ibiza. 

Hessenthaler erinnert sich, dass es schnell gehen sollte: „Jetzt ist der Moment, wo niemand so viel nachdenken darf“, sagt Hessenthaler im Interview. Denn sonst hätte die Gefahr bestanden, dass die Tarnung aufgeflogen wäre. Strache und Gudenus hätten nur anfangen müssen, „Checks“ durchzuführen, sagt der Detektiv. „Unsere Legende ist nicht dicht genug, um dem standzuhalten.“

Zeit und Geld seien knapp gewesen. „Ibiza war Planung bis Ausführung 48 Stunden“, so Hessenthaler im Interview. Sie hätten die Finca buchen, Flugtickets besorgen, eine Limousine auftreiben und das Kameraequipment beschaffen müssen. 

So treffen Gudenus und Strache erneut auf die vorgebliche Oligarchennichte. Die Einsätze werden höher als im ersten Gespräch. Gudenus will sie sogar überreden, die in Österreich einflussreiche Kronen Zeitung zu kaufen. Diesmal klappt die Aufnahme. 

Zwei Jahre bleiben die Aufnahmen verborgen. 

Im Mai 2019 veröffentlichten die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel die Ibiza-Geschichte. Hessenthaler hatte sich zuvor mit den deutschen Medien in Verbindung gesetzt und ihnen das Material zugespielt.

Die Veröffentlichung führte zu einem politischen Beben. Und die Jagd auf den Detektiv begann. In Wien wird eine Sonderkommission, die Soko „Tape“, gegründet. Allerdings wird schnell klar, dass Hessenthaler sich nicht wegen des Videos strafbar gemacht hat.

Wenige Monate nach der Ausstrahlung des Ibiza-Videos verhaftet die Polizei ein Paar und findet bei der Hausdurchsuchung Kokain. Beide sollten später zu den Hauptbelastungszeugen im Verfahren gegen Hessenthaler werden. Die Fahndung läuft nun gegen Hessenthaler, der wegen Drogenhandel verdächtigt wurde. Er wurde in Berlin verhaftet, nach Österreich ausgeliefert und verurteilt. Hessenthaler beteuert im Interview mit CORRECTIV seine Unschuld.

Fragwürdige Urteilsbegründung: Kaum Dokumente und fragwürdige Zeugenaussagen

Der Belastungszeuge Slaven K. war ein Mitarbeiter von Hessenthaler, er war aber offenbar auch eine Vertrauensperson des österreichischen Bundeskriminalamtes. Und er hat Geld bekommen haben, um Informationen über Hessenthaler zu sammeln. Hessenthaler sagt zudem, er habe Slaven K. mehrmals an einem bayerischen Rückzugsort getroffen, da er hoffte, dieser könne den Behörden in Wien Informationen über das Ibiza-Video übermitteln. Belege zu dem Besuch sind nicht bekannt. K.s Anwalt schreibt auf Anfrage, sein Mandant wolle sich in dieser Angelegenheit nicht mehr äußern.

Doch der Plan ging nicht auf. Die Aussagen des Zeugen brachten Hessenthaler ins Gefängnis und ließen den Macher des Ibiza-Videos als Drogendealer erscheinen. 

CORRECTIV liegen interne Dokumente vor, die die Zweifel an dem Gerichtsverfahren stärken. Unter anderem sind Vernehmungsprotokolle und die Urteilsbegründung widersprüchlich.

Ein Beispiel: Die Freundin von Slaven K., die die zweite Zeugin in dem Verfahren gegen Hessenthaler war, gab bei der Vernehmung an, wie rüde sie mit Hessenthaler umgegangen sei. In dem vorliegenden Vernehmungsprotokoll sagt die Frau, sie habe Hessenthaler „in den Schwitzkasten genommen“. Und weiter: „Julian hat gezappelt“. Erst als Hessenthaler einen „bordeauxroten Kopf“ hatte, habe sie ihn losgelassen, heißt es im CORRECTIV vorliegenden Vernehmungsprotokoll.

Der Richter drehte die Szene im Urteil dann nochmal weiter: Nicht die Frau habe Julian Hessenthaler in den Schwitzkasten genommen, sondern Hessenthaler habe „sie gewarnt und dabei in den Schwitzkasten genommen“, heißt es in der vorliegenden Urteilsbegründung. Die Vernehmungsprotokolle und die Urteilsbegründung sind widersprüchlich. Der Richter habe die „Zweifel an der Beweislage“ im Verfahren nicht berücksichtigt, heißt es in der Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Anfang April ist Hessenthaler aus dem Gefängnis entlassen worden. 

Hessenthaler hat mit dem Ibiza-Video den wohl schillerndsten Politskandal in Europa ausgelöst. Die Affäre führte zum Sturz der österreichischen Regierung. Eine ausführliche Fassung der Aussagen von dem Macher des Ibiza-Videos finden Sie exklusiv bei CORRECTIV im ausführlichen Interview.

Die schwere Stahltür der Justizanstalt St. Pölten öffnet sich einen Spalt. Der Mann, der heraustritt, hat vor Jahren leise eine Falle gestellt, die zugeschnappt ist und damit eine politische Explosion ausgelöst hat, die bis heute nachhallt.

