Grundwasser-Atlas lokal: Welche Regionen besonders betroffen sind
Wo sich das Grundwasser besonders stark verändert: Lokal- und Regionalmedien haben den Grundwasser-Atlas von CORRECTIV aufgenommen und recherchiert, wie sich die Lage des Grundwassers vor Ort auswirkt. Mit einer interaktiven Karte macht CORRECTIV erstmals sichtbar, wie sich Deutschlands Grundwasser in über drei Jahrzehnten entwickelt hat.
In Niedersachsen brodelt es zwischen Landwirten und Trinkwasserversorgern. In Brandenburg protestieren Bürgerinnen und Bürger, denn die Industrie vor Ort nutzt Millionen Kubikmeter Wasser jährlich – während Haushalte sparen müssen. Warum sich Konflikte wie diese verschärfen, zeigt der Grundwasser-Atlas von CORRECTIV. Die interaktive Karte macht erstmals sichtbar, wie sich das Grundwasser in 13 Bundesländern in über drei Jahrzehnten verändert hat.
Aus der CORRECTIV-Auswertung von 6.700 Messpunkten haben bisher über 30 Lokal- und Regionalmedien aus dem Netzwerk CORRECTIV.Lokal eigene Berichte veröffentlicht. Sie zeigen, wie sich die Veränderung des Grundwassers vor Ort auswirkt. Viele Regionen müssen mittlerweile mit weniger Wasser auskommen.
Berlins Grundwasser sinkt seit Dürrejahr 2018
In Berlin täuscht der erste Eindruck. Denn der Grundwasser-Atlas zeigt einen Anstieg der Wasserstände seit 1990. Wie passt das zu Warnungen vor Wassermangel, historischer Dürre und Trockenheit? Laut Recherchen des Tagesspiegel gar nicht. Schaut man auf die letzten fünf Jahre, dann fallen die Grundwasserstände sogar.
Das liegt vor allem am Wasserverbrauch der Berlinerinnen und Berliner. In den 1980er-Jahren war er deutlich höher als heute. Nach der Wiedervereinigung schlossen viele Industriebetriebe in der Hauptstadt, private Wohnungen erhielten erstmals Wasserzähler – der Wasserverbrauch Berlins halbierte sich Anfang der 1990er nahezu. Das Grundwasser stieg wieder an.
Doch seit einigen Jahren kehrt sich der Trend. Berlin wächst und ebenso der Wasserverbrauch. Hinzu kommt die historische Dürre seit 2018: Steigende Temperaturen und Wetterextreme führen dazu, dass sich Grundwasserspeicher nicht mehr füllen. Berlin hat also ein Wasserproblem – trotz steigender Grundwasserstände.
Industrie im wasserarmen Brandenburg
Grünheide in Brandenburg ist mittlerweile schon zum Symbol für den Kampf um Wasser geworden. Tesla hat dort seine Fabrik für Elektroautos gebaut, doch ob genügend Wasser da ist, ist unklar. Das ist kein Einzelfall in Brandenburg: Sechs der 25 bundesweit am stärksten sinkenden Messreihen liegen allein in diesem Bundesland. Das Landesamt für Umwelt nennt CORRECTIV auf Anfrage als Grund, dass die Grundwasserneubildung immer weiter abnehme. Regen bleibe zunehmend aus, darüber hinaus brauche das Wasser vor allem auf den Hochebenen wie in der Prignitz, Teltow, Barnim oder Fläming lange, um einzusickern. Brandenburg ist eine Region mit sandigen Böden, die Regen schlecht aufnehmen.
Der Wokreisel etwa zeigt in seiner Recherche, dass die Wasserversorgung in Dahme-Spreewald südöstlich von Berlin bereits gefährdet ist. An rund einem Viertel der Messstellen im Landkreis sank das Grundwasser seit 1990. Der Landkreis verbot es Anliegern und Gartenbesitzern, tagsüber Wasser aus Gewässern zu entnehmen. Auch in Strausberg-Erkner deckelte der örtliche Wasserverband in diesem Sommer die Wasserentnahmen. Genau in der Region, in der auch Tesla seine Elektroautos herstellt. Peter Sczepanski, Vorstandsvorsitzender vom Märkischen Abwasser- und Wasserzweckverband (MAWV) sagt gegenüber der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ): „Nach allem, was uns derzeit an Daten und Prognosen vorliegt, muss sich um die Trinkwasserversorgung jetzt und in den nächsten Jahren niemand Sorgen machen.“ Jedoch sei es eine Herausforderung, dass immer mehr Menschen zuziehen. Außerdem würden die Menschen pro Person immer mehr Wasser verbrauchen.
Dazu kommt der steigende Verbrauch durch die Industrie. Wasserexperte Jan Fleckenstein vom Helmholtz-Institut in Leipzig meint, man müsse bei aller Freude über die Ansiedlung von Industrie in der Region auch deren Wasserverbrauch hinterfragen. „Generell sind große Eingriffe in das Wassersystem immer genau zu betrachten – dazu gehört auch die Grundwasserversorgung von Tesla in Grünheide“, sagt Fleckenstein. Bisher plant Tesla für seine Elektroautofabrik mit einem Jahresverbrauch von 1,4 Millionen Kubikmetern Wasser. Dies wird allerdings laut MAZ-Recherchen noch getoppt: Das BASF-Chemiewerk in Schwarzheide (Oberspreewald-Lausitz) verbrauche mit drei Millionen Kubikmetern fast doppelt so viel. Am meisten Wasser in Brandenburg verbraucht der Braunkohlekonzern Leag in der Lausitz: 114 Millionen Kubikmeter Grundwasser entnimmt er pro Jahr.
