Gomorrah — Die beste TV-Serie über die Mafia
Der italienische Journalist Roberto Saviano hat einen Hit gelandet. Er hat die Camorra, die Mafia aus Neapel von innen heraus durchleuchtet. Er hat aus seiner Geschichte über die Verbrecherbanden ein Buch gemacht und aus dem Buch einen Film und aus dem Film eine TV-Serie: Gomorrah.
Es sind Bilder von bedrückender Nähe, realistische Charakterzeichnungen, die nachempfinden lassen, wie es bei der Mafia abgeht: jenseits von noblen Gesten beherrscht alleine die Sucht nach Macht und Geld die Köpfe der Mafiosi. Dazu gehört es auch, die Untergebenen zu demütigen. Kann schon passieren, dass sie die Pisse des Paten trinken müssen. Niemand ist hier gut. Alle sind böse.
Die Serie „Gomorrah“ lief zuerst im italienischen Fernsehen. Mit großem Erfolg. Nun wird sie in Deutschland auf Sky gezeigt. Sie ist realistischer als die Sopranos und ganz ohne Humor wie Lilyhammer – einfach ein Abbild der kriminellen Wirklichkeit.
Wir haben den Autor Roberto Saviano interviewt.
Herr Savioano, warum haben sie aus ihrem erfolgreichen Mafia-Buch Gomorrha auch noch eine TV-Serie gemacht. Hat Ihnen der Erfolg des Kinofilms nicht gereicht?
Ich sehe es so: Die Geschichten aus meinem Buch waren noch nicht in dem Kinofilm Gomorrha auserzählt. Ich wollte und konnte mehr berichten aus dem Innenleben der Clane in Neapel. Und das ist die große Chance dieser TV Serie. Ich kann mit ihr tiefer in das Wesen der Mafia eintauchen. Außerdem kann die TV-Serie meine Geschichten aus einer italienischen, einer europäischen Perspektive jenseits der amerikanischen Formate erzählen. Das macht das Projekt für mich zusätzlich spannend.
Man merkt, dass die Serie Gomorrha sich sehr von anderen Mafia-Serien wie den Sopranos unterscheidet. Die Charaktere sind lebendiger, die Konflikte haben mehr Zwischentöne, alles erscheint realer. Was ist das besondere an ihrer Geschichte?
Wir benutzen nur reale Situationen und Szenen. Alles was in der Serien gezeigt wird, hat sich so ereignet. Natürlich sind die Menschen, die Familiennamen frei erfunden. Aber jede Handlung hat einen realen Ursprung. Und jede handelnde Person findet sich in einem realen Umfeld wieder. Wir haben die Wirklichkeit nachgebaut.
Das merkt man. Die Serie hinterlässt einen sehr authentischen Eindruck. Besonders, wenn es zur Gewalt kommt oder zum kriminellen Business. Ich frage mich, ob dies tatsächlich die Realität ist oder einfach nur gut inszeniert?
Wir haben versucht, die Mentalität der Mafia-Mitglieder so gut wie möglich nachzubilden. In den Köpfen der Banden existieren nur ihre Ideen vom Geschäft und ihr verdrehter Blick auf die Welt. Aus diesem Grund haben wir in die Serie nur böse Menschen integriert. Es gibt keinen Helden, keinen guten Charakter. Es gibt nur Mafiosi, die sich gegenseitig den Kopf abreißen, wenn es sein muss.
Das heißt, es gab auch solche Massaker in Bars, wie sie in der ersten Staffel gezeigt werden? Haben da tatsächlich Leute Handgranaten in Cafes geworfen? Oder haben sie das erfunden?
Klar gab es das. Nur war das Massaker in der Fulmine-Bar in der Realität noch härter. Die Killer haben nicht nur Handgranaten geworfen, sie hatten Maschinenpistolen in jeder Hand. Aber das hätte uns keiner in der Serie abgenommen, deswegen mussten wir die Realität abschwächen, um sie verständlich zu machen.
Hat ihre Serie neue Inhalte, oder geht es um die gleichen Geschichten, wie in ihrem Buch?
Es gibt eine Menge neuer Geschichten. Ich habe sie allerdings in der Serie konzentriert. Damit meine ich: es gab in den Clans einige Bewegung. Bosse wurden verhaftet oder getötet, andere sind aufgestiegen. Ich habe hier die Entwicklungen auf die handelnden Personen und den handelnden Clan focussiert. Ein kleiner Killer steigt in seinem Clan auf, nachdem sein Boss in Haft kommt. Er steht zuerst zum Sohn seines Chefs, entschließt sich dann aber, selbst nach der Macht zu greifen. Alles ist im Fluss und nichts bleibt wie es war.
Wird hier die Aufklärung über Kriminalität zu Zwecken der Unterhaltung missbraucht?
