Mafia

Das verpatzte Comeback

Im Oktober verhafteten Ermittler in Deutschland die rechte Hand eines hochrangigen Mafiabosses aus Sizilien. Aus Justizunterlagen geht jetzt hervor, wie die Gruppe Deutschland erobern wollte. Es sind die gleichen Elemente, mit denen sie den Süden Italiens kontrollieren: Zugang zu Banken, Baufirmen zur Geldwäsche und Kontakte zu Justiz und Polizei.

von Giulio Rubino , Floriana Bulfon

Im Oktober wurde Salvatore Rinzivillo verhaftet. Der Clan hatte Deutschland fest im Visier.

Der Strand von San Vito lo Capo an der Spitze einer entlegenen Landzunge ganz im Westen Siziliens ist einer der schönsten Strände Italiens. Doch der prominenteste Urlauber des nahegelegenen Ortes war dort kaum zu sehen. Salvatore Rinzivillo, einer der wichtigsten Clanführer der sizilianischen Mafia, blieb lieber in seiner für den Sommer gemieteten Villa.

Bis zu seiner Verhaftung im Oktober soll er laut Ermittlern die Interessen seines Clans in einem Gebiet von Norditalien bis nach Marokko gelenkt haben. Rinzivillo überragte die Landschaft wie der Fels, der den Strand von San Vito lo Capo bestimmt.

Die Brüder von Rinzivillo sitzen schon lange im Gefängnis. Auch deswegen bereitete er sein Geschäft auf einen Generationenwechsel vor: immer wieder besuchte ihn seine rechte Hand in der Villa. Noch nicht einmal 40 Jahre alt, ist er bei den Justizbehörden anders als die Rinzivillos noch nicht im Visier. Doch der Assistent ist kein Junge aus der Nähe: Ivano M. lebt im fernen Köln.

 

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Strand und Felsen von San Vito lo Capo: hier plante der Mafia-Clan seine Aktivitäten in Deutschland.

Von der Villa aus planten Rinzivillo und Ivano M., Deutschland zu erobern. Das geht aus Unterlagen der italienischen Justiz hervor, die CORRECTIV ausgewertet hat. Im Oktober wurden Salvatore Rinzivillo und Ivano M. verhaftet. M. ist inzwischen nach Italien ausgeliefert. Die beiden konnten ihre Pläne also nicht umsetzen. Anwälte von Rinzivillo und Ivano M. wollte sich gegenüber CORRECTIV nicht äußern.

Aus den Unterlagen geht nicht immer hervor, wie konkret die Pläne waren. An vielen Stellen fehlen Details. Doch das Muster ist klar: der Clan setzte auf die gleichen Elemente, mit denen die Mafia Teile Italiens beherrscht.

Ein Problem, vor dem die Mafia ständig steht: sie muss die Erlöse aus Verbrechen wie zum Beispiel Drogenhandel in den legalen Geldkreislauf bekommen. Dazu unterhält sie ihre eigenen Firmen, zum Beispiel Restaurants oder Handelsfirmen. Oder die Bauwirtschaft.

Stuttgart 21 im Visier?

Und laut Justizunterlagen hatten Rinzivillo und seine Mitarbeiter ihr Auge auf das derzeit größte deutsche Bauprojekt geworfen: Stuttgart 21. Nach dem aktuell laufenden Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs soll dort, wo Gleise unter die Erde verlegt werden, ein neuer Stadtteil entstehen.

Und hier wollten die mutmaßlichen Mafiamitglieder sieben Häuser bauen. Dazu soll M. mit einem Bauunternehmer aus dem norditalienischen Brescia in Kontakt gestanden haben, der die Arbeiten ausführen sollte. Dessen Unternehmen stehen in Italien bereits auf einer schwarzen Liste von Firmen, die sich wegen Verbindungen zur Mafia nicht mehr an öffentlichen Aufträgen beteiligen dürfen.

