AfD-NRW: Die gespaltene Partei
Marcus Pretzell ist Landeschef der AfD in NRW. Eigentlich wäre es normal, dass er mit großer Zustimmung als Spitzenkandidat seine Partei in den NRW-Wahlkampf führt. Doch Pretzell wird bei der Listenaufstellung düpiert. Gegen einen blassen Gegenkandidaten erhielt er nur knapp 50 Prozent der Stimmen. Die völkischen Rechten in der AfD hatten Widerstand organisiert.
Der Landesverband der AfD in NRW ist tief gespalten. Zum ersten Mal wurde das ganz deutlich bei der AfD-Landesversammlung, auf der an diesem und am kommenden Wochenende die Listenplätze für die Landtagswahl im kommenden Jahr verteilt werden sollen. Der Landessprecher der AfD – so nennen sich die AfD-Parteichefs in den Ländern – Marcus Pretzell wurde nur mit knapp 53 Prozent der 403 Delegiertenstimmen auf den ersten Listenplatz für die kommende Landtagswahl gewählt. Er ist damit Spitzenkandidat und schon angeschlagen. Für das knappe Ergebnis machte Pretzell später AfD-Politiker aus dem Bund verantwortlich, die seine Kandidatur hintertrieben hätten. Er nannte keine Namen.
Die Listenwahl der AfD in NRW wird an diesem Wochenende in Soest und am nächsten Wochenende in Werl fortgesetzt. Die ersten 30 Plätze gelten als aussichtsreiche Startnummern für ein Landtagsmandat, wenn die AfD in NRW über fünf Prozent kommen sollte.
Der organisierte Denkzettel
Das knappe Ergebnis für Pretzell lässt sich nicht mit einem starken Gegenkandidaten erklären. Thomas Röckemann war der Konkurrent um die Spitzenkandidatur. Im Vergleich zu dem bundesweit bekannten Pretzell sprach Röckemann schwach. Der frühere Polizeibeamte und heutige Anwalt aus Minden hielt einen stockenden Vortrag, dessen Pointen verpufften. Er bekam lediglich spontane Zustimmung als er die Antifa attackierte, die vor dem Kongresszentrum in Soest demonstrierte. Ein zweites Mal wurde der Anwalt Röckemann beklatscht, als er den Grund erklärte, warum beide Sprecher der Jungen Alternative für Pretzell seien. Die beiden jungen Alternativen seien entweder bei Pretzell oder bei dessen momentaner Lebensgefährtin beschäftigt – der Bundeschefin der AfD Frauke Petry. Eine Anspielung auf Vetternwirtschaft in der AfD.
Allerdings blieb der Applaus für Röckemann trotz dieser Pointen im Gegensatz zu Pretzell sehr bemüht.
Doch Pretzell hatte auch so genügend Gegner am äußersten rechten Rand. Der Vorsitzende der AfD im Kreis Rhein-Sieg, Thomas Matzke, organisierte im Saal und auf den Gängen die Stimmung gegen Pretzell. Er habe gehört, dass Pretzell gesagt haben soll, er sei kein Patriot, sagte Matzke bei einer Raucherpause im Innenhof des Kongresszentrums. „Ich mag keine Politiker, die sich nicht als Patrioten bezeichnen“, sagte der Matzke.
Hin und wieder kam ein Stiernackiger Mann mit Glatze zu Matzke, reichte ihm Zettel in die Hand und raunte dem Kreisvorsitzenden aus Rhein-Sieg etwas ins Ohr. Matzke überlässt nichts gerne dem Zufall. „Ich führe Dossiers“, sagt Matzke einem Parteimitglied bei der Raucherpause. Er könne organisieren und betreibe Politik „systematisch.“ Matzke gehört der Patriotischen Plattform an und bewundert den völkischen Rechtsaußen der AfD aus Thüringen, Björn Höcke. Dessen jährliche Treffen auf dem Kyffhäuser sind für Matzke nach eigenen Worten Pflichttermine.