Ich mag nicht alle Serien über die Mafia. Aber es gibt Serien, wie unsere oder die Sopranos, die sehr tiefe Einblicke in die Welt der Kriminellen geben. Es geht da nicht um Unterhaltung alleine. Es geht um eine Tiefe der Berichterstattung, die ich mit anderen Mitteln nicht erreichen kann. Nur mit Hilfe solcher realistischer Serien kann ich das Publikum mit den entscheidenden Fragen konfrontieren: Wie viel von dem Bösen habt ihr in euch selbst? Und was trennt euch von der Welt des Kriminellen? Ist es der Glauben an das Gute, oder nur die Angst vor der rohen Gewalt, die euch zu einem ehrenwerten Leben zwingt?
Braucht man solche Geschichten und Serien im Kampf gegen die Mafia?
Das hängt davon ab, wie sie aufgenommen werden. In Italien sind die Stories sehr wichtig, denn sie erklären, wie die Mafia funktioniert. Sie erklären dem Publikum, was da draußen passiert. In anderen Ländern mag die Reaktion anders sein. Da können sich die Mafia-Stories wie Geschichten aus einer anderen Welt anhören. In solchen Fällen können die Geschichten den Kampf gegen die Mafia vielleicht sogar stören, weil sie nicht zeigen, wie die Mafia in dem jeweiligen Land tatsächlich arbeitet. Wir haben deswegen in der Serie Gomorrha darauf geachtet, die Verbindungen in Länder wie Spanien und Deutschland nachzuzeichnen. Die Mafia ist überall. Sie verändert nur manchmal ihr Gesicht. Unsere Geschichten können in Deutschland verstanden werden.
In ihrer Serie treten die Mafiosi sehr elegant auf. Das ganze Set ist sehr stylisch, die Männer sind cool und die Frauen sexy. Kann es nicht schnell zum Problem werden, wenn die Mafiosi zu den glorifizierten Jungs werden, denen die Kids nachstreben?
Ich glaube nicht, dass es dieses Risiko gibt. Die Charaktere, die ich nachzeichne, sind abscheulich. Sie tun abscheuliche Sachen in einer abscheulichen Umwelt. Sie verbreiten Gewalt und Horror. Wenn es Sympathie gibt, dann höchstens zu den Schauspielern, die diese abscheulichen Figuren interpretieren. Dieses Mitgefühl kann allerdings wiederum gut sein, wenn der Konflikt zwischen der Sympathie für den Menschen und die Abscheu vor seiner Tat das Publikum zum Nachdenken anregt.
Haben Sie Reaktionen von Mafiosi auf die Serie bekommen?
Direkte Reaktionen habe ich nicht bekommen. Aber ich habe über Quellen mitbekommen, dass die Mafiosi untereinander sagen, dass viele Dinge, die wir zeigen, sehr realistisch sind. Vor allem die Szenen in den Knästen. Sie sagen: ‚Ja, so haben wir damals kommuniziert. Wir haben Küsse vorgespielt und so versteckte Botschaften weitergegeben.’ Außerdem verkaufen die Mafiosi viele gefälschte DVD der Serie auf ihren Schwarzmärkten in ganz Italien. Es sind Bestseller. Sie sind also zumindest interessiert.
Hatten Sie Probleme, in den von der Mafia beherrschten Vierteln zu drehen?
Wir hatten Dutzende Schwierigkeiten. Am Ende konnten wir das Projekt nur mit Hilfe der lokalen Bevölkerung umsetzen. Sie mochten den Film. Und konnten auch in ihm mitspielen. Viele Darsteller stammen direkt aus den beschriebenen Quartieren.
Sehen Sie irgendwelche Erfolge im Kampf gegen die Mafia?
Es gibt eine Menge Fortschritte. Die meisten Erfolge konnten erzielt werden, weil wir das Schweigen brechen. Wir reden über die Mafia und demaskieren sie. Unsere Worte verbreiten sich wie ein Heilmittel von Mund zu Mund und sie haben die Kraft die Wirklichkeit zu verändern. Die alten Hochburgen der Mafia in den Vierteln von Neapel oder Sizilien werden geschliffen. Gemeinderäte werden wegen Unterwanderungen durch die Mafia aufgelöst. Und an ihre Stelle treten Antimafia-Kämpfer, die mit überwältigender Mehrheit gewählt werden. Wir sind auf einem guten Weg.
Haben Sie vorher daran gedacht, dass Sie ihr Leben riskieren, wenn Sie so offen über die Mafia berichten? Sie leben im Untergrund und können nicht mehr offen in Ihrer Heimat auftreten.
Nein, das habe ich nicht gedacht. Ich glaube, die Mafiosi haben einfach Angst bekommen. Allerdings war nicht ich es, der mit seiner Arbeit den Herzen der Mafiosi Angst eingeflößt hat. Sondern die große Zahl von Menschen, die ich mit meinem Buch, meinem Film und jetzt mit der TV-Serie erreiche, erschreckt die Mafiosi. Die Menschen denken nach, sie reden über die Mafia und geben ihren Abscheu weiter.