Warum die Mafiosi schon so konkret von sieben Häusern sprachen, die sie in Stuttgart bauen wollten, ist unklar. Das Bauprojekt Stuttgart 21 befindet sich noch in einer frühen Phase: es gibt noch nicht einmal Architektenpläne für die zukünftigen Wohnimmobilien.

Fisch aus Marokko

Auch über den Handel nahmen sie die deutsche Wirtschaft ins Visier. Aus den Unterlagen geht hervor, dass sie eine Probe Fisch im Wert von 50.000 Euro nach Deutschland schickten, mit der sie in das Zulieferersystem eines großen Discount-Supermarktes in Deutschland aufgenommen werden wollten.

Ein Partner-Clan der Rinzivillos besitzt laut den Unterlagen eigene Firmen in Marokko, die dort Fisch produzieren. Der Rinzivillo-Clan verteilt ihn dann in Sizilien. Jetzt wollte er mit diesem Teil der Geschäfte offenbar ins Ausland expandieren. Das hätte den Rinzivillos gegenüber anderen Clans deutlich mehr Geltung verschafft.

Doch vor allem bemühte sich M. aus Köln, die rechte Hand des sizilianischen Paten, laut den Unterlagen um Zugang zu Banken. Auch hier ist nicht ganz klar, was genau die Gruppe plante. Es dürfte um Geldwäsche gegangen sein.

Geldwäsche

Dazu soll M. zum Schein Firmen und Projekte aufgebaut haben, mit denen er bei Banken für einen sogenannten „Letter of Credit“, eine Bankgarantie vorstellig werden konnte. Was genau M. mit einer solchen Garantie plante, ist unklar. In einem von den Ermittlern abgehörten Telefonat sagte M., eine solche Garantie könne man „auf hunderte verschiedene Weisen nutzen“.

Tatsächlich gibt es bei Bankgarantien viele Missbrauchsmöglichkeiten. Sie können weiterverkauft werden oder dazu genutzt werden, bei einer weiteren Bank einen Kredit aufzunehmen.

„Wenn eine Bank die Herkunft meiner Gelder nicht hinterfragt, kann ich so dreckiges Geld als Sicherheit für die Garantie hinterlegen, damit eine weitere Bank mir dann einen Kredit gibt“, sagt der italienische Geldwäsche-Experte Gian Gaetano Bellavia. „In diesem Moment habe ich dann sauberes Geld, mit dem ich machen kann, was ich will.“

Anschließend lassen die Täter die zum Schein aufgebauten Firmen platzen. Die Bank behält das als Sicherheit hinterlegte, dreckige Geld und die Täter haben mit dem Kredit einer zweiten Bank sauberes Geld. Ein derartiges Schema könnte M. laut Ermittlungsunterlagen mit mehreren deutschen und schweizerischen Geschäftspartnern aufgesetzt haben. Dann kamen die Verhaftungen dazwischen.

Kontakte zu Freimauerlogen?

Die dazugehörigen Verträge soll ein deutscher Anwalt aufgesetzt haben. Doch dessen Rolle ging laut den Ermittlungsunterlagen weit über das Formulieren von Verträgen hinaus.

Der Anwalt sollte offenbar Kontakte zu deutschen Freimaurerlogen herstellen. Die italienische Mafia setzt immer wieder Kontakte zu Freimaurerlogen ein. Sie helfen ihr, mehr als eine kriminelle Vereinigung zu sein und politischen und wirtschaftlichen Einfluss auszuüben. Besonders die kalabrische Mafia ‚Ndrangheta setzt gezielt auf Beziehungen zu Freimaurerlogen.

Die Bemühungen des Rinzivillo-Clans, in Deutschland Kontakt zu Freimaurern aufzunehmen, könnten einer der ersten Versuche dieser Art im Ausland sein.