Der Mann, das ist Julian Hessenthaler, der Produzent des Ibiza-Videos. Mit versteckter Kamera hat Hessenthaler 2019 der Welt gezeigt, dass FPÖ-Spitzenpolitiker bereit waren, einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte Staatsaufträge zuzuschanzen, um politischen Einfluss zu erlangen. Die unscharfen Bilder der Wohnzimmer-Runde mit viel Alkohol auf dem Tisch, die großspurigen Versprechen an dem Abend gingen weltweit durch die Medien.

Wie durch ein Schlüsselloch konnten alle sehen, wie korrumpierbar sich die Politiker zeigten. Das Video hat die österreichische Regierungskoalition zu Fall gebracht, große Proteste ausgelöst und die Politik zu Gesetzesreformen gezwungen. Und er selbst landete im Gefängnis, zu Unrecht verurteilt, wie er sagt.

Es ist ein Montag, der 16. Januar 2023, acht Uhr morgens, als er aus der Tür der Haftanstalt tritt. Ein erlaubter Freigang, drei Monate vor seiner endgültigen Entlassung nach über zwei Jahren aus dem Gefängnis. Vor ihm liegt eine ruhige Seitenstraße, Hessenthaler zögert nicht. Er geht los, so als habe er nun keine Minute mehr zu verlieren. Er ist zu einem ersten Gespräch mit CORRECTIV verabredet. Sein Anliegen: Er möchte das womöglich letzte Kapitel der Ibiza-Affäre, die inzwischen verfilmt und vielfach dokumentiert ist, selbst schreiben.

Kurze Zeit später wird er sein erstes Interview nach der Haft geben und bei CORRECTIV ausführlich darüber sprechen, wie es zu der Idee der Falle für die FPÖ-Politiker kam; wie der Dreh damals abgelaufen ist; aber auch, was er danach erlebt hat: Verhaftet wegen Drogenhandels, verurteilt aufgrund von fragwürdigen Zeugenaussagen. Und wie er sich nun wehren will.

»Ich habe das Ibiza-Video gemacht«

Auszug aus dem Hessenthaler-Interview
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Julian Hessenthaler ist bis heute eine historische Figur, die kaum jemand kennt.

Wie Hessenthaler es selbst sieht, war der Gerichtsprozess ein Komplott mit Signalwirkung: „Es liefert eine Blaupause, wie man einen politisch unbeliebten Akteur ausschaltet – indem man ihn einfach strafrechtlicher Vergehen beschuldigt.“

Tatsächlich wurde der Prozess heftig kritisiert und wirft bis heute unangenehme Fragen auf, die weit über den Fall Hessenthaler hinausgehen: Was, wenn sich Korruption und schmutzige Deals nur mit riskanten Manövern aufdecken lassen? Und wie gehen Justiz und Politik mit Menschen um, die Missstände ans Tageslicht bringen?

CORRECTIV liegen interne Dokumente vor, die die Zweifel an dem Ablauf des Strafverfahrens stärken. Sie zeigen, welches Risiko Einzelne eingehen, wenn sie strukturellen Machtmissbrauch an die Öffentlichkeit bringen.

Julian Hessenthalers Anwalt auf deutscher Seite hat nun im Februar beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen die Verurteilung eingereicht. Er sieht einen „(partei)politischen Hintergrund des Falls“. Unter anderem wirft er dem Richter vor, die „Zweifel an der Beweislage“ im Verfahren nicht berücksichtigt zu haben und beschreibt die mangelnde Glaubwürdigkeit von zwei Belastungszeugen.

Die Korruption

Ibiza-Affäre in Österreich: Das Video von Julian Hessenthaler führte zum Sturz der Regierung

Während Journalisten für die Veröffentlichung seines Videos Preise gewannen, ist damals einer im Knast gelandet: Er, der mit heimlichen Aufnahmen die Bereitschaft von FPÖ-Politikern zur Korruption belegte. Verurteilt wurde er jedoch nicht wegen der Aufnahmen, die jahrelang auf Bildschirmen in aller Welt flimmerten. Der Grund war ein ganz anderer. Hessenthaler, je nach Standpunkt Held oder Schurke, kam ins Gefängnis wegen einer vom Video angeblich völlig unabhängigen Straftat: Drogenhandel mit Kokain.

Zu einem Verbrechen, auch zum Drogenhandel, gehören jedoch gewöhnlich eine Tatzeit und ein Tatort. Beide sind im Urteil unklar, immer im Ungefähren, basierend auf Zeugenaussagen, die sich zum großen Teil widersprechen oder im Urteil sogar verdreht wurden. Massive Zweifel an dem Prozess wurden schon während des Verfahrens geäußert.

Wäre ein solches Urteil in einem autokratischen Regime gefallen, wäre die Kommentierung wahrscheinlich klar: Es sollte ein Fall konstruiert werden, um einen missliebigen Menschen wegzusperren. Ist das aber auch in Österreich möglich?

