Die Mafia, kurz erklärt: #1 — Die Cosa Nostra
Cosa Nostra in der Krise? Der Bericht der italienischen Anti-Mafia-Kommission zeigt, dass die sizilianische Mafia, trotz prominenter Festnahmen, nach wie vor sehr lebendig ist.
Anwalt: „Haben Sie jemals etwas über den kriminellen Verein Cosa Nostra gehört?“
Salvatore Riina: „Nein, nie davon gehört“
Anwalt: „Sie kennen ihn also nicht? Haben Sie nur in den Zeitungen darüber gelesen?“
Salvatore Riina: „Ja, gut. Ich habe was in Fernsehen gesehen, in den Zeitungen etwas gelesen“
Salvatore Riina, ehemaliger Boss der Bosse der Cosa Nostra, während eines Prozesses
Ursprung
„Cosa Nostra“ — unsere Sache. Es war der Kronzeuge Tommaso Buscetta, der 1984 dem Richter Giovanni Falcone den Namen offenbarte, mit dem die „Ehrenmänner“ selbst ihre Organisation bezeichneten.
Über den Ursprung des Wortes „Mafia“ streiten sich die Sprachwissenschaftler. Es könnte aus dem Arabischen kommen, aus „Mu“, Kraft, und „afah“, beschützen. Sicher ist: Im Palermitaner Dialekt heißt „mafia“ Schönheit, Mut. So ist eine“mafiosa“ ein liebliches Mädchen, ein „mafioso“ ein tapferer Junge. Das Wort tauchte zum ersten Mal in einem Brief von 1861 auf. Der Leutenant des Königs von Sizilien schrieb: „Hier gibt es auch eine Camorra, die nicht weniger gefährlich als die von Neapel ist. Sie wird ‚maffia‘ genannt“.
Die Cosa Nostra entstand im landwirtschaftlichen Sizilien des 19. Jahrhunderts. 1812 wurde das Feudalsystem auf der Insel abgeschafft: Bergwerke, Grundstücke, Gemüsegärten — alles wurde von Großpächtern, die „Gabelloti“, verwaltet. Sie bildeten die Verbindung zwischen Bauern und Adeligen, zwischen Staat und lokaler Gemeinde. Die Großpächter verpachteten die Besitze an Landwirte — für einen viel höheren Preis, als den, den sie bezahlt hatten. Außerdem beschäftigten sie Wächter, die „Campieri“, um ihre Grundstücke zu beschützen. Jeder Aufstand wurde mit Gewalt niedergeschlagen.
Die Mafia gedeihte unter Zitronenbäumen: 1872 vererbte der Chirurg Gaspare Galati einen Zitronenhain, vier Hektar groß und nur ein paar Gehminuten von der Stadgrenze Palermos entfernt. Wer Zitronen besaß, machte sehr gute Geschäfte auf den Märkten Londons und New Yorks. Doch Galati konnte sich nicht auf die Erlöse freuen. Der Wächter der Plantage, Benedetto Carollo, verhilt sich nämlich so, als sei er der wahrer Besitzer: Er klaute bereits bezahlte Zitronen, um die Renditen des Grundstückes zu sabotieren, er schrieb Drohbriefe. Galati wählte einen neuen Wächter, der aber nur kurz im Einsatz blieb. Carollo ließ ihn nämlich erschießen. Von der Polizei bekam Galati keine Hilfe, vielmehr schient der Hauptinspektor auf der Seite des Verbrechers zu stehen. Galati schrieb also ans Innenministerium in Rom. Er berichtet von Kartellen, Morden und erstmals auch von einem Ehrenkodex der Mafia. Carollo, so viel konnte Galati feststellen, arbeitete im Auftrag einer organisierten Bande, die zuerst die Wächter auf ihre Seite brachte, um dann die Kontrolle über die Güter zu übernehmen. Der Chirurg Galati hatte eine mafiose Struktur entdeckt. Am Ende verließ er die Insel dennoch: die „Omertà“, das Schweigegelübde der Lokalbehörden, hatte zum ersten Mal gewonnen.
Struktur
Die Cosa Nostra hat eine strenge Hierarchie, strukturiert wie eine Pyramide. Ganz unten stehen die „Uomini d´Onore“, die „Ehrenmänner“ – Kleinkriminelle, die notfalls zu Mördern werden. Über ihnen stehen die „Capodecina“, die „Chefs von zehn“. Rund fünf solcher Zehnergruppen bilden eine „Cosca“, eine Familie, die nicht zwingend nur aus tatsächlich Verwandten bestehen muss.
Jede Cosa-Nostra-Familie kontrolliert ein Gebiet, meist ein Stadtviertel oder ein Dorf. Jeweils drei Familien bestimmen einen „Capo Mandamento“, der sie in der Provinzkommission vertritt. An der Spitze steht die „Cupola“, die Kuppel, das Oberkommando. Diese Struktur besteht bis heute, nur sind die Posten geheimer besetzt, weil Kronzeugen die Cosa Nostra in den Neunzigerjahren erheblich geschwächt haben. Nun kennen die Mitglieder einer „Cosca“ nur ihren direkten Boss und nicht die gesamte Führung.
Entwicklung
Vom Land drängt die Cosa Nostra in die Städte und machte sich im Baugeschäft und Drogenhandel breit.
Dabei erkämpft sich der Clan der Corleonesen in einem blutigen Krieg die Macht innerhalb der Cosa Nostra. Die Corleonesen stammen zum Großteil aus dem Städtchen Corleone — weltberühmt als Kulisse für die sizilianische Episode im ersten Teil von Coppolas „Pate“. Angeführt von Salvatore „Totò“ Riina und Bernardo Provenzano übten die Corleonesi zwei der größten Angriffe auf die italienische Anti-Mafia-Bewegung aus.
