Missbrauch in der katholischen Kirche

Klage gegen die katholische Kirche: Welchen Anteil hat der Missbrauch an der Drogensucht des Klägers?

Vor dem Landgericht Traunstein begann die Beweisaufnahme zur Schmerzensgeldklage eines Opfers sexuellen Missbrauchs gegen das Erzbistum München und Freising in Höhe von 300.000 Euro. Der Kläger muss beweisen, dass ihn der Missbrauch aus der Bahn geworfen hat.

von Marcus Bensmann

Landgericht Traunstein
Foto: picture alliance: Uwe Lein/alliance/dpa

Mit einem Satz drückt Andreas Perr die Anwälte des Erzbistums und des Missbrauchstäters in die Stühle. Die Menschen der Gemeinde hätten den Pfarrer „in den Himmel gehoben, dabei gehört er in die Hölle.“ 

Im Schmerzensgeldprozess gegen das Erzbistum München und Freising hörte das Landgericht Traunstein am Mittwoch Zeugen dazu, inwieweit der sexuelle Missbrauch des Klerikers verantwortlich für die spätere Drogen- und Alkoholsucht des 39-jährigen Klägers sei. 

Unstrittig ist, dass Pfarrer H. den Kläger, Andreas Perr, Mitte der 1990er-Jahre als Zwölfjähriger missbraucht hat. Danach sei Perr, so die Klageschrift, „aus der Lebensbahn“ geworfen worden und schwer drogenabhängig geworden. Perr verklagte das Erzbistum München und Freising auf 300.000 Euro. 

Keine Monokausalität bei Drogensucht

Der Priester wurde kurz nach einer strafrechtlichen Verurteilung wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs 1986 in die Gemeinde Garching an der Alz versetzt. Unter dem Schutz der Bischöfe missbrauchte H. erneut Jungen, darunter auch den Kläger. Im Juni stellte das Landgericht bereits eine „Pflichtverletzung“ des Erzbistums und des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. fest.

Da das Erzbistum vor dem Landgericht den Schaden, der durch den Missbrauch nach Auffassung des Klägers entstanden sei, mit „Nichtwissen“ bestreitet, müssen die Anwälte von Perr nachweisen, dass der sexuelle Missbrauch zur Drogensucht des Klägers geführt habe. 

Ein Psychiater, der Perr mehrmals nach einer Verurteilung im Gefängnis behandelt hatte, sagte, dass eine Drogensucht immer komplexe Ursachen habe. Der Missbrauch könne neben den familiären sowie der Persönlichkeitsstruktur diesen beeinflussen, aber es gebe bei der Drogensucht keine Monokausalität. Auch hätte er sich in der Therapie auf das „hier-und-jetzt“ konzentriert, wie Perr mit der Sucht umgehen könne, und nicht so sehr auf die Vergangenheit. Nach 2010 habe Perr dem Psychiater von dem Missbrauch erzählt. Der behandelnde Arzt sagte, er hätte Erfahrung mit Drogensucht und „sexueller Problematik“. Auf die Nachfrage des Klägeranwalts Schulz gab der Psychiater aber zu, dass sich die Erfahrung vor allem auf Täter und nicht Opfer bezog.

Studie des Erzbistum München und Freising: „Es besteht kein Zweifel mehr“

Gehört wurde auch eine Psychologin, die 2011 Peer nach dem Opferentschädigungsgesetz begutachtet hatte. Sie hatte damals den Missbrauch als mitursächlich für die Drogensucht angesehen. Perr bekommt seither eine Opferentschädigungsrente. Die Gutachterin stellte damals aber fest, dass der Missbrauch nicht für das ganze Ausmaß der Drogensucht verantwortlich gemacht werden könne. 

Das Gericht muss nun prüfen, inwieweit andere Faktoren wie fehlender Vater, überforderte Mutter oder eine besondere Persönlichkeit ebenfalls die Drogensucht verursacht haben könnte, und wie die Gewichtung ist. Die Psychologin sagte vor Gericht, in Deutschland habe die Wissenschaft bisher keine lineare Kausalität zwischen Missbrauch und Drogensucht feststellen können. Ausgerechnet die Missbrauchsstudie der Münchner Kanzler WSW des Erzbistums München und Freising kommt zu einem anderen Ergebnis:

„Die in diesem Rahmen zutage tretenden Schilderungen der Geschädigten, widerlegen viele der bis dahin aufgestellten Behauptungen über die Entstehung und die Wirkung sexueller Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen. Insbesondere bestand danach kein Zweifel mehr, dass einschlägige sexuelle Kontakte eine häufig massive Beeinträchtigung des physischen und vor allem auch psychischen Wohlbefindens der Geschädigten zur Folge haben.“

Die Psychologin, die ihn 2011 begutachtet hatte, bescheinigte ihm schon damals eine hohe Glaubwürdigkeit. Sie betonte, dass in der Regel nach dem Opferentschädigungsgesetz die Drogensucht nicht als Folgeschaden anerkannt werde, und dies bei Perr eine Ausnahme war. Perr habe zwar „ruhende“ Anlagen zur Drogensucht gehabt, sagte die Zeugin. Inwieweit diese „ruhenden Anlagen“ durch den Missbrauch des Priesters geweckt wurden, muss nun das Gericht klären.

Anwalt des Erzbistums sind kircheninterne Untersuchung unbekannt

Dass sich Perr der schmerzhaften Prozedur unterwerfen muss, liegt in der Verteidigungsstrategie des Erzbistums, die den Schaden mit „Nichtwissen“ bestritten hat. Dabei hatte das Erzbistum zu dem Missbrauchstäter und auch zum Opfer mehrere Untersuchungen durchgeführt. Der Missbrauchsbeauftragte des Erzbistums Siegfried Kneißl hatte 2010 Perr befragt und ihm nach Aussage Perrs zu verstehen gegeben, dass er an dem Missbrauch des Priesters selbst schuld sei. Der Sprecher des Erzbistums schreibt CORRECTIV, der Missbrauchsbeauftragte Kneißl versichere, in keinem seiner Gespräche Betroffene für das verantwortlich gemacht zu haben, was sie erfahren mussten. 

Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte der Anwalt des Erzbistums, dass ihm diese Untersuchungen des Erzbistums zu dem Fall nicht bekannt seien. 

Ein vom Gericht bestellter Gutachter beobachtete das Verfahren und wird nach einem Gespräch mit dem Kläger den Zusammenhang zwischen Missbrauch und klerikalen Missbrauch aufschlüsseln. Danach wird das Landgericht entscheiden.

Update vom 12.01.2024, 9:30 Uhr: Der Sprecher des Erzbistum München und Freising hat uns eine Ergänzung zu dem Verhalten des Missbrauchsbeautragten Kneißl geschickt. Diese haben wir eingefügt.

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