Das Ibiza-Video ist ein Zeitdokument österreichischer Korruption, das die Republik erschüttert hat. Hessenthaler zeigt mit den heimlichen Aufnahmen, wie Heinz-Christian Strache, Chef der rechtspopulistischen FPÖ, die Demokratie in seinem Heimatland feilbieten wollte. Dabei war auch sein enger Vertrauter Johann Gudenus, damals ebenfalls FPÖ-Politiker. Sie ließen sich von einer angeblichen Oligarchennichte einwickeln, die Geld für Einfluss auf die Politik bot. Bis Redaktionsschluss hat Gudenus auf Anfrage von CORRECTIV nicht reagiert.

Sie besprechen illegale Parteienfinanzierung und den Einsatz von Staatsaufträgen im Austausch für Wahlkampfunterstützung. Konkret: den Kauf der auflagenstarken Kronen Zeitung als potenzielles Werbeblatt für die Partei im Gegenzug für staatliche Aufträge. Das Video ließ, als es zwei Jahre später publik wurde, die konservativ-rechtsradikale Regierung binnen kürzester Zeit kollabieren. Zu offensichtlich wurde damit, wie einer der wichtigsten Politiker des Landes wirklich dachte – wenn er sich unbeobachtet wähnte.

Die Kränkung

Wie die Ibiza-Affäre mit Heinz-Christian Strache begann

Was in Deutschland weniger hängen blieb: Es gab vorher eine weitere Affäre, auch hier war Hessenthaler an der Aufdeckung beteiligt. Mehr noch: Die Dokumente dazu sollten der Anlass sein, warum Hessenthaler später das Ibiza-Video drehte.

Diese Geschichte begann im Jahr 2016, für Heinz-Christian Strache läuft es bestens: Der FPÖ-Chef wird immer erfolgreicher. Laut Umfragen liegt seine Partei zwischenzeitlich bei 35 Prozent und wäre damit stärkste Kraft im Parlament. Strache wird von vielen als Held verehrt.

Einer wird allerdings von Strache enttäuscht und er wird sich wehren. Als sein Bodyguard Krebs bekommt, will Strache ihn auswechseln. Für ihn, den loyalen Mitarbeiter, ist das neben der Krankheit der zweite schwere Schlag. Bis Redaktionsschluss hat der Bodyguard auf Anfrage nicht reagiert.

Der Bodyguard beginnt, Spesenabrechnungen zu sammeln, die zeigen sollen, wie sein Chef sich in der eigenen FPÖ-Parteikasse bedient. Wie wir heute aus den Unterlagen der Staatsanwaltschaft wissen, wurden unter anderem Ausgaben für ein Handyspiel namens Clash of Clans dokumentiert, für teure Uhren und für Strafzettel.

Dokumentiert sind aber auch Fotos von Geldtaschen in Straches Kofferraum, die – erst Jahre später – erstmals im Spiegel veröffentlicht wurden. Es soll von drei ukrainischen Investoren stammen, die einem befreundeten Unternehmer bei der FPÖ offenbar ein Mandat für das österreichische Parlament kaufen wollten. Auch dokumentiert ist, dass Strache diesen Unternehmer drei Tage später als Kandidaten der nächsten Nationalratswahl vorstellt. Und wie das Magazin Profil schreibt, war der Verkauf von Wahllistenplätzen in Österreich legal.

Erst im Januar 2023 kündigt die Regierung ein neues Antikorruptionsgesetz an, bekannt als „Lex Ibiza“. Es soll den Verkauf von Parlamentssitzen beschränken. Strache selbst beteuert, er habe alles zurückgezahlt, was die FPÖ ihm für Privates ausgelegt habe. Strache hat auf die Anfrage von CORRECTIV nicht reagiert.

Der Plan

Am Tag vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos: Julian Hessenthaler schreibt Brief an Bundespräsidenten Alexander van der Bellen

Zurück ins Jahr 2016. Folgt man Hessenthalers Erinnerungen, entstand in diesem Jahr die Idee für das Ibiza-Video. Er und ein befreundeter Anwalt sitzen in einem Wiener Gasthaus, vor ihnen ein Grey Goose Vodka auf Eis. Dieser Anwalt verknüpft Hessenthaler mit dem Fall Strache: Der Jurist vertritt zu diesem Zeitpunkt auch den an Krebs erkrankten, verprellten Bodyguard, und hat die vielen belastenden Dokumente und Fotos in seinem Aktenschrank. Und er redet auf Hessenthaler ein, ob der nicht noch eins drauflegen wolle.

Julian Hessenthaler ist Detektiv, „Intelligence Analyst“, nennt er es selbst. Mit seiner Firma führt er damals Rechercheoperationen für Firmen und staatliche Behörden aus. Es geht um organisierte Kriminalität, um Zigarettenschmuggel. Er bewegt sich in Milieus, in denen niemand sein will. Gräbt sich tief in kriminelle Schmuggelringe und gilt als talentierter Tippgeber. Ob er da nicht was machen könne, fragt der Anwalt.

Es sind zwei Männer im Zigarettenrauch, die die Grenzen ihrer Macht ausloten.

