Neue Rechte

Der Gewerkschafter der AfD

Der Essener Guido Reil ist Bergmann, Gewerkschafter und war in der SPD. Jetzt ist er zur AfD gewechselt und will den amtierenden Justizminister von NRW, Thomas Kutschaty, bei der kommenden Landtagswahl besiegen: in dessen Wahlkreis. Reil ist sich sicher, dass ihm viele Kollegen und Genossen in die AfD folgen. Die IGBCE und Kutschaty wiegeln ab.

von Marcus Bensmann

© Marcus Bensmann

Guido Reil will als AfD-Mann für den Landtag kandieren. Reil ist nicht irgendwer. Er stammt aus dem Essener Norden, aus dem Stadtteil Karnap. Einer Arbeitergegend, mit grauen Häuser. Ein leerer Platz aus Pflastersteinen wird umrahmt von bröckelnden Fassaden. Das Viertel atmet Armut. Am Nachmittag lehnen zwei Männer an einer Wand und trinken Bier. Auf der Straße sieht man ein buntes Gemisch von Kopftüchern und Trainingshosen. Dönerbuden stehen neben Spielhallen und Geschäften für Wohnungsauflösungen; dazwischen viel Leerstand und zugenagelte Eingänge.

Reil hatte hier als SPD-Genosse im letztem Jahr lautstark die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisiert. Da war er noch Ratsherr seiner Partei für den Essener Norden. Im Juli ist er dann in die AfD gewechselt. Sein Mandat hat er mitgenommen. Der Fahnentausch im Herzland der Sozialdemokratie sendete Schockwellen durch die Republik.

Kein Verräter

Reil sitzt jetzt am Karnaper Markt in einem Cafe. „Ich werde hier nicht wie ein Verräter behandelt“, sagte er. Der 46jährige arbeitet immer noch auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. Untertage. Kaum zehn Minuten mit dem Auto entfernt. Während des zweistündigen Gespräches kommen ehemalige SPD-Genossen vorbei und schütteln Reil die Hand. Es sind ältere Männer um die 60 Jahre alt. Reil war mit ihnen jahrelang im Ortsverein der SPD oder der AWO aktiv. Einige nicken. Sie können Reil verstehen.

„Das ist hier meine Gegend, hier kennen mich alle“, sagt Reil. Er hat ein offenes Gesicht, seine Sprache ist einfach und direkt. Die starken Arme liegen auf dem Tisch. Reil sieht sich als Kümmerer, der Probleme lösen will. Er hat sich immer engagiert. Als Gewerkschafter vertritt er die IGBCE im Betriebsrat der Zeche; bei der AWO organisierte er Einkaufsfahrten für alte Leute. In der SPD ist er 1999 aktiv geworden. „Als die Roten Rathäuser kippten“, sagt Reil. Damals siegte die CDU überraschend im Ruhrgebiet. Überall wurden rote Bürgermeister abgelöst. Reil sagt, da war klar, das etwas gewaltig schief laufe in der Region.

Er dachte, er könne in der SPD etwas ändern. Die Partei habe schließlich in der Vergangenheit tatsächlich etwas für die Bewohner des Ruhrgebiets getan, sagt Reil. „Da wurde jede Woche etwas eröffnet“. Aber dann war das Geld alle und die Menschen fühlten sich nun abgehängt. Seit Reil in der Politik ist, macht er auf der Zeche nur noch Nachtschichten. „Morgens wird dann geschlafen, und ab Mittags Politik.“

Bei der Flüchtlingspolitik hat es gekracht

Gefremdelt hat Reil mit der SPD schon länger. Dabei sei die Partei eigentlich seine Familie, sagt der Bergmann. Die Menschen im Ruhrgebiet seien konservativ, die hätten mit den ganzen 68iger Ideen nie etwas am Hut gehabt.  Zudem sei es für jeden hier in seinem Viertel sichtbar, dass die Integration der Ausländer schon jetzt nicht klappe. Und nun sollen noch Millionen hinzukommen, fragt Reil. „Das schaffen wir nicht“.