Die völkischen Patrioten in der AfD
Die Patriotische Plattform, zu der Matzke gehört, ist ein Netzwerk von AfD-Politikern, die für eine „Zusammenarbeit“ mit der Identitäten Bewegung werben. Letztere gilt als rechtsextrem und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Auf der Internetseite „Patriotische Plattform“ schrieben Mitglieder des rechten Flügels der AfD erst vor wenigen Wochen unter der Überschrift „Wir sind Identitär“: „Wir wünschen uns eine engere Zusammenarbeiten zwischen Identitärer Bewegung und AfD, denn auch die AfD ist eine identitäre Bewegung und auch die Identitäre Bewegung ist eine Alternative für Deutschland.“ Die Identitäten Bewegung glaubt an den völkische These vom „großen Austausch“, wonach finstere Kräfte gezielt die Völker Europas und Deutschlands durch Einwanderung aus islamischen Gebieten vernichten wollen. Der Bundesvorstand der AfD hat eine Zusammenarbeit mit der Identitäten Bewegung ausgeschlossen.
Nach eigenen Worten hält sich der AfD-Rechtsaußen aus Rhein-Sieg Matzke zwar an den Beschluss des Bundesvorstandes, aber er ist dagegen, Bewegungen zu verdammen, sagt Matzke.
Mehrere Delegierte auf dem Parteitag sagten, Matzke habe die Fäden für die Kandidatur des blassen Anwalt Röckermann gegen Pretzell gezogen. Dabei ging es offenbar nicht um einen Sieg Matzkes, sondern darum Pretzell einen Denkzettel zu verpassen.
Vor der Wahl des Spitzenkandidaten sagte Matzke, selbst wenn Pretzell mit knapp 60 Prozent die Stichwahl gewinnen würde, sei dies ein Beleg, dass der Landesverband gespalten sei. Daran sei Pretzell schuld, weil er nicht alle Strömungen der Partei einbinden würde. Bei der Wahl für die Spitzenkandidatur erhielt Pretzell nur knapp über 50 Prozent. Der Plan des Höcke-Verehrers Matzke ist aufgegangen.
Neben Pretzell war in Soest häufig AfD-Bundesschefin Petry zu sehen. Nach dem knappen Sieg sagte sie, es gäbe keine inhaltliche Differenz zum Rechtsaußen der Partei Björn Höcke – man würde sich lediglich in der Rhetorik unterscheiden.
Frauke Petry und Marcus Pretzell in Soest
In seiner Antrittsrede nach der Wahl zum Spitzenkandidaten der AfD in NRW wetterte Pretzell vor allem gegen Flüchtlinge. Abgelehnte Flüchtlinge, die nicht in ihre Heimatländer zurückgebracht werden könnten, sollten auf eine Insel deportiert werden.
In NRW sah Pretzell „Verfall“ und „Verwesung“. Ideen, wie er es besser machen könnte, hatte er nicht. Seine wenigen konkreten Vorschlägen drehten sich um alte Hüte. Infrastruktur und Datennetze sollten ausgebaut werden.
Arbeitnehmervertreter schwach
Die wenigen Arbeitnehmervertreten in den Reihen der AfD konnten den Machtkampf zwischen Röckermann und Pretzell lediglich beobachten.
Der Bergmann und ehemalige Sozialdemokrat aus Essen Guido Reil will erst morgen entscheiden, ob er für einen Listenplatz kandidieren wird. „Das Ergebnis für Pretzell war recht knapp“, sagt Reil, der auch Mitglied der Bergarbeiter-Gewerkschaft IGBCE ist. Seine Chancen bei den Delegierten stehen schlecht.
Am Morgen hatten vor dem Kongresszentrum in Soest über 100 Menschen demonstriert. Ein Bündnis aus SPD, Linken, Grüne und DGB hatten zu einer Gegendemo aufgerufen.
Der DGB-Vorsitzende von Soest Holger Schild kann nicht verstehen, dass überhaupt Gewerkschafter zur AfD gingen. Sollte der Übertritt von Reil kein Einzelfall bleiben, „müssen wir uns eine Strategie“ überlegen, sagte Schild.