Und Hessenthaler erinnert sich, gesagt zu haben: „Wenn du das ernst meinst, musst du halt Geld hinlegen.“ Der Anwalt tat es. Laut Hessenthaler investierte er für den ersten Coup rund 30.000 Euro. Der Anwalt bestätigt das im Allgemeinen, sagt CORRECTIV gegenüber, dass er sich „nicht genau erinnern kann, ob es 30.000 oder 40.000 Euro waren.“

Mit dem Geld organisiert der Detektiv einen Schauplatz, in dem Gudenus, der Vertraute von Strache und damalige Vizebürgermeister von Wien, zu korrupten Geschäften eingeladen wird. Als Lockmittel dient die angeblichen Oligarchennichte, die viel Geld in Landbesitz investieren wolle. Gudenus freut sich, denn laut Hessenthaler will die Nichte zwölf Millionen Euro für Ländereien zahlen, die seiner Familie gehörten und deutlich weniger wert gewesen seien. Das klingt nach einem lukrativen Geschäft. Was Gudenus nicht weiß: Sie ist keine Oligarchennichte, sondern eine Frau, die Hessenthaler einen Gefallen schuldet.

Was Hessenthaler zum selben Zeitpunkt nicht weiß: In den Kameras, die er im eigens angemieteten Saal des Wiener Grand Hotel versteckt hat, fehlen die SD-Karten. Rund 30.000 Euro, vom Anwalt ausgegeben für das Sicherheitspersonal der vermeintlichen Nichte, für die gemietete Maybach-Luxuslimousine, alles umsonst.

»Ich habe die Kameras nicht bestückt mit SD-Karten«

Auszug aus dem Hessenthaler-Interview
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Jetzt ist es Hessenthaler, der dem Anwalt einen Gefallen schuldet. Und dann fällt der entscheidende Satz, der den nächsten Stein ins Rollen bringt: „Wenn wir es einmal schaffen, schaffen wir es auch noch ein zweites Mal“, soll Hessenthaler zum Anwalt gesagt haben. Er sollte recht behalten. Vermutlich mehr, als ihm bewusst war.

Die Schuldvermutung

Inzwischen ist die Ibiza-Affäre Geschichte. Hessenthaler hat zweieinhalb Jahre im Gefängnis hinter sich, nun macht er sich bereit für seinen nächsten Kampf: Er will sich wehren, gegen seine Verurteilung und den Apparat, der ihn wegsperren ließ. Aber zuerst muss er ein Konto eröffnen. Ohne Konto keine Arbeit. Laut eigener Aussage ist er mit rund 400.000 Euro Schulden de facto insolvent.

„Ich weiß für mich, dass ich unschuldig bin“, sagt er. „Und dementsprechend ist es natürlich schwer zu ertragen, dass mir Jahre meines Lebens genommen wurden.“ Der Prozess habe sein Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert, sagt auch Hessenthalers Anwalt Oliver Scherbaum. Bis zum Ende des Prozesses hatte er auf Freispruch plädiert.

Aber dass der Prozess in Österreich grundsätzliche Fragen aufwirft, sagt nicht nur der Beschuldigte, das schreibt auch der renommierte Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Das sagt der investigative Journalist Florian Klenk, Chefredakteur des renommierten österreichischen Magazins Falter. Und in der Wiener Zeitung sagt der ehemalige UN-Sonderbeauftragte Manfred Nowak: Die „verbotenen Aufnahmen in Spanien hätten nie zu einem europäischen Haftbefehl geführt. Das heißt, man brauchte größere, schwere Tatvorwürfe.“ Wurden bei diesem so politischen Fall Hessenthaler Anschuldigungen konstruiert?

Brief an den Bundespräsidenten

Der Brief, den Hessenthaler vor der Veröffentlichung des Videos an Bundespräsident van der Bellen schrieb, um sich und seine Familie zu schützen.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

ich habe mich im Jahre 2017 in ein heikles Medienprojekt eingebracht. Dabei ging es darum, die Korruptionsanfälligkeit der FPÖ bzw. deren Führung offen zu legen.

Dies ist auch gelungen, jedoch in einem Ausmaß, mit dem keiner gerechnet hat.

Ich bin nun in Sorge, dass ich mit nicht rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werde. Da die FPÖ den Sicherheitsapparat kontrolliert, ist sie faktisch in der Lage, mir alles mögliche zu unterstellen, Tathandlungen zu konstruieren, die ein vermeintlich strafrechtlich relevantes Vorgehen meinerseits fingieren sollen, oder mir und meinem Umfeld Probleme zu bereiten. Zumal ich kein unbeschriebenes Blatt bin.

Mir ist und war das Risiko zwar bis zu einem gewissen Grade bewusst, habe aber nicht mit einer derartigen politischen Änderung gerechnet.

Ich rechne mit Blick auf die Medienberichterstattungen am 18.05.2019 mit Repressalien (unverhohlene Drohungen der Verletzung der eigenen körperlichen Unversehrtheit) gegen mich, meine Familie und all jene Personen, die wissentlich oder unwissentlich an der Sache mitgearbeitet haben.