„Onkel Toto“, sagte M. am Telefon zu Rinzivillo „weißt Du, was ich machen musste, um da reinzukommen? Um diesen Anwalt als Freund zu haben? Ich habe mir den Hintern abgearbeitet und nicht einmal zehn Minuten eigenes Leben gehabt.“

Die mutmaßlichen Mafiosi-Mitglieder planten, 50 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um Zugang zu der Freimaurerloge zu bekommen. Diese sei in der Lage, große Investitionen in Europa und im Nahen Osten zu tätigen. 50 Millionen Euro – das hört sich nach einer abenteuerlichen Zahl an. Die Cosa Nostra hat allerdings in der Vergangenheit Deals in dieser Größenordnung umgesetzt.

Alles auf eine Karte

Und vielleicht ist die sizilianische Mafia immer stärker bereit, alles auf eine Karte zu setzen, um endlich ein Comeback hinzulegen. Denn besonders die kalabrische Mafia, die ‘Ndrangheta, hat der Cosa Nostra in jüngster Zeit das Wasser abgegraben.

Der Abstieg der sizilianischen Mafia begann, als sie den Staat mit Attentaten auf Staatsanwälte und Politiker zu stark herausforderte. Der Staat sah sich zu einer ernsthaften Reaktion gezwungen und antwortete mit intensiven Ermittlungen. Zudem reduzierte Rom die Ausgaben der öffentlichen Hand in Sizilien, von denen sich die Mafia ernährte.

Den härtesten Schlag verpasste der Cosa Nostra jedoch eine andere Mafia-Gruppe: der kalabrischen ‚Ndrangheta gelang es, weite Teile des lukrativen Kokainschmuggels aus Südamerika nach Europa unter ihre Kontrolle zu bringen.

Laut italienischen Ermittlern versuchte der Rinzivillo-Clan, den eigenen Kokainhandel zwischen Italien und Deutschland wiederzubeleben. Dabei soll der Clan auch Kontakt zu Antonio S. aufgenommen haben, vor dessen Restaurant in Duisburg 2007 sechs Menschen erschossen wurden. S. wurde am Jahresende in der Nähe von Duisburg verhaftet.

Gescheiterte Stabübergabe

Bereits am 4. Oktober verhafteten Ermittler 37 Personen in Italien sowie zwei in Köln lebende Italiener, einer von ihnen Ivano M.. Er ist inzwischen nach Italien ausgeliefert. Die Staatsanwaltschaft Köln teilte mit, bei den Vorwürfen handele es sich um Drogenhandel, Geldwäsche und Geldfälschung.

Laut Unterlagen der italienischen Justiz, die CORRECTIV ausgewertet hat, sollte der deutsche Anwalt für die Mafia-Gruppe auch versuchen, Helfer in einer Behörde in Köln sowie bei der Kriminalpolizei in Düsseldorf anzuwerben. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln wollte sich auf Anfrage nicht äußern, ob diese Kontaktanbahnungen in den Ermittlungen eine Rolle spielen.

Die italienische Mafia bemüht sich ständig darum, Polizei- und Justizbeamte für ihre Reihen zu gewinnen. Vor allem um herauszufinden, welche Mafia-Mitglieder gerade im Visier der Justiz sind.

Ein Beispiel: Rinzivillo soll in Italien Marco Lazzari angeworben haben, den „Helden von Nassiriya“. Als ein Stützpunkt italienischer Carabinieri in der irakischen Stadt im Jahr 2003 von einem Selbstmordattentäter angegriffen wurde, überlebte Lazzari knapp und suchte in den Trümmern nach weiteren Überlebenden. Im Oktober zählte er zu den in Italien Verhafteten. Er soll aus Polizeidatenbanken Informationen über Erpressungsopfer besorgt haben. Am Telefon vertraute er einem Freund seine Hoffnung an, dass der ins Alter gekommene Rinzivillo mit ihm und Ivano M. eine neue Generation aufbauen wolle.

Das hat fürs erste nicht geklappt.

Mitarbeit: Margherita Bettoni