Das Leben der Fischer
Unser Reporter Raphael Thelen und der Fotograf Hannes Jung reisen durch MeckPomm vor der Landtagswahl. Die Fischereiflotte war einst der Stolz des Landes. Zu DDR-Zeiten lagen 1800 Kutter in den Häfen. Heute sind es keine 200 mehr. Eine Nacht auf See mit Klaus und Uwe Pinkis – die frei von der Leber erzählen.
Diese Serie erscheint parallel auf Zeit Online.
Das Netz schießt aus den dunklen Wellen, läuft durch zwei Gummiwalzen und über einen Tisch in eine Kiste. Wenn Dorsch, Scholle oder Flunder drin hängen, stoppt Klaus Pinkis die Rollen. Sein Bruder Uwe greift zu, zerrt die Fische aus den Maschen und schmeißt sie in eine andere Kiste. Dann startet Klaus wieder die Walzen. Seit 700 Jahren fischen die Vorfahren der Pinkis auf der Ostsee. „Das horizontale Gewerbe und die Fischerei sind die ältesten Gewerbe der Welt“, sagt Klaus. Die Fischereiflotte war einst Mecklenburg-Vorpommerns Stolz. Und heute? Fast vollständig abgewrackt. Die Kinder der Pinkis? Bleiben an Land. Und die Pinkis? Sind sauer.
Es ist zwei Uhr morgens, als wir vom Holzsteg über die Bordwand des zehn Meter langen Kutters Nidden steigen. Am Vortag brachten Klaus und Uwe Pinkis die Netze aus, in dieser Nacht holen sie die Beute. Der trutzige Kutter zieht vorbei an den Masten der Sportsegler, wir lassen die Lichter des Hafens hinter uns. Auf offener See klatschen Wellen gegen den Bug, das Meer ist kabbelig, Salzwasser überspült das Deck. Die Pinkis steigen in ihre orangefarbenen Ölsachen, Klaus wühlt in einer Kiste unter dem Steuersitz nach Handschuhen. Mit der linken Hand hält er das Steuer, mit der rechten führt er einen Scheinwerfer. Bis irgendwann dort, wo sich das schwarze Wasser und der schwarze Himmel treffen, der Lichtstrahl auf die Reflektoren ihrer Boje trifft. Klaus schwenkt nach backbord, die Boje kommt längs. „Na, geht’s gut mit dem Magen?“, fragt er. Es geht.
Uwe greift die Boje, fädelt das grüne Netz zwischen die Walzen, legt den Motorhebel um, das Netz taucht auf. Die Fische darin stieren aus leeren Augen in den Nieselregen, die unruhige See hat sie schon unter Wasser in den Netzen erdrückt. Schweigend stehen die Brüder nebeneinander und zerren die Fische aus den Netzen. Dessen Maschen sind groß, Beifang ist kaum darin. Nur selten hängt ein Seestern in den Maschen. Einmal eine Feuerqualle. „Die werden groß wie Toilettendeckel“, sagt Uwe. „Wenn dann Wind auf’m Netz steht, knallen die dir ins Gesicht.“
Die Haltekette des Netzes rasselt auf den Fangtisch. 500 Meter Netz sind eingeholt. Klaus geht in die holzvertäfelte Kajüte. Links plottet das Echolot seine bunten Bilder, der Radar zeichnet gelb die schmale Küstenlinie weit östlich. Klaus programmiert den Autopiloten, Kurs: nächste Boje. Der Dieselmotor heult auf und schiebt den Kutter durch die Wellen.
Aus der verdreckten Plastikkiste unter dem Steuersitz greift Klaus zwei lange Messer und sagt: „Jetzt beginnt das Morden.“ Er und sein Bruder packen die gefangenen Fische, ein Schnitt unter die Kiemen, ein zweiter öffnet den Bauch, mit der Hand reißen sie die Gedärme raus und schmeißen sie den Möwen zum Fraß vor. „Die Leute wollen Fisch essen, aber nicht wissen, woher er kommt“, sagt Klaus.
Die Brüder Klaus und Uwe Pinkis wohnen in der gleichen Straße in ihrem Heimatdorf Rerik. Schon immer lebten und arbeiteten sie am Meer, in der DDR durften sie jedoch nicht rausfahren – zu viel Westverwandtschaft, die Stasi wähnte Fluchtgefahr. Nach der Wende fingen sie an zu fischen, besitzen heute ihren eigenen zehn Meter langen Kutter. Nach der Wende legten 1800 Fischkutter von Mecklenburg-Vorpommern aus ab, schätzen die beiden, heute seien es noch 170. Vor zehn Jahren gab es noch 18 Fischer in ihrem Dorf, heute fahren noch fünf raus. „Der Rest ist zu alt oder hat aufgegeben.“
Ihre Lieblingsfeinde sind die Wissenschaftler vom staatlichen Institut für Ostseefischerei: „Die sagen, dass das Meer leer ist, aber wir haben die Netze voll.“ Die EU reguliert den Fischfang in Mittelmeer, Atlantik, Nord- und Ostsee. Sie bestimmt, wer wann wie viel fangen darf, welche technischen und Umweltstandards einzuhalten sind. Das Institut für Ostseefischerei berät die EU. Für 2017 fordert das Institut, dass die Fangquote für Dorsch um 88 Prozent gesenkt wird. Die Nachwuchsproduktion sei eingebrochen. „Der Dorsch ist unser Brotfisch“, sagt Klaus.
Nur noch 170 Fischkutter in ganz Mecklenburg-Vorpommern, die immer weniger Fisch fangen. Wählermacht sieht anders aus. Trotzdem: „Dass sich in der Landeshauptstadt niemand für uns einsetzt, ist eine Sauerei. Die Parteien laufen ja nur vor den Wahlen zu Hochtouren auf. Wenn ich schon diese ganzen Plakate sehe, wo sie alles Mögliche versprechen. Warum haben sie nicht die letzten vier Jahre genutzt, um es umzusetzen?“
„Die werden uns erst wieder wert schätzen, wenn es einen Krieg oder eine Hungersnot gibt. Es war schon immer so: Die da oben bestimmen und die da unten halten dagegen. Und so lange man leben kann und es nicht ans Eingemachte geht, ist das ja auch okay. Aber 88 Prozent Dorschquote, das wäre das Eingemachte.“
Morgens um sechs steuert Klaus auf die Hafeneinfahrt zu. Die grauen Wolken hängen niedrig, es wird nur langsam heller. Ein Hobbyfischer lässt sein Boot zu Wasser, während Uwe auf den Pier springt, ein Tau greift und den Kutter festmacht. Klaus reicht die Fangkisten hoch, Uwe verstaut sie in einem blauen Kastenwagen. Zum Abschied sagt Klaus: „Und den größten Feind habe ich im eigenen Haus. Meine Frau ist Betriebsprüferin beim Finanzamt.“
Die Recherche in Kooperation mit „Zeitenspiegel Reportagen“ wurde von Raphael Thelen über die Plattform crowdfunding.CORRECTIV finanziert. Wir bedanken uns bei der Rudolf Augstein Stiftung und mehr als 100 Einzelspendern für die Unterstützung.
Sofern die Spender einer Namensnennung zugestimmt haben, werden sie hier aufgeführt.
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