Dieses Schreiben bezweckt die Dokumentierung einer drohenden Prognose. Ich will damit mein Umfeld und mich, soweit das überhaupt noch möglich ist, schützen.

Hochachtungsvoll

Julian Hessenthaler

Bereits einige Wochen vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos am 17. Mai 2019 soll das Innenministerium jemanden geschickt haben, der Hessenthaler warnte. So stellen es Hessenthaler und sein Anwalt in einer schriftlichen Aussage dar. Der Mann habe gesagt: Sollte das Video veröffentlicht werden, gebe es genug „Freizeitpolizisten“ in Österreich, die ihm drei Kilogramm Kokain in den Kofferraum legen würden. Diese Drohung soll in Wien heimlich aufgezeichnet worden sein. CORRECTIV hat die Aufnahmen nicht gesehen. Hessenthalers Anwalt zitiert daraus in der Beschwerde beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

Wenige Tage nachdem die Ibiza-Bombe geplatzt war, richtete das Bundeskriminalamt die Sonderkommission „Tape“ in seiner Abteilung 3.1. ein. Diese ist zuständig für illegales Glücksspiel – was bemerkenswert ist, weil der größte Glücksspielkonzern Novomatic selbst in dem Ibiza-Video ausdrücklich genannt wird: In dem Video geht Strache selbst auf den Konzern als Quelle verdeckter Parteispenden ein. Wörtlich sagt er: „Novomatic zahlt alle“. Novomatic hat dies später bestritten. Strache sagte unter Eid aus, dass er es nicht so gemeint habe.

»Novomatic zahlt Alle!«

Auszug aus dem Hessenthaler-Interview
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Die Loyalität

Auffällig ist auch, dass nur drei Beamte für die Aufarbeitung der Korruptionshinweise gegen Strache abgestellt wurden – und 20 für das Auffinden des Aufdeckers.

Dokumentiert sind eine ganze Reihe von Details aus dem Verfahren, die Zweifel aufwerfen: Dazu gehört, dass einer der Drogenfahnder bei der Soko ein glühender Fan von Heinz-Christian Strache war. Er schrieb ihm am Tag des Rücktritts

wie es in den Ermittlungsakten heißt. Der Soko-Leiter wusste von der Nachricht und sagte später über den Mitarbeiter: „Das war unser bester Mann.“

Es gibt weitere Widersprüche, die sich nicht auflösen lassen: Dazu gehören die Aussagen der beiden Hauptbelastungs-Zeugen in dem Verfahren gegen Hessenthaler. Sie wurden sechs Monate, nachdem Hessenthaler dem österreichischen Bundespräsidenten seinen Namen als Regisseur des Ibiza-Videos offenbart hatte, verhaftet. Beide waren ein Paar.

Die eine Zeugin, geboren 1986 in der Slowakei, steckte selbst in Schwierigkeiten: Bei einer Hausdurchsuchung wurden bei ihr mehr als 136 Gramm Kokain gefunden. Bei der Polizei soll sie detailliert gegen Hessenthaler ausgesagt haben, so zumindest geht es aus dem Vernehmungsprotokoll hervor. Dort gibt sie angeblich an, wie rüde sie mit Hessenthaler umgegangen sei. Sie habe den Detektiv „in den Schwitzkasten genommen“. Und weiter: „Julian hat gezappelt“. Erst als Hessenthaler einen „bordeauxroten Kopf“ gehabt habe, habe sie ihn losgelassen, heißt es im CORRECTIV vorliegenden Vernehmungsprotokoll.

Einen Monat später wird die Beklagte erneut befragt, und ihre Geschichte klingt jetzt anders. Sie sagt zwar erneut, dass sie es war, die Hessenthaler in den Schwitzkasten genommen habe, aber dann soll sich die Lage gedreht haben. Danach habe Hessenthaler sie mit einer Pistole bedroht und sogar abgedrückt, aber die Pistole sei nicht geladen gewesen.

Vor Gericht zeigte sich dann, dass die Frau unzulänglich Deutsch spricht. Und, dass bei der Polizei kein Übersetzer anwesend war. Es stellt sich also die Frage, wie die detaillierten Aussagen in den Protokollen zustande kamen.

Der Richter drehte die Szene im Urteil noch weiter: Nicht die Frau habe Julian Hessenthaler in den Schwitzkasten genommen, sondern er habe sie erst mit einer ungeladenen Pistole bedroht, und danach habe „Hessenthaler sie gewarnt und dabei in den Schwitzkasten genommen“, heißt es in der vorliegenden Urteilsbegründung. Die Vernehmungsprotokolle und die Urteilsbegründung sind damit widersprüchlich.