Richtig gekracht hat es dann bei der Flüchtlingspolitik. Als bekannt wurde, dass die meisten Flüchtlingsheime in den abgehängten Norden der Stadt kommen sollten, hat sich Reil mit anderen Genossen mit einem Aufruf dagegen gewehrt. Er forderte, dass auch im reichen Süden von Essen Heime gebaut werden sollen. Dafür hat er ordentlich Prügel bezogen. Die Ministerpräsidentin von NRW Hannelore Kraft wetterte auf Twitter gegen die Genossen aus Essen:  „Die NRW-SPD steht für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge. Protestaktionen, die das in Frage stellen, lehnen wir entschieden ab.“ Aber in der Sache fühlt sich Reil bestätigt. Warum nicht im Süden, warum nicht bei den Reichen?

Der Plan der Stadt Essen zu Flüchtlingsverteilung, der diese Woche veröffentlicht wurde, macht eines klar. Essen musste kurzfristig über 8.000 Flüchtlinge unterbringen. Etliche davon in Zeltdörfern, viele in Massenunterkünften. Und nun sind in den ärmeren Stadtteilen im Norden tatsächlich die meisten Einrichtungen. Neu geplant werden nun zwar auch Flüchtlingsunterkünfte im Süden von Essen, aber nach wie vor gibt es in den bevorzugten Wohngebieten wie Kettwig, Werden oder Byfang kaum Flüchtlingsheime. Das könnte auch mit dem knappen Leerstand im Süden zusammenhängen, heißt es aus der Stadtverwaltung.

Aber es ging nicht nur um die Verteilung der Flüchtlinge in Essen, auch das Deutschland die Grenze nicht schließen wollte, hat Reil nicht verstanden. Da hat er sich entschieden, in die AfD zu gehen.

Weder auf der Zeche noch in der Gewerkschaft hätte er deswegen Problem bekommen, sagt der Bergmann. „Die meisten klopfen mir auf die Schulter.“ Er solle nur die AfD-Politik aus der Gewerkschaftsarbeit und der Zeche raushalten. Das habe man ihm gesagt.

Türkische Kollegen hatten keine Probleme

„Ich bin Steiger und arbeite mit vielen türkischen Kollegen gut zusammen, und keiner hatte ein Problem“, sagt Reil. Er ist sich sicher, dass viele seinem Beispiel folgen würden.

Nur die Arbeiterwohlfahrt wolle ihn rauswerfen. Aber dagegen will sich Reil wehren. Und das Projekt mit den Einkaufsfahrten will er weitermachen.

Aber es gibt ja auch das Neue, das Unbekannte. Etwas auf das sich Reil freut. Am Samstag wird er nach Soest fahren. Dort beginnt die Landesversammlung der AfD. Vier Tage sind für das Treffen angesetzt. An zwei Wochenenden. Die Liste für den Wahlkampf soll dort gewählt werden. Auf der Versammlung wird entschieden, wer auf einen aussichtsreichen Platz gelangt, um in den Landtag NRW zu ziehen, wenn die AfD bei den nächsten Wahlen über 5 Prozent kommt.

Ob Reil für die Liste kandidiert, will er noch nicht sagen. Viele  AfD-Mitgliedern seien Neueinsteigern wie ihm gegenüber misstrauisch, sagt Reil. Die alte Hasen wollen nicht, dass einer der Neuen auf einen guten Listenplatz kommt. Das könne er gut verstehen, sagt Reil. Vertrauen müsse man sich erarbeiten.

Kampf um Sitze im Landtag

Was auf der Versammlung passiert, ist völlig offen. Auf 30 aussichtsreiche Plätze kommen über 100 Bewerber. „Taktisch wäre es klug, einige Gewerkschafter auf die Liste zu setzen“, sagt Reil. Gewerkschafter ziehen Arbeiter an und bringen Stimmen. Aber so ticke die AfD bisher nicht, sagt Reil.

Dass der Kampf hart wird, ist klar. Ein Mandat im Landtag ist lukrativ.  Ein Abgeordneter bekommt im Jahr knapp über 120.000 Euro. Dazu kommen rund 48.000 Euro im Jahr für Mitarbeiter.

Die AfD ist eine junge Partei. Es gibt die verschiedenen Strömungen. In der AfD tummeln sich die Marktliberalen, fundamentale Christen, ein rechtsvölkischer Flügel und nun will Reil in der Partei für die Rechte der Arbeiter streiten.

“Die Partei wird das, was die Mitglieder aus ihr machen“, sagt Reil.