Wer wie viel entnehmen darf, entscheiden die Landkreise oder das Landesumweltamt. Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums unter Steffi Lemke (Grüne) räumt gegenüber CORRECTIV ein, dass in der Vergangenheit die Klimakrise zu wenig berücksichtigt worden sei, wenn Landkreise und Landesumweltämter Wasserentnahmen erlaubt haben.
Kohleabbau beeinflusst Grundwasser massiv
Am stärksten verändert sich das Grundwasser in den Regionen, in denen Unternehmen wie RWE und Leag Kohle fördern. In Nordrhein-Westfalen liegen sieben der 25 Messstellen mit dem stärksten Grundwasseranstieg und sechs der 25 mit dem größten Grundwasserverlust in der Nähe von Tagebauen. Auch in Sachsen sind aktive oder stillgelegte Tagebaue Grund für die extremsten Trends: An insgesamt sechs Messstellen ist das Grundwasser seit 1990 bundesweit am stärksten angestiegen, beispielsweise im Landkreis Nordsachsen um bis zu drei Prozent pro Jahr.
Doch bedeutet der Anstieg, dass sich das Grundwasser insgesamt erholt? Der Blick auf das ganze Bundesland zeigt, dass es nicht so ist: Rund die Hälfte der insgesamt 347 Messstellen in Sachsen meldeten zwischen 2018 und 2021 den tiefsten Grundwasserstand seit mindestens 30 Jahren, wie der MDR in seiner Recherche berichtet.
Wasserexperte Andreas Hartmann von der TU Dresden erklärt: Um Kohle fördern zu können, müssten die Tagebaubetreiber das Grundwasser davon abhalten, in die Gruben zu fließen. Wird der Tagebau geschlossen, steigt das Wasser nach und nach wieder an – allerdings werden die ursprünglichen Wasserstände bei Weitem nicht erreicht. Grundsätzlich seien die Tagebaue „massive Eingriffe“, sagt Hartmann. Man könne „viel wieder gut machen“, wenn man die Tagebaue schließt und flutet. „Doch das Grundwasser vor Ort muss langfristig ,betreut‘ werden.“ Denn wenn die Pumpen unkontrolliert ausgeschaltet werden, fließt das Grundwasser einfach nach – und fehlt dann woanders. Laut Wasserexperte Hartmann dauert es Jahrzehnte, damit Natur und Landschaft sich von der Kohleförderung erholen können.
Niedersachsen: Trinkwasser gegen Landwirtschaft
Eines der Bundesländer, bei dem das Grundwasser besonders stark sinkt, ist Niedersachsen – das führt zu lokalen Konflikten.
Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtet, dass Landwirte und Waldbesitzer bereits gegen die großen Wasserentnahmen der Trinkwasserversorger protestieren, wie rund um die Landeshauptstadt Hannover. 90 Prozent des Wasserbedarfs holt der lokale Trinkwasserversorger aus dem Umland. Und auch Hamburgs Wasserversorger bekommt das Trinkwasser für die Bürgerinnen und Bürger aus der Lüneburger Heide – zum Nachteil der niedersächsischen Bäuerinnen und Bauern.
Denn laut des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz gehört neben Industrie und Wasserversorgern – anders als in anderen Bundesländern – die Landwirtschaft zu den größten Wassernutzern des Landes. Sie braucht Wasser für ihre Felder, für Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide. Ohne Bewässerung würden die Ernten vertrocknen. Bei zunehmender Hitze und Dürre wird sich der Wasserbedarf der Landwirte in Zukunft noch steigern. Und zwar genau zu der Zeit, in der sich ohnehin wenig Grundwasser neu bildet.
Künftig könnte sich die Wasserkrise in Niedersachsen also noch verschärfen. Denn schon jetzt sank das Wasser an jeder dritten Messstelle, die CORRECTIV ausgewertet hat. Im niedersächsischen Landkreis Osterholz an fast zwei Drittel der Messstellen; im Heidekreis waren sogar 70 Prozent der Messstellen betroffen.
Doch auch in Niedersachsen wissen die Behörden nicht immer, wie viel Wasser Unternehmen und Landwirte aus dem Boden pumpen. Laut der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung (HAZ) schieben sich der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und der Landkreis Hildesheim gegenseitig die Verantwortung zu: Wie viel Grundwasser da sei und wie die Entnahmen die Grundwasserspeicher beeinflusse, wisse man im NLWKN nicht, das sei Zuständigkeit der Unteren Wasserbehörde, so ein Sprecher der Behörde. Doch auch dort sieht man keine Notwendigkeit, etwa zu kontrollieren, wie sich die Entnahmen auf den Grundwasserspiegel auswirken. „Allerdings wird stichprobenhaft kontrolliert, ob sich Entnahmemengen im Rahmen der jeweiligen Erlaubnis bewegen“, antwortete der Landkreis der HAZ.