Die Bezahlung

Keine dokumentierten Belege für Drogen bei Ibiza-Video-Macher Julian Hessenthaler

Ihr Partner, Slaven K., 1967 im heutigen Bosnien-Herzegowina geboren, ist der andere Hauptbelastungszeuge. Er hat zeitweise für die Detektei von Julian Hessenthaler gearbeitet. Dem soll sich K. nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos offenbart haben, so erzählt Hessenthaler es im Interview mit CORRECTIV. Er hatte zwar schon dem Bundespräsidenten geschrieben, wollte aber sichergehen, dass die Behörden in Wien erfahren, wie das Video zustande kam. Daher, so erzählt es Hessenthaler, habe er mehrmals am bayerischen Zufluchtsort seinen früheren Mitarbeiter Slaven K. getroffen. Belege zu dem Besuch sind nicht bekannt. Der Anwalt des ehemaligen Mitarbeiters schreibt auf Anfrage, sein Mandant wolle sich in dieser Angelegenheit nicht mehr äußern.

K. war offenbar auch Vertrauensperson beim österreichischen Bundeskriminalamt; so schreibt es der ehemalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl in einer parlamentarischen Anfrage.

Wie der Macher des Ibiza-Videos erzählt, wurde er von K. offenbar getäuscht. Der Mann verkaufte die Informationen, es flossen nachweislich mindestens 55.000 Euro an ihn und einen weiteren Mann. Das Geld wurde von Gert Schmidt gezahlt, einem Lobbyisten des Glücksspielkonzerns Novomatic; also der „Novomatic zahlt alle“-Konzern, von dem in dem Video die Rede ist.

Die Zahlung an einen der Zeugen ist aktenkundig, zwei Honorarnoten liegen CORRECTIV vor, und auch Aussagen von Gert Schmidt, der bei einer Vernehmung von einem Informationshonorar sprach, für Angaben zu Hessenthaler. Nach seiner Darstellung gebe es keinen Zusammenhang zwischen den Zahlungen und dem Prozess gegen Hessenthaler. Auf Anfrage schrieb Schmidt an CORRECTIV, er wolle die Sache abseits der Gerichtsurteile nicht kommentieren.

Wenige Monate nach den Gesprächen in Bayern wurde K. dann verhaftet, die Polizei durchsuchte dessen Wohnung. Sie fanden Waffen und Drogen, ein Unterhebel-Repetiergewehr Kaliber 38, eine abgeschnittene Schrotflinte „Made in Russia“, einen Wurfstern, ein Armband mit versteckter Klinge, Kokain. Im Durchsuchungsbericht steht, er habe „offensichtlich ein Faible zur Nobelmarke Philipp Plein.“

Allerdings sagte K. zunächst nicht gegen Julian Hessenthaler aus. Erst als er verurteilt wurde, ein knappes Jahr später, änderte er seine Aussage gegen Hessenthaler. Ein Aktenvermerk des Bundesinnenministeriums vom 05.10.2020 zeigt, dass Slaven K. sich „nach der Möglichkeit eines elektronisch überwachten Hausarrests“ erkundigte, „so er sich dafür entscheiden würde, seine Angaben zu berichtigen.“ Durfte er das Gefängnis also früher verlassen, dafür, dass er seinen ehemaligen Kollegen belastete? Sein Anwalt schreibt CORRECTIV auf Anfrage, Einen ,Deal‘ gab es hier nicht.

Beide Hauptbelastungszeugen profitierten von erheblichen Strafmilderungen, nachdem sie ihre Aussagen gemacht hatten.

Der wichtigste Aktenvermerk ist allerdings derjenige, der nicht existiert: Bis zum Ende des Prozesses wurde kein Kokain bei Hessenthaler gefunden. Weder physisch noch auf Fotos. Es gibt keine Telefonüberwachungen, die ihn belasten, keine Fingerabdrücke. Das einzige, was gegen ihn spricht, sind die Zeugenaussagen.

Die Festnahme

Julian Hessenthaler selbst redet wenig über seine Vergangenheit. Er hat sich schon früher, als Detektiv, Feinde gemacht, gegen große internationale Konzerne kriminalistisch recherchiert und Drogenringe auffliegen lassen, sich auch selbst die Hände schmutzig gemacht und mit Kokain erwischen lassen. Doch Ibiza war anders.

Sein Video hat eine Regierung weggefegt, aber der Rückstoß kam und hat ihn selbst aus dem Arbeitsleben katapultiert, zumindest für einige Jahre. Dabei hat – und das ist eine weitere ironische Wendung in der Geschichte – das Verfahren gegen ihn noch weitere, beunruhigende Mängel an der Rechtsstaatlichkeit Österreichs aufgedeckt.

Festgenommen wurde er im Dezember 2020 – in Berlin, wo er zu der Zeit untergekommen war. Ein europäischer Haftbefehl auf Grundlage des heimlich gefilmten Videos wäre nicht möglich gewesen. Die Ermittler hätten deswegen keine Telefonüberwachungen, keine Amtshilfe in Deutschland beantragen können. Mit dem Verdacht auf Drogenverkauf schon.

Die Region rund um die Kanzlei von Hessenthalers Berliner Anwalt in Kreuzberg wurde überwacht. Die deutsche Polizei fing Hunderttausende von Handydaten ab und analysierte die Verbindungen, eine Art Rasterfahndung für Österreich. Hessenthalers Nummer tauchte in den Massenabfragen der Polizei nicht auf.