AfD ist neoliberal

Bislang steht die Partei nicht für Arbeiterrechte. Im Gegenteil: sie ist eher neoliberal.  

Vermögenssteuer und Erbschaftssteuern sollen abgeschafft werden.

Selbst beim Mindestlohn kracht es. Im Parteiprogramm heißt es zwar, dass der Mindestlohn beibehalten wird, aber die Berliner AfD geht mit einem Programm in den Wahlkampf der den Mindestlohn ablehnt. Berlins Landesvorsitzende und Bundesvorstand Beatrix von Storch sagt, der Mindestlohn gehe wegen der Flüchtlinge nicht. Die würden dann auch Geld kriegen. Das Arbeitslosengeld II soll eine Grundsicherung ersetzen – über deren Höhe sich die Partei ausschweigt. Gegen staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen wettert die AfD. Die Partei will nicht, dass beide Elternteile arbeiten können. Die Bundesagentur für Arbeit soll aufgelöst werden.

Reil sagt, er werde in der AfD für Arbeitnehmerrechte, wie Begrenzung der Leiharbeit und für die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ kämpfen. Er glaubt 20 Prozent der AfD-Mitglieder in NRW würden diese eher linken Positionen unterstützen. Er spüre eine große Solidarität. „Viele warten ab, was mir passiert“, sagt Reil, aber bisher sei nichts vorgefallen. „Mein Auto ist nicht zerkratzt, mein Haus nicht beschmiert.“

Das Duell

Reil sucht für die Landtagswahl die direkte Auseinandersetzung mit den Genossen in Essen. Er sagt, er wolle sich als Direktkandidat für die AfD im Essener Norden aufstellen lassen. „Ich gegen Kutschaty“, sagt Reil, „das wird knapp, aber könnte klappen, mich kennt hier jeder.“ Sein Ratsmandat hat Reil in seinem Wahlkreis direkt gewonnen. Nicht über eine Liste.  

Der Essener Parteivorsitzende und NRW-Justizminister Thomas Kutschaty sieht die Auseinandersetzung trotzdem gelassen. Bevor die AfD nicht ihre Kandidaten bestimmt hat, sei es zu früh darüber zu reden, sagt Kutschaty. Für ihn ist der Parteiübertritt Reils in die AfD unverständlich. Erst habe Reil SPD-Vorsitzender in Essen werden wollen, dann sei er in die AfD eingetreten. Justizminister Kutschaty sagt: „Das macht keinen Sinn.“

Kutschaty fürchtet nicht, dass viele Gewerkschafter dem Beispiel von Reil folgen werden. „Die AfD vertritt klar antigewerkschaftliche Positionen“, sagt Kutschtaty. Er sei mit vielen Funktionären im Kontakt, und die wollten alle nichts mit der AfD zu tun haben.  

Die IGBCE in Westfalen bedauert den Übertritt ihres Mitgliedes in die AfD. „Das sei aber dessen Privatsache“, sagt der Vorsitzende des Landesbezirkes von Westfalen, Kurt Hay. Die AfD sei bisher nicht als „rechtsextrem“ eingestuft worden, deshalb käme ein Ausschluss von Reil derzeit nicht in Frage.

Hay sagt, er sähe auch nicht, dass Gewerkschaftsmitglieder der AfD zuströmten. „Jedenfalls nicht mehr als in anderen Bevölkerungsgruppen.“

„Die AfD ist unser Gegner“

Offiziell hat sich die IGBCE deutlich gegen die AfD positioniert, sagt Hay und verweist auf einen Brief des Vorsitzenden aus dem April.

„Die AfD ist unser Gegner“, schreibt der Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis dort, die AfD würde ein „ein weltoffenes Deutschland in einem solidarischen Europa“ ablehnen. Der IGBCE Vorsitzende rät den Mitgliedern die „neoliberalen Politik“  der AfD zu kritisieren, die „Rechtsextreme“ in der AfD zu benennen, sowie „Haltung“ zu bewahren.  „Es gibt rote Linien. Für Rassismus und jede Form der Menschenverachtung gilt Null-Toleranz.“

Da würde ihm der AfD-Mann und IGBCE-Mitglied Reil zustimmen. „Bei Antisemitismus und Holocaustleugnung kenne ich kein Pardon“, sagt er.

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