Es ist der 23. Mai 1992. Um 17.56 registrieren die Seismographen aus Monte Cammarata einen heftigen Erdstoss. Es ist, das wird schnell festgestellt, kein Erdbeben. Der Mafia-Richter Giovanni Falcone und seine Ehefrau Francesca Morvillo, ebenfalls Richterin, sind kurz davor am Flughafen Punta Raisi gelandet. Falcone ist ein unermüdlicher Ermittelr: Er hat den Maxi-Prozess von Palermo geführt und, nach 349 Verhandlungstagen, 360 Cosa-Nostra-Mitglieder verurteilt. Auf Sizilien hat er somit mehr Feinde als Freunde. Schon einmal hat die Cosa Nostra versucht, ihn umzubringen. Am 21. Juni 1989 hatten Falcones Leibwächter eine Bombe entdeckt — am Strand seines Ferienhauses in Addaura.
Auch an diesem schwülen Maitag warten Falcones Leibwächter mit drei Autos in Punta Raisi. Falcone und Morvillo steigen in einen weißen Fiat-Croma. Der Richter sitzt am Steuer und fährt Richtung Palermo. Die Stadt ist nah — nur sieben Kilometer entfernt.
Es ist 17.58. Salvatore Gambino, ein 34-jähriger Bauer, lockert den Boden seines Feldes am Rande der Autobahn. Falcones Auto und die der Eskorte erreichen Kilometer fünf der A29, bei der Ausfahrt Capaci. Gambino, so wird er es einem Polizisten erzählen, hört einen heftigen Knall. Die Cosa-Nostra hat um die 500 Kilo Sprengstoff in einem Abflussrohr unter der Fahrbahn versteckt. Die Explosion erfasst den ersten Wagen, in dem die Leibwächter fahren und shleudert ihn durch die Luft. Falcones Auto prallt gewaltig gegen eine Mauer aus Asphalt und Kiesel, die durch die Detonation entstanden ist. Salvatore Gambino sieht nun eine schwarze Rauchsäule.
Bei dem Anschlag sterben Giovanni Falcone, Francesca Morvillo und die drei Leibwächter Vito Schifani, Rocco Dicillo und Antonio Montinaro.
Nur wenige Monate später, am 19. Juli 1992, biegen kurz vor 17 Uhr drei Wagen in die Via Mariano D’Amelio, im Westen Palermos, ein. Staatsanwalt Paolo Borsellino will an diesem Sonntag seine Mutter besuchen. Die Wagen halten vor der Hausnummer 19/21. Borsellino steigt aus, gefolgt von seinen Leibwächtern. Wenige Meter entfernt steht ein Fiat 126.
Als der Staatsanwalt die Haustür erreicht explodiert der Fiat 126, der mit 100 Kilo Sprengstoff beladen worden war. Die Bombe tötet Borsellino und seine Leibwächter — bis auf den Fahrer, der im gepanzerten Dienstwagen des Staatsanwaltes wartet. Autos brennen, Leichenteile liegen verstreut.
1992 zeigt die Cosa Nostra, unter der Führung von Totò Riina, eine noch unvorstellbare Brutalität in ihrem Kampf gegen den Staat.
Nach der Festnahme von Riina im Jahr 1993 geht die Macht an Bernardo Provenzano. Er entwickelt eine neue Strategie der Cosa Nostra: Weniger Blut, dafür mehr Korruption. Wenig Gewalt, dafür Geldwäsche, in Italien wie im Ausland. Provenzano, genannt „Binnu u tratturi“ (Bernardo der Traktor), wird am 11. April 2006 in der Nähe von Corleone festgenommen. 43 Jahre lang war er untergetaucht. Doch der meistgesuchte Boss der Cosa Nostra versteckte sich in eine Bauernhütte unweit von seiner Heimatstadt Corleone. Seitdem wird vermutet, dass der Boss Matteo Messina Denaro die Macht in der Cosa Nostra hat.
Territoriale Ausbreitung
In Italien findet man die Cosa Nostra, außerhalb von Sizilien, in Piemont, Lombardei, Emilia Romagna, Ligurien, Latium und in der Toskana. In Deutschland ist die Cosa Nostra insbesondere in Hamburg, Köln, Mannheim, Nürnberg und Wuppertal aktiv.
Aus dem Bericht der italienischen Anti-Mafia-Kommission (vorgelegt am 25.02.2015)
„Die Cosa Nostra zeigte auch in diesem Jahr eine besondere Lebendigkeit, vor allem in der Gegend rund um Palermo. (…) Diese Analyse entspricht nicht den Informationen anderer Beobachter des Mafia-Phänomens, die von einem Untergang der Cosa Nostra berichten. (…) Seit der Festnahme von Bernardo Provenzano erlebt die Cosa Nostra eine Transitiosphase, nicht nur weil eine neue Führung gesucht wird, sondern auch, weil neue organisatorische Schemen und neue Strategien überlegt werden. Die Ermittlungen und die Prozesse bestätigen, dass die Cosa Nostra nach einem inneren Gleichgewicht sucht. Dabei ist sie von den Ermittler ständig gehemmt. Trotzdem: Jeder Festnahme folgte bis jetz die Ernennung eines Nachfolgers. (…) Nach wie vor wird Matteo Messina Denaro, Chef der Familien aus Trapani, gesucht. Er regiert weit über dieses Gebiet hinaus. Seine Festnahme bleibt eine absolute Priorität, weil sie, auch auf symbolischer Ebene, ein großer Schaden für die Cosa Nostra wäre.“
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