„Auf die Idee, mich einfach anzurufen und mir einen Termin auf einer Wache anzubieten, sind die Ermittler offenbar nicht gekommen“, sagt der Macher des Ibiza-Videos. Die einen sagen, das war eine politische Verfolgung. Die anderen sehen darin nur das Ergebnis eines funktionierenden Rechtsstaates. Hessenthaler jedenfalls landete hinter Gittern.

Julian Hessenthaler

Hessenthaler hatte sich bereits im Gefängnis zur Tat geäußert, unter Beobachtung. Jetzt spricht Julian Hessenthaler im ersten Interview seit seiner Freilassung mit CORRECTIV über die Entstehung des Ibiza-Videos.

Interview in voller Länge

Das Landgericht St. Pölten verfügte am 30. März 2022 für Hessenthaler eine Haft von dreieinhalb Jahren. In der Begründung heißt es, wegen des „Verbrechens des Suchtgifthandels“ sowie „Urkundenfälschung“. Er soll einen slowenischen, nicht registrierten Führerschein verwendet haben und einen slowenischen Personalausweis weitergegeben haben. Das Urteil wurde in zweiter Instanz vom Obersten Gerichtshof in Österreich bestätigt.

„Es hat mir natürlich ein unbehagliches Gefühl vermittelt“, sagt Irmgard Griss, „als ich gehört habe, dass er ins Gefängnis muss und nicht die, deren korrupte Absichten, Einstellungen und Verhalten er aufgedeckt hat.“ Griss war einst Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, sie kandidierte für die Präsidentschaft Österreichs und zog schließlich für die liberale Partei NEOS als Abgeordnete in den Nationalrat ein, das Äquivalent zum Deutschen Bundestag. „Ohne Ibiza-Video hätte es keine Casinos-Ermittlungen gegeben und die Chats des Thomas Schmid wären nicht bekannt geworden.“

Sowohl die Casinos-Affäre, in der mutmaßliche Absprachen zwischen den Parteien FPÖ und ÖVP mit dem Wettspielkonzern Novomatic ans Licht kamen als auch die genannten Chats, in denen vermeintliche Umfrage-Manipulationen durch Sebastian Kurz bekannt wurden, waren Meilensteine in der Bekämpfung korrupter Strukturen in Österreich. An deren Ende stand der Rücktritt des Bundeskanzlers.

Im Februar 2021 verfasste Hessenthalers Anwalt eine 115-seitige Verfassungsbeschwerde, um eine Auslieferung nach Österreich zu verhindern. Der Jurist wirft den Strafverfolgungsbehörden in Österreich vor, den Strafverdacht zu konstruieren. Er beschreibt das ganze Verfahren als politisch motiviert, der Grundsatz der Unschuldsvermutung sei ignoriert worden. Die Beschwerde wurde mit Beschluss vom 30. März 2021 nicht zur Entscheidung angenommen – gegenüber CORRECTIV verweigert das Gericht, die Entscheidung zu begründen.

»Im Endeffekt ist das ein Kreislauf: Ein Henne-Ei Problem«

Auszug aus dem Hessenthaler-Interview
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Die Überwachung

Neue Dokumente in der Ibiza-Affäre enthüllen brisante Details über Justiz in Österreich

Viele dieser Details wurden in verschiedenen Artikeln und Kommentaren bereits veröffentlicht. Neue Dokumente, die CORRECTIV einsehen konnte, zeigen nun, wie rabiat auch das Justizministerium vorging. Ein Brief der Justizanstalt zeigt, dass die Staatsanwaltschaft während der monatelangen Untersuchungshaft die Anwaltspost mitlas: Eine Methode, die in Terror-Verdachtsfällen nachvollziehbar klingen mag, aber nicht bei Drogendelikten.

Die Justizanstalt schreibt dazu, dass „jeglicher Briefverkehr über die Staatsanwaltschaft St. Pölten bzw. in weiterer Folge über das Landgericht St. Pölten zu erfolgen hat. Dies betrifft auch die Anwaltspost von Insassen. Das heißt, sollte ein Brief für Hessenthaler einlangen, wird dieser zuerst zum Gericht gebracht und erst nach erfolgter Zensur an den Insassen ausgefolgt.“

Nicht nur das: Im ersten Jahr der Ermittlungen wurden laut seinen Verteidigern bei ihren Anträgen auf Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft fast 90 Prozent der Dokumente vorenthalten. Erst nach seiner Verhaftung in Deutschland im Dezember 2020, bekamen sie vollständige Akteneinsicht.

All diese Details sind dem Gericht bekannt, und doch wurde Hessenthaler zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, wegen angeblichen Drogenhandels und Urkundenfälschung. Er wurde über sieben Monate lang wegen besonders hoher Gefahr in Einzelhaft gehalten, 23 Stunden am Tag.

Die zwei Belastungszeugen wurden wegen ihrer „Lebensbeichten“ milde behandelt. Der Soko-Inspekteur, der Heinz-Christian Strache eine Fan-SMS schickte, wurde zum stellvertretenden Leiter des Büros zur Bekämpfung organisierter Kriminalität befördert. Der Leiter der Soko wurde zum Chef des Bundeskriminalamts befördert, einer der mächtigsten Polizeibehörden in Österreich.

Die Tatsachenbehauptung

An einem Februarmorgen, in einem der ältesten Wiener Cafés, dem Sperl, sitzt Oliver Scherbaum, einer von Hessenthalers Anwälten, ringsum Holzvertäfelung, Tassenklirren, Wiener Melange. Gerade erst ist sein Mandant zurück nach St. Pölten gefahren, hat seinen zweiten Freigang beendet, zurück in die 23-Quadratmeterzelle, gemeinsam mit fünf anderen Häftlingen. Dieser Fall habe seinen Glauben an den Rechtsstaat erschüttert, sagt der Anwalt.

Er vertritt nicht nur Hessenthaler, er arbeitet auch für den aktuellen österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer. Woran sich der Verteidiger im Fall Hessenthaler erschöpft, ist die Schwammigkeit der Vorwürfe: Es gebe keine konkreten Zeiten, keine klaren Orte, nur ungefähre Angaben. Auch bei der Menge der Drogen gab es Unstimmigkeiten. Bei der Zeugin wurden 136,5 Gramm Kokain gefunden. Dann entschied sie plötzlich und ohne erkennbaren Grund, sich selbst noch stärker zu belasten, wie der Anwalt erzählt, und behauptete: Sie habe rund sechs Kilo verkauft.

1,25 Kilo davon will sie von Hessenthaler bekommen haben. Und den Rest? Niemand habe nachgefragt, sagt der Anwalt. Die Frau wird zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Hessenthaler, der mit weitaus weniger Drogen gehandelt haben soll, erhielt mehr als doppelt so viel.

Für seinen Anwalt macht der Prozess einen gravierenden Mangel der österreichischen Justiz deutlich: Anders als in Deutschland gebe es keine Tatsacheninstanz, wie er sagt. Das bedeutet: Vor Gericht werden die Beweise nicht noch einmal im Detail überprüft, sagt Scherbaum. Der Fall zeige, wie dringend dies nötig wäre.

Die Rechnung

Opfer der Ibiza-Affäre? Julian Hessenthaler reicht am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Beschwerde ein

Für Hessenthaler selbst war das Ibiza-Video ein Wendepunkt. Er hat die Konsequenzen in Kauf genommen. Für ihn war es ein Job, wie er sagt, aber einer, mit dem er „nicht nur Konzernen, Behörden oder Freundinnen einen Dienst erwies.“ Für ihn sei es darum gegangen, Korruption aufzudecken. „Da konnte ich Leute aufhalten, die die Kettensäge an die Demokratie anlegen wollten.“

Seine Mutter sagte ihm damals, er solle das Video nicht veröffentlichen. Sie wussten beide, dass es Probleme bereiten würde. „Auf der persönlichen Ebene“, sagt er heute, „ist das einzig Gute an dem Video vielleicht, dass meine Mutter stolz auf mich ist.“ Zu seiner politischen Motivation sagt er, er sei „der anhaltenden Überzeugung, dass es spätestens 2012/13 massive Bemühungen der (Anm. d. Red: russischen) Nachrichtendienste gegeben habe, in Europa Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen.“

„Wir sollten dankbar sein“, sagt die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs in Österreich, Irmgard Griss. „Was immer seine Beweggründe waren und wie immer er sich sonst verhalten hat, hat er der Gesellschaft einen großen Dienst geleistet.“

Julian Hessenthaler ist seit dem 7. April 2023 frei. Nach einigen Wochen Freigang mit einer elektronischen Fußfessel wurde er frühzeitig aus der Haft entlassen. Er wartet darauf, wie der Europäische Menschenrechtsgerichtshof über seine Beschwerde entscheiden wird. Noch ist er es, der alleine die Kosten für die Beschwerde trägt.

Update vom 27. April: Die Veröffentlichungen über die Hintergründe des Ibiza-Videos haben zu Fragen bezüglich der Vertraulichkeit geführt, die Julian Hessenthaler mit der Produktionsfirma von Jan Böhmermann vereinbart hatte. Dazu haben wir im Infokasten „Hessenthaler und die deutschen Medien“ zusätzliche Details aufgeführt. CORRECTIV plant zu dem Thema auch eine weitere Veröffentlichung.

Update vom 5. Mai: Wir haben im Infokasten „Hessenthaler und die deutschen Medien“ präzisierend ergänzt, dass Jan Böhmermann selbst keine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschrieben hat.

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Jean Peters

arbeitete als Autor für Jan Böhmermans ZDF Magazin Royale und veröffentlicht beim Fischer Verlag. Seit 2022 arbeitet er als Investigativ-Journalist bei CORRECTIV. Als vielfach ausgezeichnete Non-Profit-Organisation steht CORRECTIV für investigativen Journalismus. Wir lösen öffentliche Debatten aus, arbeiten mit Bürgerinnen und Bürger an unseren Recherchen und fördern Medienkompetenz mit unseren Bildungsprogrammen.

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